Frank Goosen erzählt von zuhause
Wir schreiben das Jahr 2010. Das Jahr, in dem eine ganze Region Kulturhauptstadt sein darf. Wer sich fragt, mit welchem Recht, der lese das passend zum Datum erschienene „Radio Heimat“ von Frank Goosen. Mit dem nötigen Respekt vor knapp sitzenden Haushaltskitteln und holzvertäfelten Partykellern räumt der Autor und Kabarettist mit dummen Klischees über das Land an Emscher und Ruhr auf und erzählt von denen, die wirklich stimmen. Dabei gibt er unverzichtbare Insidertipps, ohne die Fremde den Pott nicht bereisen sollten.
Fragen Sie mal in unserer Gegend nach dem Weg. Woanders kann es Ihnen passieren, dass Ihnen auf die entsprechende Frage tatsächlich erklärt wird, wie Sie ihr Ziel erreichen. Bei uns müssen Sie mit der Antwort rechnen: „Watt willze denn da? Hömma, ich war da ma. Da war scheiße. Da willze gar nich hin! Ich sach die getz ma, wo du hinwillz!“
Überhaupt steckt in Goosens liebevoller Beschreibung seiner persönlichen Sozialisation in und um Bochum viel Lehrreiches und Bewusstseinserweiterndes, wie zum Beispiel in dem Kapitel, dass sich den ungesunden Getränken widmet:
„Dann trink ma dat hier, dat macht n Mann aus dir!“ Mit diesen Worten stellte er eine Cola-Flasche vor mich hin, die bis zum Hals mit etwas gefüllt war, das aussah wie der Himmel über dem Krupp-Gelände, an einem wolkenlosen, strahlenden Tag: sehr hellblau. Ich fragte, wie man das Zeug nenne, und der Nachbar sagte: „Dat? Dat ist Wodka Wick-Blau.“ „Entschuldige“, gab ich zurück. „Ich habe Wodka Wick-Blau verstanden.“ „Genau darum gehdet, Junge.“
Dass der Verzehr nicht für jeden zur Nachahmung empfohlen ist, lässt Goosen nicht unerwähnt.
Das erste Pinnchen rauscht in den Magen, und man hat den Eindruck, man muss nie wieder husten. Beim zweiten Pinnchen kommen einem erste Zweifel und nach dem dritten sieht man plötzlich die Tierchen im Rasen ganz groß, obwohl man sich gar nicht erinnern kann, umgefallen zu sein.
Natürlich gibt es auch in den Alpen und an der Küste die erste Liebe, das erste Auto und den ersten Rausch. Aber da gibt es eben keinen Theo – Ach geh mir doch weg mit Feinstaub! Wir, nä, wir hatten früher Staubkörner, die waren so groß wie RATTEN! Und wir sind auch groß geworden!, keinen Laberfürst – Hasse gehört? Der labert noch im Sarch!, keinen lachenden Zahnarzt – Wenn ich mir das so ansehe, kann ich nur sagen: Schlussverkauf! Alles muss raus! Wie? Ach was, es gibt so schöne Schnabeltassen … und vor allem keine Omma – Omma, wie war das mit Napoleon? Na ja, der war klein! Die Welt mit wenigen Worten erklärt. Danke! Ohne diese Menschen wäre das Ruhrgebiet nicht der Ort, der er ist, ehrlich, schnörkellos, direkt. Oder wie es der Autor meint, schön ist das nicht! Aber meins.
Ob sich alles genau so zugetragen hat, wie Goosen es in dem leider viel zu schmalen Bändchen erzählt, ist letztendlich völlig egal. Denn wie schreibt er so passend zur Einführung:
„Sag mal, Omma, stimmt das denn alles, was du da so erzählst?“ „Hasse dich gelangweilt?“ „Nö.“ „Na also!“
Frank Goosen
Radio Heimat
ISBN 9783821860725
€ 14,95 (D)/ sFr 23,90