Eine Adventsgeschichte! SchönerDenken proudly presents „Severins Sehnsucht“ von Bettina Fächer – in drei Teilen, gelesen von der Autorin höchstpersönlich.
Was bisher geschehen ist:
Severin, der kleine Musiker aus dem Engelsorchester, hat die Nase voll vom Mainzer Weihnachtsmarkt. Zu sehr vermisst er Annabell, die Frau von Meister Ladislaus aus dem Erzgebirge. Nur Leonie hat Verständnis für Severins Kummer. Und bei ihrem nächtlichen Gespräch in der Weihnachtspyramide macht Severin plötzlich nicht nur eine Entdeckung …
Folge 652
„… Irgendwann hau ich ab. Hab mir schon was gebastelt. Dann seil‘ mich ab bis nach unten.”
Leonie will schon den Mund öffnen, doch dann scheint sie nachzudenken. Sie hält einen Moment inne, macht kurz die Augen schmal, dann lächelt sie.
“Da komme ich auch mit, Severin, unbedingt.”
Und nach einer kurzen Pause:
”Du musst mir unbedingt versprechen, mich mitzunehmen! Lass mich bloß nicht hier zurück … Ich will auch dringend runter.”
“Was willst Du denn da unten? Was könnte Dich da schon interessieren?”, fragt er.
“Naja …”, sagt Leonie gedehnt und denkt wieder nach.
“Weißt Du …” Sie beißt sich auf die Lippe. “Ich hab halt auch meine Gründe.”
“Du bist festgeschraubt”, sagt er frech.
“Und Du hast überhaupt kein blödes Seil”, schnappt sie zurück.
“Hoho”, sagt Severin, plötzlich in heiterer Stimmung. “Das macht Dich ja wütend …”
“Gar nicht!”
“Was gibt es denn, dass Du unbedingt runter willst?”
“Wenn ich’s Dir sage, plauderst Du’s nur aus. Dann werden sich hier alle wieder mal das Maul zerreißen.” Leonie macht ein finsteres Gesicht. Nicht aufgesetzt, diesmal.
“Ein Geheimnis?” Severin fängt an zu zappeln. Die Becken klirren ein bisschen.
“Schhhh, halt doch still …”
“Also, ein Geheimnis!”
“Ach, Severin”. Leonie atmet tief und streckt ein bisschen die Arme aus, schwenkt sie vor und zurück.
“Du hast eben Sehnsucht nach Annabell, und ich … “
“Jetzt lenk nicht ab”, sagt Severin düster.
“Ich mag eben auch jemanden”, sagt Leonie.
“Ladislaus”, sagt Severin, und seine Stimme wird noch belegter.
“Nein, nein … Natürlich mag ich Ladislaus – er ist doch wie unser Vater. Aber er – er und Annabell, das ist doch … mach Dir doch nichts …” Leonie kaut wieder ihre Lippe. “Ach, ist doch egal. Ich mag jemand anderen. Hier.”
“In der Pyramide?”
“Naja … “
“Manno, jetzt sei doch nicht so. Ich geh gleich wieder hoch.”
Drohend zieht Severin schon mal ein bisschen den Kopf zurück nach oben.
“Ja, hier drin”, sagt Leonie schnell. “Dann schlaf gut.”
“Mensch, Leonie”, sagt Severin. “Du behandelst mich wie ein Kind!”
„Also … da ist doch so ein Fußballspieler. Hast Du’s gesehen beim Aufbau? Ganz unten drin ist der.”
„Mainz 05”, sagt Severin. “Ich weiß. Der war letztes Jahr schon da.”
Es klingt verächtlich. Dann kichert er wieder.
„Soll ich die Hochzeitsglocken spielen?”
Mit einem Arm angelt er schon nach seinen Becken.
„Sei bloß still!”, faucht Leonie. “Du verstehst davon doch nichts.”
„Ja, ja”, sagt Severin. “Weil ich ein kleiner doofer Engel bin.”
Er schmollt kurz. Dann fragt er: „Tut es sehr weh?”
Leonie seufzt.
„Na komm schon”, sagt Severin mit Nachdruck. “Ich hab Dir auch alles verraten.”
„Ja und nein”, antwortet Leonie und überlegt einen Moment.
„Manchmal, wenn es schlimm ist, in der Nacht oder wenn unten auf dem Markt wieder alles voller Familien ist, stelle ich mir vor, dass es gleich schon Weihnachten ist.”
„Da wart ich auch drauf. Noch …. sechs Tage”, zählt Severin nach. “Dann kommen wir hier runter.”
„Und dann?”, fragt Leonie. “Was passiert dann?”
„Demontage – und ab ins große Sommerlager”, sagt Severin und fängt prompt wieder an zu zappeln.
„Und wie geht das?”, erkundigt sich Leonie vorsichtig.
„Alle werden eingepackt, immer schön nach Größe sortiert. Erst die Engel, dann …”
„Oh nein. Sag, dass das nicht wahr ist.”
Leonie hebt die runden Hände zum Gesicht.
„Dann hab ich ja überhaupt keine Chance, mit ihm zusammen … Nach der Größe?”
„Na klar, sonst ist doch die halbe Kiste leer, wenn sie mich neben das riesen Mainzelding da packen.”
Severin beginnt schon wieder zu kichern, dann hält er inne.
„Ach, Du meinst … ach so, Du willst Händchenhalten und so?”
Er pfeift leise durch die Zähne. “So was willst Du …”
„Was so was?”, imitiert Leonie ihn. Rollt missbilligend die Augen. Dann schaut sie Severin prüfend an:
„Bist Du denn gern allein?”
Severin schüttelt den Kopf. “Aber wenn der Fußball-Heini auftaucht, dann willst Du mich ja gar nicht mehr dabei haben. Dann tu nicht so blöd … Kann ich auch gleich wieder hochgehen.”
„Severin”, sagt Leonie nachdenklich. “Daran hab ich noch gar nicht gedacht.”
„Woran?”
„Dass wir uns dann auch nicht mehr sehen, wenn wir hier abgebaut werden …”
„Wirst schon drüber wegkommen”, sagt Severin bockig. “Vielleicht wird ja diesmal auch alles anders. Neue Methode. Andere Arbeiter. Wollen vielleicht schnell fertig werden, so kurz vor Heiligabend.”
„Dann weiß ich gar nicht, ob ich mich überhaupt noch auf Weihnachten freuen soll.” Leonies Stimme klingt skeptisch.
Severin schaut sie zweifelnd an. Dann sagt er:
„Ich kann hier nicht mehr liegen.”
Er setzt sich an den Rand der Plattform und lässt ein Bein zu Leonie hinunter baumeln. Mit einem Arm greift er zu einer der hölzernen Streben der Pyramide. Er hält sich fest und lehnt sich weit hinaus.
“Hey, was ist das?”, fragt er plötzlich. “Ich glaub, ich seh nicht recht …”
“Was denn? Was siehst Du? …” Leonie schwenkt die Arme, als Severin nicht gleich antwortet. “Severin, hallo!”
“Das gibt’s doch nicht”, sagt er. “Ist ein bisschen dunkel da unten. Aber ich glaub, da macht einer an der Pyramide rum … Was wollen die denn da?”
“Wer denn ‚die‘ – wen meinst Du?” Leonie verdreht die Augen nach unten soweit sie nur kann.
“Weiß auch nicht, Arbeiter oder … Männer … Dein … Fußballer … Der … Jemand nimmt ihn mit … Er wird geklaut!”
“Was?”
“Du Heiliger Bimbam. Dein Mainz-05er. Er ist weg!”
Severin dreht den Kopf und schaut sie groß an.
“Weg?”, fragt Leonie völlig entgeistert. “Gestohlen?? Nein, das …”
“Na, fröhliche Weihnachten”, sagt Severin trocken und grinst.
“Aber …” Leonie will es nicht glauben. “Das kann nicht sein! … Wo sind die Polizisten hin? Polizei!”, ruft sie.
“Das hört doch keiner!” Severin kann nicht aufhören zu grinsen. “Ich dachte nicht, dass es so einfach ist, ihn loszukriegen.”
“Du bist so gemein!” Leonie dreht den Kopf weg.
Severin erschrickt. “Oh Mann, jetzt … Es tut mir leid … Jetzt … wein‘ doch nicht!”
“Geh schlafen, kleiner Engel.” Leises Schniefen.
“Leonie … Hör doch zu. Ich spiel Dir ein Trostlied!”
“Mit Deinen ollen Schepper-Becken, hier mitten in der Nacht?” Leonie schüttelt den Kopf. Und doch muss sie lächeln, zwischen zwei Schniefern.
“Nur für Dich ganz allein”, sagt Severin ganz ernst. „Wirklich.“
Und dann: “Vergiss Annabell …
Weiß Du was, Leonie? Ich bleib‘ lieber bei dir.”
***
Das war der dritte und letzte Teil. Hier finden Sie den ersten Teil, und hier finden Sie den zweiten Teil von „Severins Sehnsucht“. Und morgen gibt es die ganze Geschichte noch einmal komplett in einem Podcast.
© Bettina Fächer