The Sound of Ipanema

Matthias über Bossa Bova und die brasilianische Musik der 60er

Dass der Bossa Nova an allem Schuld sei, gehört zu den Stilblüten des deutschen Schlagers, die bis heute fast jeder kennt. Mitte der 1960er hatte die Bossa-Nova-Bewegung auch die deutschen Hitparaden erreicht, mit denen sie musikalisch aber nichts gemein hatte. Nicht einmal die Grammatik stimmte, denn eigentlich ist es die Bossa Nova. Vielmehr war Bossa Nova mit südamerikanischer, speziell brasilianischer Musik und später auch mit amerikanischem Jazz verbunden. Erstere hat er gegen Ende der 1950er Jahre revolutioniert, letzterer ließ sich von ihm inspirieren.

Wie es dazu kam, dass ein ursprünglich keineswegs massentauglicher Musikstil zeitweilig in aller Munde kam, beschreibt anschaulich, häufig amüsant und anekdotisch Ruy Castro in seinem in Portugiesisch bereits erstmals 1990 erschienen Buch „Bossa Nova. The Sound of Ipanema. Eine Geschichte der brasilianischen Musik“.

Joao Gilberto 1996 (Foto: Starlight / siehe Wikipedia)Castro hatte Gelegenheit, viele der Protagonisten der Musikbewegung noch persönlich zu sprechen. Etliche davon, so z.B. Antônio Carlos Jobim, sind mittlerweile verstorben. Jobim und vor allem auch João Gilberto, 1931 geboren, bilden das biographische Rückgrat des Buches. Über sie, vor allem über den Werdegang von Gilberto erfährt man viel. Setzt man das Jahr 1958 mit der Gilbertos Aufnahme von „Chega de Saudaude“ (etwa: „Genug mit  Sehnsucht“) als Beginn der Bossa Nova fest, so waren Jobim wie Gilberto keine Neulinge mehr. Jobim verbrachte Jahre und Nächte in Clubs und Bordellen am Klavier. Daneben arbeitete er für den Rundfunk und nahm Schallplatten auf, während Gilberto häufig nomadisch und einzelgängerisch durch die Appartments von Freunden zog und dabei seine Ideen entwickelte.

Anfangs hielt sich die Begeisterung der Rundfunk- und Plattenbosse in engen Grenzen. Was sie hörten, war ein introvertierter Gesang, begleitet von neuartigen Gitarren- oder auch Klavierklängen, nach damaliger Auffassung nicht wirklich massenwirksam. Dennoch erlebte die Bossa Nova, die „neue Welle“, wie man den Begriff übersetzen kann, bis Mitte der 1960er auch eine kommerzielle Blüte in Brasilien.

Ursprünglich war Bossa Nova eher ein Musikstil der Weißen und Intellektuellen, und Konzerte im studentischen Milieu beförderten die Musik entscheidend. Das blieb sie auch, als sie in den 1960ern einige Künstler wie Nara Leão oder Carlos Lyra sich politisch nach links orientierten. Die eher elitäre Herkunft der Bossa-Nova-Bewegung bedeutete indes nicht, dass die Künstler im Mehren des Wohlstands besonders geschickt waren. Sie waren ursprünglich kommerziell eher unbedarft und ließen sich von Verlegern oder „Managern“ um einen Gutteil des Ertrages ihrer Musik bringen. Zu sehr waren sie in die eigene Kunst vertieft, wie Castro anschaulich beschreibt. So war der amerikanische Texter Ray Gilbert um 1964 nicht nur für die mäßigen englischen Übersetzungen vieler für Jobim geschriebenen Songtexte verantwortlich. Daneben kassierte er als Verleger in den USA einen Großteil der Erträge dieser erfolgreichen Lieder.

Alkohol- und Drogenexzesse rissen bereits in den 1960er Jahren Lücken in die Front der Musiker. Mochten sie eher leise Töne bevorzugen, Abstinenz war ihre Sache nicht. Das betraf Männer wie Frauen gleichermaßen. Ausgehend von den USA, begann Bossa Nova seit den frühen 60ern seinen Siegeszug durch die Welt. Konsequent zogen viele Musiker von Brasilien in die USA und befruchteten die dortige Musik-, besonders die Jazzszene. Seit Mitte der 60er Jahre wandte sich das breite Publikum in Brasilien anderen Stilen zu, die eingängiger waren, etwa der Rockmusik. Zugleich war und blieb die Szene ja kein geschlossener Block. Hier endet im wesentlichen auch das Buch, auf spätere Entwicklungen und die Wiederentdeckung geht es nur am Rande ein.

Castros Werk ist ein „Muß“ für jeden Liebhaber dieser Musik oder auch brasilianischer Kultur und bietet eine Überfülle an Details. Deutschsprachige Leser müssen mitunter aber schon Expertenwissen mitbringen angesichts der zahlreichen hierzulande wenig bekannten Namen. Leider fehlt ein biographischer Anhang oder Glossar wenigstens einiger Künstler. Dafür wird man mit kommentierten Diskographien entschädigt, die Lust machen könnten, auf Jagd nach lieferbaren und nicht mehr lieferbaren Kostbarkeiten zu gehen. Anregungen für Flaneure besorgen ein paar farbige Karten unter anderem der Strände von Ipanema und Copacana von 1964, an denen sich eine Fülle von einschlägigen Etablissements wie Nachtclubs, Bars, oder Bordellen befanden, in denen Musik live gespielt wurde.

Ruy Casto
Bossa Nova. The Sound of Ipanema. Eine Geschichte der brasilianischen Musik
erschienen 2006 bei Hannibal
ISBN 3-85445-249-7
€ 29,90

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