PJ liest „Tiere in der Stadt“ von Bernhard Kegel
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Tiere in der Stadt, da denkt man doch gleich an die Füchse und Wildschweine, die unsere Vorgärten und Friedhöfe durchstreifen. Geduld – die kommen auch noch dran. Kegel erläutert zunächst mal, was die Stadt aus tierischer Sicht überhaupt ist: Eine Ansammlung von völlig unterschiedlich gearteten Flächen; Beton und Apshalt einerseits, Grünanlagen und Teiche andererseits. Alles exakt auf den Zentimeter abgezirkelt. Und darin unendlich viele Nischen, Höhlungen und Winkel, die als Unterschlupf oder Nistmöglichkeiten dienen können.
So weit so tierisch gut. Dann aber outet sich Kegel als Biologe, der lange Jahre mit Insekten und ähnlich kleinem Getier zu tun hatte – und das schlägt sich in der ersten Hälfte seines Buches massivst nieder. So muß sich der Leser durch rund 200 Seiten wühlen und sich mit den weniger appetitlichen Bewohnern der Stadt, der Häuser und sogar des Menschen befassen, bis er zu anmutigeren Stadtbewohnern wie den Singvögeln kommt. Dennoch das Buch ist sehr kenntnisreich, sehr detailliert und auch noch gut erzählt – also durchaus ein Gewinn. So definiert Kegel den Menschen als eine Ansammlung von kleinen und kleinsten Tieren:
„Falls Außerirdische jemals einen Menschen treffen sollten, würden sie ihn korrekt beschreiben als Ansammlung kleiner Lebewesen, die sich auf einem großen niedergelassen haben. Etwa so: Die irdische Lebensform besteht aus 988 Spinnentieren, 100.000.000.000.000 (in Worten: hundert Billionen) Bakterien, 1 Menschen, etwa 70 Amöben und manchmal bis zu 500 Madenwürmern.“
Allein die Billionen Bakterien machen etwa ein bis zwei Kilogramm unseres Körpergewichts aus! Aber sie helfen uns, die Nahrung zu verwerten, verteidigen das Terrain und wehren krankmachende Eindringlinge ab.
Den Weg zur Stadt mit ihren vielfältigen menschlichen und nicht-menschlichen Bewohnern und deren Zusammenfinden erläutert Kegel sehr eingängig damit, daß die heutige Stadt nicht plötzlich da war, sondern daß alles mit kleinen Hütten, Häusern, Dörfern begann, worin folglich über Jahrtausende hinweg die heutigen kleinen und kleinsten Mitbewohner am und um den Menschen diese gegenwärtigen engen Beziehungen ganz allmählich aufbauen konnten. Der Beginn dieser langen, wunderbaren „Freundschaft “ liegt sehr weit zurück – allerdings kann man seltenst sagen „Schau mir in die Augen, Kleines“, denn das Gegenüber ist entweder zu winzig klein oder hat verschwindend kleine Augen. Wie zum Beispiel die Bettwanze.
Damit sind wir bei der unvermeidbaren Information angelangt, daß die meisten Stadtbewohner Haus-, ja sogar Bettbewohner sind.
Bei der Vielzahl der eher unangenehmen , ja unappetitlichen Fakten über Wanzen, Flöhe, Schaben, etc. tröstet Kegel mit dem Hinweis, daß Bettwanzen erstaunlicherweise keine Krankheiten übertragen. Uff!!
Dieser Erleichterung steht allerdings die ernüchternde Erkenntnis gegenüber, daß der pestizidbewehrte Kampf gegen die häuslichen Mitbewohner in den zurückliegenden Jahrzehnten keine durchgreifende Wirkung gezeigt hat. Doch auch da findet Kegel Worte des Trostes und der Ermutigung: Der größte Feind all dieser unliebsamen Mitbewohner sei der Staubsauger, der ziehe Tierchen, Eier, Puppen, usw. einfach aus den feinsten Ritzen. Und das baut auf, wenn man liest, daß sich Schaben mit ihrem geölten Körper in klitzekleine Spalten zwängen können und somit andersartiger Verfolgung leicht entgehen.
Doch zurück zur Stadt und ihrer Fauna und Flora als Ganzes. Dem Postulat, die Tiere und Pflanzen flöhen (schöner, irgendwie passender Konjunktiv!!) aus der Unwirtlichkeit unserer pestizidverseuchten und ausgeräumten Landschaft in die nahrungsreichen, gut geheizten Städte, erteilt er in dieser pauschalen Sichtweise eine klare Absage. Die Behauptung stimmt nur an einigen Ort / Städten, anderenorts wiederum nicht. Die Forschung ist dazu nicht breit genug und vor allem noch zu jung.
So wandern in Zürich die Füchse (endlich sind wir bei diesen Tierchen!) nicht etwa in die Stadt, weil das Umfeld unwirtlicher geworden ist; vielmehr geschieht dies, weil in der Umgebung schon sehr viele Füchse leben. Die innovativen, unternehmungslustigen Füchse mit Expeditionsgeist dringen dann in die Stadt vor und etablieren sich dort. Das gilt aber – nach den vorliegenden Forschungsdaten – erst mal nur für Zürich. Woanders kann es ganz anders sein. In den USA z.B. zeichnet sich ab, daß nach den Füchsen nun die Kojoten die Städte erobern und mit denen ist nicht zu spaßen. Die greifen auch mal Menschen an, vor allem Kinder. Nebenbei stellt Kegel die Frage:
„Für welche Art von Fahrzeugen oder Fortbewegungsmitteln wurden Städte eigentlich geplant? Natürlich fällt einem zuerst das Automobil ein … Von wegen autogerechte Stadt …“
Ursprünglich wurden die Straßen breit und rechtwinklig aufeinander stoßend geplant, damit die Pferdefuhrwerke bequem verkehren konnten. Spitzwinklige Abbiegungen konnten sie nur schwer meistern. Immerhin gab es in Manhattan um 1900 die Rekordzahl rund 130 000 Pferden, die für das Transportwesen schufteten. Nebenbei produzierten sie bis zu 6500 Tonnen Pferdemist – täglich. Ein Paradies für Spatzen und andere Interessenten. Erst danach begann die Ära des Automobils auf den breiten Boulevards mit den exakten rechtwinkligen Abbiegungen. Nun zu den gefiederten Stadtbewohnern, die doch angenehmere Genossen sind. Z.B. die Amseln, die in jeder Stadt verkommen. Eine recht neue Immigrantin:
„Wann und wo Amseln begannen, in die Städte einzudringen, ist nicht ganz klar. Um 1900 lebte die Mehrzahl offenbar noch zurückgezogen in größeren Wäldern, beginnend in Südwestdeutschland wurde sie aber schon während des 19. Jahrhunderts immer häufiger beim Brutgeschäft in Städten beobachtet: 1830 in Augsburg, 1850 in Stuttgart und Frankfurt a.M., 1880 in Göttingen.“
Die Einwanderung vollzog sich also von Süden nach Norden. Doch was lockte die Amseln in die Städte?
„Die einfache Antwort lautet: Neben Nistplätzen vor allem Nahrung. Regenwürmer, sehr viele Regenwürmer – außer dem Homo sapiens erreicht kein anderes Tier in der Stadt eine solche Biomasse. Um an diese Leckerbissen zu gelangen, braucht die Amsel freien Zugang zum Boden, eine Bedingung, die außerhalb von Städten höchstens noch in Auwäldern gegeben ist….Wenn sie dem Boden nahe genug ist, hört die Amsel, wo Regenwurmborsten an den Wänden der Erdgänge schaben,… Deshalb liebt sie kurz geschorenen Rasen.“
Der kurz geschorene Rasen entsteht jedoch mit Hilfe eines Rasenmähers, nur eine von vielen Lärmquellen, die den Stadt-Menschen nerven; die Stadt-Tiere müssen ebenfalls mit dem Lärm fertig werden.
„Kohlmeisen, bei uns eine der häufigsten Stadtvogelarten, haben in besonders von Verkehrslärm betroffenen Stadbezirken kleinere Gelege und ziehen, unabhängig von der Zahl der gelegten Eier, weniger Nestlinge auf, wenn sie dem Lärm im April während der Aufzucht der Jungvögel ausgesetzt sind.“
Also, ganz ähnlich wie bei den Menschen, die ja auch geringere Geburtenraten aufweisen … Ich wußte als Hobby-Ornithologe, daß Nachtigallen in der Stadt heiser werden können, weil sie in der Balzzeit als Rund-um-die-Uhr-Sänger möglichst laut gegen den Umweltlärm anschreien müssen. Immerhin wurde für eine singende Nachtigall in Berlin der unglaubliche Wert von 91 Dezibel einen Meter vor ihrem Schnabel errechnet!
Daß Vögel aber auch die Frequenzhöhe ihres Gesangs anheben, um die tieferen Stadtgeräuschfrequenzen zu übertönen, war mir neu. Doch wir Menschen heben ja auch die Stimme, um uns in geräuschintensiver Umgebung verständlich zu machen. Die einfachste Lösung: Dann singen, wenn es rundherum leise ist. Da ist die Nachtigall wiederum sehr im Vorteil.
Und wie ist es mit dem Stress, die jeder Mensch in unseren hektischen Städten verpürt – leiden die Tiere auch darunter? Grundsätzlich ja, aber … Untersuchungen an europäischen Amseln und us-amerikanischen Baumeidechsen zeigen, daß sich die Stadt-Tiere sogar genetisch anpassen, sie haben deutlich weniger Stresshormone im Blut als die Landeier. Ihre Botschaft lautet also:
„Reg dich nicht so auf! Wenn du an den Honigtöpfen der Städte schlecken willst, dann mußt du mit dem Stress leben. Und bleib cool, wenn du die großen Zweibeiner kommen siehst. Sie tun dir nichts. Nur auf die fiesen Katzen mußt du aufpassen.“
Bernhard Kegel zeigt in seiner gelungenen Symbiose von wissenschaftlichen Fakten und spannenden Erzählungen, daß Vögel und Säugetiere durchaus unterschiedliche Persönlichkeiten entwickeln – eine Vorstellung, die Hunde- oder Katzenbesitzer sofort bestätigen würden. Er macht aber auch den Begriff der Synanthropie greifbar, also die Assoziation von Tier- und Pflanzenarten mit dem Menschen in dessen direkter Umgebung, in der Stadt, vor seiner Haustür, ja sogar in seiner Wohnung. Da der Trend zum Wohnen in der Stadt – nicht nur bei den Tieren – weiter wachsen wird, kann dieses Buch für jeden eine wichtige Informationsquelle sein, der an einem lebenswerten Umfeld für Mensch und Tier interessiert ist.
Text und Podcast stehen unter einer Creative Commons-Lizenz BY-NC-ND 3.0
Quelle: PJ Klein/SchönerDenken
Bernhard Kegel
Tiere in der Stadt – Eine Naturgeschichte
Dumont ISBN 978-3-8321-9781-6, 22.- €