Wie man bei Windstärke 10stilvoll eine Tasse Tee trinkt

Abenteuerlich: Thomas liest Conefrey
Der Titel hatte mich sofort neugierig gemacht: „Wie man bei Windstärke 10 stilvoll eine Tasse Tee trinkt“. Das klang nach souveränen Abenteurern, die ihren Humor nicht verlieren, auch wenn es stürmischer wird. Und der dann verschwörerische Untertitel: „Das geheime Wissen der Abenteurer und Entdecker“. Dazu auf dem Cover eine Fotografie einer Scott-Expedition zu Beginn des 20. Jahrhunderts: ein gut gelaunter Polarforscher, der einen Kopfstand macht. Und der Klappentext verspricht witzige, unterhaltsame, hinreißende Lektüre. Begeistert aufgeschlagen und los.

Die Ernüchterung stellt sich recht schnell ein. Conefrey, Bergsteiger und Dokumentarfilmer, pflegt einen wüstenstaubtrockenen Stil, der vollkommen frei von eigener Meinungsäußerung und von jeglicher Spur von Humor ist. Er stellt eine Menge Fakten zusammen und liefert ein kleines Lexikon der Wüsten-, Polar- und Himalaya-Expeditionen ab. Aber sobald es interessant wird, springt er zum nächsten Thema. Zum Beispiel spricht er von einem „bizarren Vorfall“ auf dem Schiff „Polaris“ 1871 in der Arktis, der dazu führte, dass die eine Hälfte der Mannschaft auf einer Eisscholle ausgesetzt wurde und die andere Hälfte davon fuhr unter dem Kommando eines volltrunkenen Kapitäns. Mehr erfahren wir leider von diesem „bizarren“ Vorfall nicht.

Was Conefrey uns hier vorenthält: Der Captain der Polaris, Charles Francis Hall, konnte sich seine Mannschaft nicht aussuchen. Das übernahmen Politiker. Die Crew aus Deutschen und Amerikanern war überfordert und untereinander verfeindet. Hall wurde an Bord vergiftet, wahrscheinlich ermordet. Danach wurde die Hälfte der Mannschaft ausgesetzt und neun Monate später von einem Walfangschiff entdeckt und gerettet.

Viel zu selten gibt es Anekdoten wie diese:

Zu viktorianischer Zeit begleitete Tschingel, der Hund des Bergsteigers und Alpinhistorikers William Coolidge, sein Herrchen auf viele Alpentouren und war bei elf Erstbesteigungen dabei. Am Ende soll er als Mitglied des Alpine Club nominiert, jedoch abgelehnt worden sein, weil „er“ eine Hündin war. Dem Club durften damals nur männliche Wesen beitreten. Tschingel hatte 34 Junge.

An anderer Stelle spricht er von Theateraufführungen, organisiert und dargeboten von Mitgliedern von Polarexpeditionen zur Zerstreuung der Mannschaft – angefangen mit William Parry 1819 auf seiner Suche nach der Nordwestpassage. Aber natürlich gibt es keine Details, keine Zitate. Auch nicht aus den verschiedenen Expeditionszeitungen, für die sogar Druckmaschinen mitgeführt worden sind.

Da fehlt Conefrey jeder Hauch von Gespür, was wirklich eine hinreißende Lektüre ausmacht. Ich habe auf jeden Fall schon Proseminararbeiten und Brockhaus-Einträge mit mehr Schmiss und Pointen gelesen. Ach ja, am Ende der mühsamen Lektüre angekommen, wird klar: Geheim ist das zusammen getragene Wissen auf jeden Fall nicht. Und wir wissen immer noch nicht, wie man eine Tasse Tee stilvoll bei Windstärke 10 trinkt.

Wer sich für den Alltag von abenteuerlichen Expeditionen interessiert, sollte dann doch besser zu den Berichten der Forscher selbst greifen, zum Beispiel zu Wilfred Thesigers „Die Brunnen der Wüste“ oder Jon Krakauers „In eisige Höhen“, statt zu Conefreys lauwarmer Mogelpackung, dessen lesenswertester Abschnitt das ausführliche Literaturverzeichnis ist.

Mick Conefrey
Wie man bei Windstärke 10 stilvoll eine Tasse Tee trinkt
Das geheime Wissen der Abenteurer und Entdecker

ISBN 978-3-492-25193-8
Piper Verlag, 282 Seiten, 8 Euro

Link

Mehr über die Geschichte der Polarforschung (Deutschlandfunk).

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