„Mr. Banks, sprechen wir doch mal über Ihre Unkultur …“ 1. Die Wespenfabrik

Hendrik liest drei der Nicht-SF-Romane vom Autoren des <Culture>-Zyklus: <Die Wespenfabrik>, <Träume vom Kanal> und <Die Aufsteigerin>

Erster Teil: Die Wespenfabrik

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I.

Der <Culture>-Zyklus, darunter die Romane <Bedenke Phlebas>, <Das Spiel Azad> und <Exzession>, zählt zweifellos zu den intelligentesten und gelungensten neueren Space Operas und damit zu meinen klaren Favoriten in diesem Genre. Mit den Büchern von Iain Banks, die nicht der von mir so geliebten Science Fiction zugehörig sind, geht es mir daher ein wenig wie mit den Soloalben der Keyboarder meiner Lieblingsbands: irgendwie bin ich vorab schon entschlossen, sie ebenfalls zu mögen, aber zugleich bin ich mir nicht sicher, ob sie die Elemente enthalten, die ich an den mir bereits liebgewordenen Veröffentlichungen schätze.

Und so ist die Lektüre einiger Nicht-SF-Romane von Iain Banks für mich eine gute Gelegenheit herauszufinden, was mich an seinen Büchern eigentlich so reizt:

II.

<Die Wespenfabrik> ist Banks‘ überaus erfolgreiches Erstlingswerk von 1984. Nach dem SF-Roman <Bedenke Phlebas> war es das zweite seiner Bücher, die ich vor Jahren las, und zwar in der heute längst als naiv entlarvten Annahme, der Heyne Verlag veröffentliche in seiner Science Fiction und Fantasy-Reihe auch nur Science Fiction und Fantasy. <Die Wespenfabrik> ist weder das eine noch das andere, vielmehr ein ungewöhnliches Familien- und Adoleszenzdrama, dessen Besonderheit sich zunächst vor allem aus der Erzählerperspektive speist. Die erzählende Stimme gehört Francis Leslie Cauldhame, sechzehn Jahre alt und mit großer Intelligenz, einer reichhaltigen Phantasie und einer ausgeprägten Neigung zur Grausamkeit ausgestattet –

„Vielleicht sollte ich mir eines dieser Weckradios mit Leuchtdiode wünschen, obwohl ich eigentlich sehr an meinem alten Messingwecker hänge. Einmal habe ich je eine Wespe an die Klangkörper der kupferfarbenen Glocken auf dem Gehäuse gebunden, so daß der kleine Hammer auf sie eindrosch, wenn am Morgen der Alarm losging. Ich wache immer vor dem Weckerläuten auf, deshalb konnte ich es beobachten.“ (S. 28)

Francis lebt, gemeinsam nur mit dem absonderlichen Vater, der seine Zeit mit von ihm geheimgehaltenen Experimenten verbringt, an einer abgelegenen Stelle der schottischen Küste, besucht keine Schule, sondern inszeniert mit in einem Schiffswrack gefundenen Explosivstangen in den Dünen Kriegsspiele.

Der ältere Bruder Eric befindet sich seit Jahren in einer geschlossenen Anstalt, nachdem er einst plötzlich Kinder aus dem nahen Ort attackiert und einige Hunde mit Benzin übergossen und angezündet hatte. Nun ist er jedoch aus der Anstalt entwichen und mutmaßlich auf dem Heimweg. Während Francis der Begegnung mit dem unheimlichen Bruder entgegensieht, erzählt das seltsame Kind seine Geschichte und auch die seiner Familie und wartet zuletzt mit einem doch sehr überraschenden Ende auf. Wenn Sie zu denjenigen zählen, die vor der regulären Lektüre eines Buches zunächst die letzten zwei Seiten lesen: lassen Sie’s diesmal.

Der Roman ist, das kann man sich bei dieser Erzählperspektive vorstellen, stellenweise in dem, was er schildert, etwas ungemütlicher und drastischer, als es zumindest mir für gewöhnlich lieb ist. Bücher mit Sätzen wie

„Manchmal wünschte ich, wir hätten eine Katze. Bisher besaß ich lediglich einmal einen Katzenkopf, und den haben mir die Möwen geklaut.“ (S. 22)

lege ich für gewöhnlich rasch beiseite. Aber Banks beweist bereits in seinem Debutroman, dass er die Gabe besitzt, auch extremen Charakteren eine überzeugende Stimme und biographische Plausibilität zu verleihen. Auch der ungewöhnlichste Mensch hat Wurzeln, Motive, einen Werdegang und Wege der Selbstbegründung, und es zählt für mich Buchfan zu den Königsdisziplinen, solche Charaktere über Buchlänge hinweg aufrecht und interessant zu erhalten. So verschiedene Autoren wie Margaret Atwood und Shirley Jackson, William Golding und Peter S. Beagle haben sich in dieser Disziplin Ehre gemacht, und Banks hat sich selbst mit <Die Wespenfabrik> eine ungemütlich gelungene Steilvorlage geliefert.

Morgen folgt bereits der zweite Teil.

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