„Wir kommen um die Tatsache nicht herum: Wir sind dumm geboren.“

Dummheit

PJ liest „Dummheit – Warum wir heute die einfachsten Dinge nicht mehr wissen“ von Ernst Pöppel und Beatrice Wagner.

„Es gibt gut eingekleidete Dummheiten, wie es sehr gut angezogene Dummköpfe gibt“

meinte bereits Nicolas Chamfort (1741 – 1794). Heute stellen sich der Hirnforscher Ernst Pöppel und die Psychologin Beatrice Wagner die Frage, warum das menschliche Wissen stetig gewachsen ist, aber dennoch aller Orten dumm agiert wird. Sie wollen der Dummheit auf den Grund gehen.

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Dumm ist nicht gleich dumm – es gibt sehr unterschiedliche Formen der Dummheit. Zum Beispiel die „Anpassungsdummheit“. Sie ensteht durch sozialen Druck, wenn wir etwas tun oder denken, das aus dem Rahmen fällt.

„Anpassungsdummheit ist in vielen gesellschaftlichen Runden zu beobachten. Man sitzt freundschaftlich … zusammen, und mit einem Mal tischt der Wortführer eine haarsträubende These auf: etwa dass alle Araber Islamisten sind oder alle Chinesen geschäftstüchtig oder alle Politiker korrupt. Und obwohl man es besser weiß, hält man den Mund, um des lieben Friedens willen.“

Eine weitere Form ist die „Mediale Dummheit“. Sie entsteht durch den Zwang, komplexe Sachverhalte zu reduzieren, dem Journalisten unterliegen.

„Also vereinfachen sie und und inszenieren Meinungen. Dies geschieht etwa, indem man Gallionsfiguren auswählt, deren Kompetenz gemeinhin anerkannt ist und die zu allen wichtigen Punkten befragt werden …. Für Zwischentöne bleibt oft kein Platz, die Zeit reicht nur für holzschnittartige Positionen. Und es ist durchaus praktisch für die Zuschauer und Zeitungsleser, Meinungen in mundgerechten Happen serviert zu bekommen …“

Sinnnvollerweise geben Pöppel/Wagner neben diesen Definitionen praktische Tipps, wie man nicht in diese dummen Sackgassen rennt. Hinzu kommen Literaturhinweise mit knappen Inhaltsangaben in einem eigenen Kasten an passender Stelle. Alles mit grafischen Icons markiert, bzw. gekennzeichnet, so daß der Charakter eines Ratgebers entsteht. Eine weitere Form ist die „Schnelligkeitsdummheit“. Sie entsteht, wenn Geschwindigkeit und Zeitdruck allzu groß werden. Es kommt zum „rasenden Stillstand“. Nichts geht mehr oder nur noch ganz langsam und quälend. Das Gegenmittel heißt „Komplexitätsreduktion“.

„Das bedeutet, aus den vielen Möglichkeiten des Lebens eine herauszusuchen und sich auf diese zu konzentrieren. Dies geht nur über Priorisierung und Pausen.“

Also – es gibt kein Sparbuch für die Zeit und Multitasking gelingt sowieso nicht. Gewinnbringend sind die Ausflüge in die Hirnforschung oder die Soziologie. So zum Thema Freundschaft, das bei näherer Betrachtung einen gewichtigen Unterschied zwischen Männern und Frauen aufzeigt. Dabei geht es um die Bereitschaft, Beziehungen zu fremden Menschen aufzubauen:

„Bei Frauen gelingt dies face-to-face: Sie sitzen sich gegenüber und reden über alles, was sie bewegt. Männer bauen eine Beziehung häufig side-to-side auf, indem sie gemeinsam etwas unternehmen oder zusammen Sport treiben.“

In Zeiten von Facebook und Co scheint es wichtig und auch möglich, sehr viele Freunde zu haben. Doch da spielt das Gehirn nicht mit: Es ist nur auf den Kontakt mit etwa 150 Personen ausgerichtet – das ist evolutionsbedingt. Schließlich wollen Freundschaften auch gepflegt werden.

„Irgendwann kommen Sie auf eine stattliche Anzahl von 50, 100 oder sogar 500 Freunden. Und die wollen es genau wissen. … Sie erwarten schnelle Antworten auf Chatnachrichten, …sie wollen ‚Likes‘, …und anerkennende Kommentare. … Im virtuellen Raum können wir uns der Konfrontation mit unseren eigenen Schwächen leichter entziehen – dadurch entgeht uns aber die Möglichkeit, zu wachsen. Und deswegen sind ‚Freundschaften‘, die rein über soziale Netzwerke oder Internetforen funktionieren, keine Freundschaften.“

Eine weitere Dummheit ist die Aufschieberitis: Sich nicht entscheiden, um keine Fehler zu machen. Hinzu kommt als Steigerung, einen Unterschied zu machen zwischen rationalen und intuitiven Entscheidungen. Denn unser Gehirn ist so vernetzt, daß jede einzelne Nervenzelle nur vier Schaltstellen von jeder anderen Nervenzelle entfernt ist. Ergo liegen sogenannten Bauchentscheidungen durchaus Denkvorgänge, aber unbewußte zugrunde.

Außerdem hilft Vilfredo Pareto: Nach seinen Erkenntnissen benötigt man 20% der Gesamtzeit, um 80% eines Projektes zu erledigen, aber 80% der Zeit, um die restlichen 20% zur Perfektion zu bringen. Also – oftmals sollte man sich mit 80prozentiger Perfektion zufrieden geben … Ein Sachverhalt lässt den Leser des Buches an sich und der Menschheit verzweifeln: Um der Dummheit zu entgehen, versuchen wir, immer mehr zu erfahren, zu erkennen, zu lernen. Doch –

„Wir kommen um die Tatsache nicht herum: Wir sind dumm geboren.“

Die Autoren zeigen anhand der Geschichte des Lebens auf, daß mit dem menschlichen Verstand auch die Dummheit in die Welt kam.

„Die Außenperspektive entstand, also das Denken über das Denken, und damit kam die Dummheit in die Welt. … Denn nun ist es möglich, zu lügen, zu heucheln, misszuverstehen, dumme Fragen zu stellen …“

Und es entstanden die Vorurteile, denn das Gehirn mag es gemütlich. Man bleibt gerne in seiner Komfortzone.

Ernst Pöppel und Beatrice Wagner haben auf 350 Seiten viel Kluges über die Dummheit in ihren verschiedensten Ausprägungen geschrieben (Inklusive eines kommentierten Literaturverzeichnisses). Allerdings erschien mir das Buch nicht so ganz aus einem Guss, der rote, erzählerische Faden fehlte mir. Aber vielleicht bin ich einfach zu dumm dazu.

Immerhin wurde mir klar, daß Dummheit sehr viel mit Zeit zu tun hat:
• schnelle Vorurteile erleichtern Wertungen
• flotte monokausale Erklärungsmuster liefern einfache Erklärungen
• Zeitdruck zwingt zu schnellem Entscheiden
Die Kombination der drei Faktoren führt beinahe zwangsläufig in die Dummheit. Einstein bleibt somit weiter aktuell:

„Zwei Dinge sind unendlich, das Universum und die menschliche Dummheit, aber bei dem Universum bin ich mir noch nicht ganz sicher.“

Text und Podcast stehen unter der Creative Commons-Lizenz BY-NC-ND 4.0
Quelle: PJ Klein/SchönerDenken

Ernst Pöppel und Beatrice Wagner
Dummheit – Warum wir heute die einfachsten Dinge nicht mehr wissen
Riemann Verlag
Gebundene Ausgabe: 352 Seiten
ISBN-13: 978-3570501597

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