Hendriks 2000: Die Kino-Top-Ten zwischen den Jahrtausendsilvestern


In unserer Reihe “14 Jahre ohne Kino” steht das Jahr 2000 auf dem Programm. Nach Florian Lieb (Symparanekronemoi) präsentiert uns Hendrik seine Liste der liebsten Lieblingsfilme

Im Kalenderjahr zwischen dem Jahrtausendsilvester für die Zahlenmystiker und dem anderen Jahrtausendsilvester für die, welche rechnen können (und zugleich naiv genug sind, an die Stringenz unseres Kalenders zu glauben), gab es tatsächlich für mich einige recht bemerkenswerte Filmmomente.

Die B-Liga wird dabei für mich aus den folgenden sieben Filmen gebildet:
THE CELL erwies sich als visuell beeindruckender Psychothriller mit hohem Spannungsfaktor, der dieses mir sonst eher unliebe Genre doch für 100min recht reizvoll hat werden lassen.

CHICKEN RUN ist nicht einmal das beste Werk aus dem Hause Nick Park und trotzdem ein sehr gelungener kurzweiliger und detailverliebter Animationsfilm der Extraklasse.

Der düstere Musikfilm DANCER IN THE DARK lässt mich verzweifelt nach einem Antonym zum Ausdruck guilty pleasure suchen – compulsory exercise vielleicht. Lars von Trier hat hier eine beeindruckend konsequent gefühlsdunkle und schicksalsschwere Doppelschicht von einer Melancholie erschaffen, für die es irgendwie kaum je den ‚richtigen Moment‘ zu geben scheint. Ein Film, den gesehen zu haben mir wichtig ist, aber schön war es nicht.

MISSION TO MARS ist eine optisch höchstglanzpolierte Zukunftsvision, die sich einer einfachen, aber angenehm unzeitgemäßen Geschichte anvertraut. Ein Film völlig ohne Actionkonflikt oder Bösewicht, dafür mit einem sehr gemächlich inszenierten sense of wonder, dem jedoch zuletzt misslingen muss, was auch in ‚Contact‘ nicht geraten konnte: das Unvorstellbare zu visualisieren. Nicht gerade ein werdender Klassiker, aber schön anzusehen.

PITCH BLACK fällt dann wieder ganz klassisch unter guilty pleasure, ein cooler B-Film mit vielen vorhersehbaren und einigen schauderhaft plötzlichen Effekten, der in seinem Genre perfekt funktioniert.

DER TALENTIERTE MR. RIPLEY ist perfekt besetztes Spannungskino, das ich schon unter 1999 erwähnt habe, aber gerne nochmal aufführe, weil es ganz klar eine der besseren Highsmith-Verfilmungen ist.

Zuletzt: X-MEN, der erste Film der einzigen Reihe von Menschen-mit-Superkräften-Filmen, die je bei mir zu zünden vermochten; vielleicht wegen der wiederum perfekten Besetzung (McKellen vs. Stewart ist einfach eine schlichte Freude), der ausgewogen gestreuten Selbstironie, der (genreuntypisch durchdachten) Charakterisierungen, vielleicht aber auch nur, weil ich mehr als eine Geschichte dieser Art nicht brauche. Dann eben gerne diese.

Meine persönliche A-Liga des Filmjahres 2000 besteht dann aus diesen drei Siegertreppchenstehern:

Bronze: HIGH FIDELITY. Die Faszination dieses Beziehungsfilms für Plattensammler ist wohl generationenabhängig, denn „Ich zieh’s Dir auf den USB-Stick“ ist einfach nicht das Gleiche wie das gute alte „Ich mach‘ Dir’n Tape“. Ich habe meine ersten Beziehungslaufschritte eng verknüpft mit genau diesem Lebensgefühl erlebt, auch ich habe abendelang an der perfekten Playlist für die perfekte Frau gebastelt und in weltschmerzenden Stunden meditativ meine Plattensammlung umsortiert („Ich sortiere meine Plattensammlung um.“ „Klasse! Chronologisch? Nach Stilen? Och nee, doch wohl bitte nicht alphabetisch?!“ „Aber nein! Biographisch.“ „Boah!“). John Cusack ist der perfekte Spiegel für diese Erinnerungen, und deswegen ist der Film der perfekte Spiegel für diesen Teil von mir. Und der Soundtrack ist klasse.

Silber: SPACE COWBOYS. Dieser Film hat nicht nur volle Bonuspunkte im Bereich Regie (Maßeinheit für die grundlegende Eleganz einer Regieführung = 1 Eastwood), sondern auch in punkto Besetzung. Er ist sehr vieles zugleich: eine Liebeserklärung an den Traum vom Menschen im All, ein Superspätwestern, eine selbstironische Hommage an das eigene Heldenbild, eine entspannte Komödie, ein glaubhaftes Drama. Selbst die zunächst überholt wirkende Kalter-Krieg-Thematik passt sich ein, denn schließlich geht es ja auch um ein plötzlich erwachtes Relikt des Kalten Krieges. Die Auseinandersetzung mit dieser technischen Herausforderung ist eines der wenigen mir bekannten Filmbeispiele, in denen der handlungsbezogene Höhepunkt fast den uninteressantesten Teil des Filmes darstellt, denn bis es soweit ist, macht es einfach unglaublichen Spaß, der Altherrenriege Clint Eastwood, James Cromwell, Tommy Lee Jones, Donald Sutherland und James Garner bei ihrem verknittert-knurrigen Gerangel zuzusehen. Das Ende des Filmes hat für mich den Sinatra-Klassiker (der zugleich eine Art inoffizielle Hymne des Apollo-Programms zu sein scheint) „Fly Me to the Moon“ als liebevollen Ohrwurm etabliert.

Gold: O BROTHER WHERE ART THOU – EINE MISSISSIPPI-ODYSSEE. Diesen Film habe ich AN ANDERER STELLE schonmal als einen meiner Lieblingsfilme überhaupt deklariert, also ist es logisch, dass er auch mein Lieblingsfilm für sein Kinojahr 2000 ist (auch wenn ich ihn, glaube ich, erst etwa in 2002 oder 2003 gesehen habe). Neben der bis ins letzte Nebenfigürchen perfekten Besetzung, der wunderbaren sommerflirrenden Südstaatenlandschaft, der unglaublich frischen ‚alten‘ Musik und der superben Dialoge ist es vor allem die spielerisch-virtuose Eigendynamik der Erzählung, das entrückte magische Gefühl, dass uns dazu einlädt, gerne alles zu glauben, wenn es nur gut genug erzählt wird. Nur wenigen Filmen ist es zu eigen, uns mit dieser speziellen Essenz des Staunens zu umgeben. Und fast immer ist es nur ein kurzer perfekter Moment: der zum Heulen schöne perfekte Augenblick, in dem in „Bright Star“ die Geliebte John Keats‘ allein auf ihrem Bett liegt, während zu ihren Füßen der Sommerwind am geöffneten Fenster zärtlich mit dem Vorhang spielt; die atemraubende sekundenlange Zeitlosigkeit, in dem Kamera und Orchester in „The Fellowship of the Ring“ die unglaublichen Dimensionen der Felsenhalle in Mória enthüllen; das Herabfallen des Rings in „The Sixth Sense“. Dieses eine Mal (und für mich wirklich nur dieses eine Mal) haben es die Coen-Brüder verstanden, den gewichtslosen Extrakt vieler solcher Momente aneinanderzubinden und mit der traumwandlerischen Spursicherheit eines Blinden auf einer Draisine Stück für Stück vor uns auszubreiten.

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