4.3.1861: Lincolns „Inaugural Address“

Die USA am Scheideweg: Präsident Lincolns Rede zum Amtsantritt

Präsident Lincoln steht für die nationale Einheit der USA. Seine Antrittsrede vom 4. März markierte jedoch einen Wendepunkt im Selbstverständnis der Vereinigten Staaten.

Mit Lincoln’s Inauguration Adress vom 4. März 1861 kündigte sich einer der zentralen Konflikte der amerikanischen Verfassungsgeschichte an. „Life, liberty and the pursuit of happiness“ waren und sind bis heute die drei Eckpfeiler der amerikanischen Gesellschaft, der vierte ist die föderale Grundordnung der Vereinigten Staaten. Obwohl nicht explizit ausgedrückt und mit dem individuellen Anspruch auf Leben, Freiheit und dem Streben nach Glück nur umschrieben, waren die 1787 gegründeten „Vereinigten Staaten von Amerika“ eine Eigentümergesellschaft. Und nach einer blutig erkämpften Unabhängigkeit stand genau der Schutz desselben als Staatszweck im Vordergrund.

Geänderte Verfassungsrealität

Verfassungsrealitäten ändern sich, auch in den USA. Siebzig Jahre nach ihrer Gründung interpretierten der agrarisch geprägte Süden und der sich allmählich industrialisierende Norden die Verfassung unterschiedlich. Die jahrzehntealte Balance zwischen Freiheitsrechten und Eigentumsgarantie wurde durch die veränderten Interessen der Bundesstaaten neu justiert. Verschärft wurde die Situation durch die in Folge des „Louisiana Perchase“ neu entstehenden Bundesstaaten. Mit der Besiedlung der neu hinzugewonnenen Westterritorien verschob sich das Kräftegleichgewicht im Senat. Die Vereinigten Staaten steuerten auf einen sowohl ideell als auch strukturell bedingten Verfassungskonflikt zu. Die Strategie die Union durch die Ausklammerung strittiger Verfassungsfragen zu erhalten, war an ihre Grenzen gestossen. Insbesondere, die immer noch offene Sklavenfrage, wirkte hierbei als Brandbeschleuniger. Angesichts dieser Spannungen unterstrich Lincoln 1861 in seiner Antrittsrede die verfassungsrechtliche Bedeutung der Bundesstaaten für den Erhalt der Union:

„That the maintenance inviolate of the rights of the States, and especially the right of each State to order and control its own domestic institutions according to its own judgment exclusively, is essential to that balance of power on which the perfection and endurance of our political fabric depend“

Nein zur Sklaverei

Gleichzeitig forderte er aber auch, als der gewählte Präsident der Union, eine Lösung der offenen Verfassungsfragen. Hierzu gehörte auch die seit Jahrzehnten zwischen den Nord- und Südstaaten diskutierte Frage: Sind in den Norden geflohene Sklaven an den Süden auszuliefern? Doch Lincoln gedachte dabei nicht die Position eines Vermittlers einzunehmen, sondern unterstützte die Forderungen der Nordstaaten.

„Again, in any law upon this subject, ought not all the safeguards of liberty known in civilized and humane jurisprudence to be introduced. so that a free man be not, in any case. surrendered as a slave?“

Gefahr der Sezession

Mit der Ablehnung geflohene Sklave auszuliefern, nahm er bewusst gegen die entsprechenden Bestimmungen des 5. Zusatzartikels der amerikanischen Verfassung Stellung. Ebenso widersprach Lincoln aber auch der Rechtsprechung des Supreme Court (Dred Scott versus Sandford) sowie den Bestimmungen des „Nebraska-Kansas-Act“. Beide Bestimmungen hatten zwar eine Antwort auf die Legitimität der Sklaverei vermieden, aber gleichzeitig die bestehenden Rechtsverhältnisse zwischen den Bundesstaaten bestätigt. Lincoln wusste: Ein Präsident, der diese Ausgangssituation in Frage stellte, rüttelte an dem Fundament der Union. Um den sezessionistischen Bestrebungen der Südstaaten keine weitere Argumente zu liefern, vermied er deshalb weitergehende Forderungen wie zum Beispiel die generelle Aufhebung der Sklaverei. Zu deutlich war die Erinnerung an die Entstehung der Unabhängigkeitserklärung. Mit dem Vorwurf der Despotie, der widerrechtlichen Enteignung und der damit einhergehenden Versklavung freier Bürger hatten amerikanischen Kolonisten 1776 die Loslösung vom britischen Mutterland erzwungen und ihre Sezession begründet. Stattdessen betonte er den Wert der Union, der über den rechtlichen Auseinandersetzungen anzusiedeln sei und damit über der Verfassung stehe.

„Descending from these general principles, we find the proposition that, in legal contemplation, the Union is perpetual, confirmed by the history of the Union itself. The Union is much older than the Constitution.“

Ein Spiel auf Zeit

Trotz aller Unstimmigkeiten: Die Union war demnach rechtlich, wie politisch intakt. Der zwischen den Bundesstaaten geschlossene Vertrag dementsprechend bindend. Abspaltung dagegen bedeutete für Lincoln Anarchie und Vertragsbruch, sie war mit allen gebotenen Mitteln zu verhindern. Verhandlungen, statt ungeduldigem Handeln sollten die Lösung bringen. Lincoln spielte auf Zeit, suchte in den neu entstehenden Bundesstaaten westlich des Ohio nach Bündnispartnern und bemühte sich die Südstaaten zu isolieren. Eng damit verbunden war die Suche einem Schuldigen im Falle des Scheiterns.

„In your hands, my dissatisfied fellow countrymen, and not in mine, is the momentous issue of civil war. The government will not assail you, You can have no conflict, without being yourselves the aggressors.“

Eine Strategie, die angesichts der existenzbedrohenden Abwanderungsbewegung der Sklaven die Abspaltungstendenzen in den Südstaaten noch beschleunigte. Das Gespenst der Sezession, in Lincolns Rede allgegenwärtig, nahm in den darauf folgenden Monaten konkretere Formen an.

Video

1961 wurde das Jubiläum mit einem „reenactment“ gefeiert – hier Bilder aus einem Nachrichtenfilm:

Der Beitrag erschien zuerst bei suite101.

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