Pengoblins Leseliste

Hendrik nimmt teil an der schönen Blogparade des Wiener Studenten Udo Seelhofer, die noch bis zum 4. März für Teilnehmer geöffnet ist.

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Bücher sind Grundnahrungsmittel, und das Wort Lesen schreibt sich mit vier e: leeesen. Nachdem ich mich an verschiedenen Stellen des Internets ja schon als zwanghafter Buchmöger geoutet habe, folgt hier umgehend eine Liste meiner Lieblingsbücher: Bücher, die mich bereichert, entführt, lesebesoffen gemacht, gestupst, zuweilen umgeworfen und wieder aufgerichtet haben, kurz: Bucherfahrungen, ohne die ich nicht der wäre, der ich bin.

1. & 2.) Die frühesten bewußt erinnerten Bücher, die mich so richtig fasziniert haben, waren DIE GLÜCKLICHEN INSELN HINTER DEM WINDE von James Krüss sowie NUR EIN STEIN von Ludek Pesek.

DIE GLÜCKLICHEN INSELN ist ein immer wieder mal aufgelegter Klassiker – es geht darin um eine Gruppe geheimnisvoller schwimmender Inseln, die nur per Zufall und nur von Lebewesen entdeckt werden kann, die ein Talent zum Glücklichsein haben. Ich sage Lebewesen, nicht Menschen, weil dort alle Tiere ganz selbstverständlich gleichberechtigt neben- und miteinander existieren, miteinander sprechen und befreundet sein können.

Der Lesende erlebt die Besuche auf den verschiedenen Inseln mit, z.B. jener Insel, wo man nur mit Musik seine Traumgebäude entstehen lassen kann. Ein traumhaftes und von mir oft verschenktes, zeitloses Buch – ich bin der festen Meinung, niemand, der DIE GLÜCKLICHEN INSELN als Kind geliebt hat, kann etwas anderes als Pazifist werden.

NUR EIN STEIN ist ein heute längst vergriffenes Bändchen. Erzählt wird die Lebensgeschichte des Wanderers – der als riesiger Felsbrocken vor Millionen von Jahren aus einem Vulkan geboren wird, die Erde um sich herum beobachtet, durch Erdverschiebung immer wieder verschüttet und durch Erosion wieder freigelegt wird, und mit seinen Wahrnehmungen Zeuge und Erzähler der aufeinanderfolgenden Erdzeitalter ist. Der Wanderer wird im Lauf der Jahrhunderttausende immer kleiner, bis er zuletzt ein runder Kiesel ist, der in einem Park von einem Jungen gefunden wird, der ihn jedoch dann wieder fortwirft, denn es ist „ja nur ein Stein“.

Lange Jahre hatte ich dieses Büchlein vergessen, aber meine eigene Schreiberei hat es mir irgendwann wieder in Erinnerung gebracht, und ich war sehr glücklich, es antiquarisch zu bekommen. Obwohl (Weil?) es für ein Kinderbuch sehr unsentimental und nüchtern geschrieben und illustriert ist, hat es mich immer wieder angesprochen. Vielleicht hat es mir Fragen zu beantworten geholfen, die man als Kind spürt, aber nicht auszuformulieren vermag.

3.) Das dritte intensive Leseerlebnis, das ich bewußt erinnere, ist WATERSHIP DOWN (UNTEN AM FLUSS) von Richard Adams, jene so fürchterlich verfilmte Kaninchensaga, die vom Auszug einer kleinen Gruppe Wildkaninchen auf der Suche nach einer neuen Heimat handelt. Ich müßte das Buch etwa mit 10 oder 11 inhaliert haben. Trotz stellenweiser Langatmigkeit ist es eine zeitlos packende Geschichte mit komischen, tragischen und dramatischen Elementen, und das Ende (des Romans wohlgemerkt, nicht des Films!) ist bis heute eines der drei für mich wunderbarsten und schöntraurigsten Enden eines Romans überhaupt; das geht es mir wie Harry Rowohlt mit dem Ende von Pu der Bär: da muss ich einfach immer heulen, für die Nummer könnte man mich buchen.

U.a. hinterließ mir der Roman eine Vorliebe für Binnengeschichten, gute Tierromane und fiktive Mythologien. Und der Schmachtfetzen ‚Bright Eyes‘ von Mike Batt & Art Garfunkel ist immer noch ein sentimentaler Mitsingprivatklassiker von mir. [Keine Angst jetzt]

4.) DIE GRÄBER VON ATUAN, den zweiten Band der Erdsee-Saga von Ursula K. LeGuin, kaufte ich 1981 in den letzten Minuten vor dem Aufbruch in einen ganz besonderen Urlaub (mit 13 für vier Wochen in ein Camp im kanadischen Busch), und trotz Buchpingeligkeit besitze ich genau diese zerlesene Taschenbuchausgabe inkl. Sandeinlage immer noch. Die für ein Jugendbuch eher düstere Geschichte eines Mädchens, das bereits als Kind in eine uralte, halbverfallene Tempelanlage gebracht wird, weil man in ihr die Wiedergeburt einer verstorbenen Priesterin sieht, hat mich wieder und wieder gefesselt – und zuletzt zu einem lebenslangen Fan LeGuins gemacht (woraus unter anderem ein Sachbuch über die Dame geworden ist). Es ist heute keines meiner Lieblingswerke von ihr mehr, aber es fällt ganz klar in die Kategorie der für mich bereicherndsten 10 Bücher. Für dieses Buch gilt sinngemäß, was Terry Pratchett einmal über den Lord of the Rings geschrieben hat: Dieses Buch führte mich zu einer Bibliothek. Und diese wiederum führte mich überallhin.

5.) Es folgte unweigerlich DER HERR DER RINGE von John Ronald Reuel Tolkien. Zwei eher gegensätzliche Kapitel daraus (Die Brücke von Khazad-Dum und Baumbart) kannte ich aus irgendeiner Sommerschmökeranthologie; und irgendwann interessierte mich der Zusammenhang zwischen diesen beiden Extremen. Ich ging nach Mittelerde hinein, kam nach drei Tagen wieder heraus, und war irgendwie nicht mehr derselbe.

Zwar habe ich nie jene Art von Begeisterung entwickelt, die ‚wahre‘ Fans die Elbensprachen erlernen und die Annalen der Mittelerde-Herrscher auswendig lernen läßt, aber es ist für mich bis heute ungebrochen eines der lebendigsterinnerten Leseerlebnisse.

6.) Meiner sich schon früh abzeichnenden Begeisterung für Phantastik weiter folgend, begegnete mir irgendwann DIE JAGD von Stanislaw Lem. Die zunächst unterkühlt und streng wirkenden Erzählungen des Piloten Pirx, die so gar nichts von der Hurramenschlichkeit Star Trekscher Space Operas haben, haben mich als Jugendlichen nicht direkt zum Fan gemacht, aber offenbar auch nicht in Ruhe gelassen, denn ich glaube, ich habe kein anderes Buch häufiger wieder und wieder gelesen. Heute nehme ich beide Bände mit Pirx-Erzählungen mindestens einmal im Jahr gerne wieder zur Hand und besuche damit zwei liebgewordene Freunde.

7.) Mit 16 lernte ich dann, was ein pangalaktischer Donnergurgler ist – zum Glück für Leber und Großhirn nur aus Douglas Adams‘ Serie PER ANHALTER DURCH DIE GALAXIS. Ich liebe seine Bücher bis heute – wenn auch vorzugsweise im Original -, und Adams‘ unvergleichlicher skurriler Humor hat mich für’s Leben für zweitklassige AutorInnen der nur vermeintlich witzigen Sorte verdorben.

8.) Eines der (ausnahmsweise nur bedingt phantastischen) Werke, die mich mit Anfang 20 nicht losließen, war B. Travens DAS TOTENSCHIFF, die tragikomische Lebensgeschichte eines mittellosen Seemanns, der – weil er seine Papiere verloren hat – quer durch Europa verschoben wird, bis er zuletzt auf einem alten rostigen Seelenverkäufer landet. Die nur vordergründig naiv-dümmliche, dabei oft überraschend tiefgründige Weltsicht des erzählenden Seemanns ist ein weltliterarischer Geniestreich, und seine aberwitzigen Erlebnisse balancieren gekonnt zwischen brüllender Komik und tiefer Melancholie. Und seit ich die alte Verfilmung mit Horst Buchholz gesehen habe, versuche ich sie wieder zu vergessen.

9.) Etwa zeitgleich las ich Margaret Cravens Kurzroman ICH HÖRTE DIE EULE, SIE RIEF MEINEN NAMEN, die Geschichte eines jungen Missionars, der – ohne zu wissen, dass er todkrank ist – in einem abgelegenen kanadischen Indianerdorf eine Missionsstation aufzubauen versucht. Ein poetischer, dabei völlig unsentimentaler stiller Klassiker, der mich vielleicht auch deswegen so berührt hat, weil ich ja die Landschaft kannte, in welcher der Roman spielt, und mich in die Handlungsorte von Erzählungen hinversetzt fühlen zu können, ist eine der schönsten Facetten des Lesens.

10.) Ich glaube, diese frühe Lese-Top-Ten mag ich mit dem Märchenroman LITTLE BIG, ODER DAS PARLAMENT DER FEEN von John Crowley beenden. Märchenromane sind ein mir zumeist äußerst suspektes Genre, aber LITTLE BIG wird mir stets als leuchtende Ausnahme in Erinnerung bleiben. Selten habe ich von einem u.s.-amerikanischen Autor ein so britisches Buch gelesen: Es ist eines jener Bücher, deren Inhalt sehr schlecht wiederzugeben ist – es ist ebenso die Geschichte einer halb verzauberten Familie, eines skurrilen Hauses oder einer schwierigen Liebe -, man muß sich darauf einlassen, und zu Beginn mit der männlichen Hauptfigur in den Roman hinein aufbrechen. Besonders gerne erinnere ich die vielen faszinierenden Nebendetails des Werkes, und das Schlußkapitel empfinde ich als eines der schönsten der mir bekannten Fantasyliteratur.

Um mich herum höre ich die aufgeregten Stimmen von Büchern, die unbedingt erwähnt werden möchten, weil sie aus etwas anderer Perspektive fast genau oder genau so gut oder sogar etwas eher auf die Liste der wichtigsten zehn Bücher gehören. Nun denn:

11.&12.) DIE 12 STRICHE DER WINDROSE und DIE KOMPASSROSE sind zwei Erzählungssammlungen der schon erwähnten U.S.-Autorin Ursula K. LeGuin, die ganz klar und unangefochten den allerersten Platz auf meiner nach hinten offenen Liste der LieblingsautorInnen innehat. Sie hat nicht nur mein eigenes Schreiben, vielleicht sogar mein ganzes Denken wesentlich beeinflußt. Obwohl sie zum größten Teil als Science Fiction & Fantasy-Autor vermarktet wird, enthalten viele ihrer Werke nicht mehr SF-Elemente als z.B. die Margaret Atwoods oder Doris Lessings. Neben ihrem poetischen, sanftsicheren Stil schätze ich besonders ihre Fähigkeit, besondere Erzählperspektiven und schlichtergreifende Metaphern zu finden. Der klassische Haudraufheldentumslesenwollende wird ihre Bücher fade finden – ich liebe ihre beiläufige narrative Weisheit.

13.) Anfang/Mitte der 90er entdeckte ich einen für mich ganz neuen Autoren: Italo Calvino. Auf niemand anderen paßt so gut der Begriff des „Fabulierers“. In meisterhafter Sprache (zum Glück gut übersetzt!) spielt Calvino mit den erzählerischen Möglichkeiten einer phantastischen Idee.

Ob er von einem Menschen erzählt, der im Alter von 8 Jahren beschließt, den Rest seines Lebens auf Bäumen zu verbringen (was ihm auch gelingt), ob er ein Geschichtengeflecht nur anhand einer Reihe von Tarotkarten entwirft, ob er von einer Ritterrüstung erzählt, die so vom Glauben an die Sache beseelt ist, daß sie auch ohne Träger lebendig ist, oder eine neue Jekyll & Hyde-Variante entwirft: Calvino ist schlichtweg ein Meister der erzählerischen Verführung (und nicht umsonst gilt er zugleich als einer der wichtigsten Neuerzähler italienischer Volksmärchen). Mein persönliches Lieblingswerk von ihm ist jedoch DIE UNSICHTBAREN STÄDTE, das frei auf dem Il Milione Marco Polos basiert. Marco Polo berichtet dem Kublai Khan von den Städten, die er auf seinen Reisen besuchte, und Calvino entwirft eine Galerie der skurrilsten und aberwitzigsten Städte und Stadtideen, und jede einzelne dieser kurzen Schilderungen ist eine Ideenperle, aus der andere ganze Novellen ausgerollt hätten.

14.) Natürlich Terry Pratchett! Und den natürlich nur im Original, weil die Übersetzungen fast alle völlig mißraten sind. Unter den paarunddreißig Romanen Pratchetts ist es schwierig, einen Favoriten zu finden. Unter den Discworldromanen zöge ich z.Zt. vielleicht WYRD SISTERS und WITCHES ABROAD vor, JINGO und SMALL GODS. Von den anderen Romanen würde ich wohl am ehesten die Nome Trilogy (TRUCKERS/DIGGERS/WINGS) herausgreifen und das neuere NATION. Was ich an Pratchett schätze ist, dass er – in der besten Tradition Dickens‘ – nicht nur atemberaubend witzig, sondern vor allem auch weise-humoristisch ist. Und nebenher werden durchaus ernste und erwägenswerte Gedanken vermittelt.

Was noch?

15.) DIE WAND von Marlen Haushofer. Ein stilles, tiefes Buch. Eine Durchschnittsstädterin findet sich plötzlich als einzige Bewohnerin eines Waldareals von ein paar Quadratkilometern Größe wieder, umgeben von einer undurchdringlichen gläsernen Wand: sie erfährt nie, was mit den Menschen auf der anderen Seite geschah. Allein und ohne Vorerfahrungen muß sie nun ihr Leben meistern, sich völlig neu (bzw. erstmals) erden, mit dem zurechtkommen, was sie vorfindet; ihre Erinnerungen notiert sie auf der Rückseite eines alten Bauernkalenders. Es mag sein, daß man das Buch im falschen Moment aufschlägt, und dann kann man damit nichts anfangen; im richtigen Lebensaugenblick gelesen ist es eine wundervolle Begegnung.

16.) GESAMMELTE WERKE von Klabund, und besonders seine Nachdichtungen fernöstlicher Lyrik (z.B. Li-Tai-Pes). Klabund zählt zu den deutschen Klassikern der zweiten Reihe, ist nicht so bekannt wie Busch, Morgenstern oder Ringelnatz, auch weil sein Oeuvre uneinheitlich und schmal ist. Seine Gedichte und Nachdichtungen werden mich jedoch immer begleiten.

17.) ALWAYS COMING HOME, wieder von Ursula K. LeGuin. Die ethnographische Studie eines Indianervolkes in einem fiktiven Kalifornien. Keine ganz leichte literarische Kost (ich konnte es trotz großer Vorliebe für die Autorin erst richtig genießen, als ich ein paar Fachsemester Ethnologie hinter mir hatte, zumal es nie übersetzt wurde), aber ein wunderbares und kraftvolles, besonderes Werk.

Es gibt natürlich noch viiiele andere bereichernde Bücher im Leben eines Büchermögers, und ich könnte noch schöne Buchbegegnungen aufzählen, bis das Internet endet.

Da wären zum Beispiel die herrlichen, sprachmusikalischen und erzählverliebten GENAU-SO-GESCHICHTEN von Rudyard Kipling, die ich sämtlichen Dschungelbüchern jederzeit vorziehe. Jonathan Synges literarische Ethnographie DIE ARAN-INSELN liebe ich sehr, auch Suzukis LEBEN UNTER DEM SCHNEE, ein wunderschön gestalteter poetischer Bericht über das Leben in den japanischen Alpen aus dem 19. Jahrhundert. Peter Soyer Beagle muss ich erwähnen, weil ein Großteil seiner Werke einfach zum Besten gehört, was man aus Worten machen kann, z.B. die Kurzgeschichte LEILA, DIE WERWÖLFIN. Irgendwann kam in den letzten Jahren noch Iain Banks mit seinen Culture-Romanen hinzu. Der Mann hat eine Fantasie von hier bis zum Pferdekopfnebel. Mein aktueller Favorit aus dieser Reihe ist EXZESSION. Evangeline Waltons Romanversion des walisischen Sagenzyklus DIE VIER ZWEIGE DES MABINOGI zählt auch noch zu meinen Privatklassikern. Und natürlich muss ich auch Mervyn Peakes Klassiker GORMENGHAST erwähnen, sonst wird Thomas böse, und da hat er ja auch Recht. DER WENDIGO von Algernon Blackwood ist einer der ganz wenigen Gruselklassiker, die ich schätze. Als Kind ließen mich C.S. Foresters HORNBLOWER-Romane jahrelang bevorzugt Segelschiffe zeichnen, und diese freundlichen Trivialitäten haben mich als Entspannungslektüre während meiner Magisterzeit gut begleitet.

Ich liebe auch den Sprachwitz von THE DEEPER MEANING OF LIFF (Douglas Adams & John Lloyd) sehr – ich glaube, das steht neben DIE GLÜCKLICHEN INSELN von Krüss auf Platz Zwei der von mir am meisten verschenkten Bücher. Und damit schließt sich der Kreis, und ich rede nicht mehr länger von Büchern, sondern greife mir eins.

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