Damaskus zwischen den Stühlen

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Syrien ist ein schönes Land voller Tradition und Geschichte. Seine Hauptstadt Damaskus war einst wichtiger Handelspunkt der Seidenstraße, in der einen Richtung ging es nach Venedig, in der anderen nach China. So wie damals befindet sich das Land auch heute irgendwo in der Mitte, diesmal zwischen Stillstand und Aufbruch. Geprägt vom Nahost-Konflikt und mit dem Blick auf Europa gerichtet steht Syrien an einem historischen Wendepunkt – wenn es den denn wahrnehmen will. Eine Reportage von Nicole Asmuth.

Foto: Nicole Asmuth

In der Altstadt (Foto: Nicole Asmuth)

Da sitzen wir nun in diesem schicken Lokal am Rande der damaszener Altstadt und aus den Lautsprechern in der Ecke donnert moderner arabischer Pop. Probleme mit einem „Rauchverbot“ gibt es hier nicht, es wird gequalmt, was die Lungen hergeben. Über den Lärm und die Gespräche unserer Nachbarn hinweg erklärt mir Hasan Yousef, warum Bach so viel großartiger ist als Beethoven und warum Brecht seine Karriere beeinflusst hat. Ja, gebildete Syrer wüssten viel mehr über die deutsche Kultur als umgekehrt, sinniert er nach einem Schluck aus seinem Weinglas und schaut mich herausfordernd aus seinen dunklen Augen an. Welche hiesigen Schriftsteller ich kenne? Keine? Nun, doch, einen – Rafik Schami, aber der lebt und schreibt in Deutschland. Schami? Den wiederum kennt mein Gegenüber nicht.

Hasan Yousef ist selbst Schriftsteller, arbeitet vor allem fürs Fernsehen als Drehbuchautor. Der kleine Mann mit dem grauen Bart und der runden Hornbrille ist bekannt in Damaskus. Die Leute grüßen ihn ehrfurchtsvoll. Und das hat unter anderem mit Brecht zu tun. Denn dessen Aufsatz „Fünf Schwierigkeiten beim Schreiben der Wahrheit“ habe ihm geholfen, trotz der Zensur im Land zu sagen, was er sagen wollte, damals, als er noch als Journalist gearbeitet hat. Aber, Zensur ist laut Yousef nicht nur hier ein Problem, das ist sie überall.

„Glauben Sie mir“, lächelt er mich an, „selbst in den USA. Wenn sie da etwas Pro-Palästina schreiben wollen, wird ihnen das nicht erlaubt.“

Und schon sind wir, dieses Mal mit dem kleinen Abstecher über Bach und Brecht, bei dem Thema angelangt, auf das hier in Syrien jedes Gespräch früher oder später hinausläuft: Israel und der Konflikt im Gaza-Streifen.

Der Konflikt zwischen den Israelis und den Palästinensern berührt ein Grunddilemma, in dem sich Syrien befindet. Zum einen will das Land unter der Ägide von Präsident Bashar al-Assad stärker in die wirtschaftliche Entwicklung Europas eingebunden sein. Zum anderen aber steht das Land fest in der sonst nicht immer so geschlossenen arabischen Phalanx, die einen eigenen palästinensischen Staat fordert. Und, was noch schwerer wiegt, Syrien stellt sich gut mit dem Iran. Was misstrauisch beäugt wird im Westen, kann aber auch eine Chance sein, für Syrien – und für die Welt. Es gibt da diesen Spruch des ehemaligen amerikanischen Außenministers Henry Kissinger:

„Im Nahen Osten gibt es keinen Krieg ohne Ägypten, und es wird keinen Frieden geben ohne Syrien.“

Der stellvertretende syrische Premierminister Abdallah Dardari, ein großgewachsener, kräftiger Mann Mitte Vierzig, stimmt dieses eine Mal gerne mit dem Vertreter der sonst so ungeliebten westlichen Großmacht überein:

„Syrien versteht den Iran und die Region sehr gut, aber Syrien steht gleichzeitig auch Europa nahe. Wenn die Vereinigten Staaten diese Region begreifen und einen Dialog führen wollen, egal ob mit Iran oder einem anderen Staat, dann ist das Gespräch mit Syrien unverzichtbar.“

Foto: Nicole Asmuth

In Damaskus (Foto: Nicole Asmuth)

Tatsächlich könnten die Verbesserung der israelisch-syrischen Beziehungen und ein israelisch-syrisches Friedensabkommen ein Wendepunkt für die Region sein, glauben Nahost-Experten wie Muriel Asseburg von der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin. Es würde die Tür öffnen für israelisch-libanesische Verhandlungen, die syrisch-iranische Allianz lockern – wenn auch nicht beenden – und Syriens Interesse, die Hizbollah, die Hamas, den Islamischen Jihad und andere Gruppen als Stellvertreter in seinem Kampf gegen Israel zu benutzen, drastisch verringern.

Noch aber sitzt man im schönen Damaskus zwischen den Stühlen verschiedener Weltanschauungen und das ist auf die Dauer unbequem. Syrien befindet sich allein schon geografisch in der Mitte dreier Konfliktherde: dem im Libanon, dem im Irak und eben dem in Palästina. Grundlegende politische und ökonomische Reformen durchzuführen, vor diesem Hintergrund, ist nicht einfach. Dardari spricht trotzdem gerne von Veränderungen. Insgesamt gesehen habe sich der Lebensstandard der Syrer in den letzten Reformjahren verbessert, meint er, nippt an seinem starken Tee, schwingt dann emphatisch mit den Armen durch die Luft und lächelt gewinnend.

Es ist vor allem die herrschende Elite, die vom Wirtschaftswachstum, von Privatisierung und von neu entstandenen Monopolen profitiert hat, finden Wissenschaftler wie Asseburg. Der Großteil der Bevölkerung habe bis jetzt nicht von den Liberalisierungsmaßnahmen profitiert, sondern leide vielmehr unter der Kürzung von Subventionen wie auch unter den in die Höhe schießenden Preisen.

Und doch gibt es Hoffnung. Viele junge Syrer, ehrgeizig, gut ausgebildet und erfolgsorientiert, stehen bereits in den Startlöchern und verfolgen genau, was an Neuem, auch Westlichem, auf sie zukommt. Während die Welt etwa missmutig auf ihre Finanzplätze schaut, hat in Damaskus zu Anfang des Jahres zum ersten Mal die Börse eröffnet. Die heißt hier allerdings nicht Stock Exchange, sondern Damaskus Security Exchange. Der Name soll Programm sein und den potentiellen Anlegern das Gefühl vermitteln, dass ihr Geld hier gut aufgehoben ist. Auch wenn die Auswahl von gerade einmal sechs gelisteten Firmen nicht wirklich üppig ist. Aber man ist optimistisch, in zehn Jahren sollen es bereits 700 bis 800 sein. Geld ist genug da, das die Syrer investieren könnten, ist sich Dr. Rateb Al-Shallah sicher. Man dürfe nur eben keine Wunder über Nacht erwarten, ergänzt Dr. Osama El-Ansari.

Foto: Nicole Asmuth

Die beiden freundlichen älteren Herren im englischen Zwirn und dem weltgewandten Auftreten gehören zur Führungsetage. Sie wirken aber, als hätte man sie gerade eben erst von einer Bridgepartie hierher geholt, in die Schaltzentrale der Damaszener Börse. Das Gebäude selbst liegt bescheiden am Rande der Stadt und wirkt von außen, wie so viele offizielle Gebäude in Syriens Hauptstadt, eher unscheinbar. An den Wänden aber laufen sich hochmoderne elektronischen Ticker für ihren Einsatz warm und PC-Terminals warten auf potentielle Kunden. Gehandelt wird hier zweimal in der Woche, Montags und Donnerstags. An der Wand hängt eines der omnipräsenten Präsidentenporträts, die die Syrer auf dem Weg zur Arbeit und in ihrer Freizeit mehrmals täglich passieren. Über dem Gemüsestand, im Bistro, im Büro und auf dem Sportplatz, Al-Assad lächelt immer und überall auf sein Volk herab. Sein Lächeln verspricht Hoffnung.

„Der Punkt ist, alle müssen die gleichen Möglichkeiten haben, so dass sie selbst verantwortlich sind für ihre Entwicklung. Glauben Sie mir, es gibt keinen anderen Weg als den der Demokratie“,

meint Börsenmann Al-Shalla. Das ist viel Offenheit in einem Land, in dem immer noch Zensur herrscht und Recht ein dehnbarer Begriff ist. Aber, schon Brecht hat es gewusst:

„Wer […] die Lüge und Unwissenheit bekämpfen und die Wahrheit schreiben will […] muss Mut haben.“

Fern von rein wirtschaftlichen Erwägungen hat Syrien die Chance, den Weg in eine bessere Zukunft zu gehen und es scheint, als hätten das nicht wenige im Land schon längst begriffen.

Foto: Nicole Asmuth

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