The New Mainz School … Is a Kindergarden

Neue Reihe bei “SchönerDenken”: “Verlassen Sie sofort meine Sammlung!” Bücher, Filme, Musik, die wir auf keinen Fall behalten wollen. Heute: Ein Buch, das ich gerne besäße, um es mit Entschiedenheit aus der Sammlung zu weisen.

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I.

Wirklich schade, dass ich dieses Buch nicht besitze, denn dann könnte ich es aussortieren, nein, besser noch: achtkantig aus der Sammlung pfeffern, betont achtlos in der prallen Sonne, neben dem Swimming Pool, dem Herd oder in der Nähe von grobmotorischen Kleinkindern liegen lassen, als Unterlegscheibe für Saftgläser verwenden oder dem nächstgelegenen Chinchilla als Knabberei zur Verfügung stellen.

Dabei bin ich gar nicht sicher, ob es das Buch gibt, weil ich es zu eilig hatte, die Ausstellungsstätte zu verlassen, um mich danach umzusehen. Es handelt sich um den Katalog zur Ausstellung „The New Mainz School„, welche bis Anfang August in den Räumen der Kunsthalle Mainz zu besehen war.

Um das Elend kurz zu machen: Wir drei Besucher (eine davon selbst arrivierte Künstlerin) waren enttäuscht bis zur Empörung, was sich da als künstlerische Selbstpositionierung einer neuen Generation von Kunstlehrenden zu inszenieren erfrechte. Verschiedene künstlerische Gattungen waren da versammelt – vor allem Gemaltes und Fotografiertes, aber auch die ein und andere Skulptur und Videoinstallation.

Was will ich eigentlich sehen, wenn ich solch eine Ausstellung durchwandere? Belege für künstlerisches oder ggf. kunsthandwerkliches Können? Ästhetischen, sinnlichen Genuss? Intellektuelle Stimulation? Originelle, in gewissem Sinne womöglich poetische Ideen? Aussagen?

Ich versuche, mich da stets offenzuhalten, habe aber bemerkt, dass es offenbar bestimmte Regeln gibt, nach denen ich etwas schön oder gelungen finde oder überhaupt als Kunst (an)erkenne.

II.

Da ist zum einen natürlich der wohl erklärbarste Aspekt, jener der handwerklichen Kompetenz: Ich möchte spüren, dass die/der Künstlernde mehr kann als ich, möchte von der Kompetenz im Umgang mit dem Material – sei es die Farbe, das Licht, die Keramik, das Metall, der Ton- und Bildschnitt etc. – überzeugt werden. Das muss nicht in jedem Einzelerzeugnis der Fall sein, denn zuweilen strahlt ein schlichtes Kunsterzeugnis tatsächlich spürbar viel mehr Kompetenz aus, als die reine Oberflächenbetrachtung zunächst annehmen lässt: da ist nicht nur eine Linie, sondern da ist eine Linie, die eine Geschichte von Tausenden von anderen Linien erzählt, die nicht sichtbar sind, jedoch gemalt werden mussten, ehe diese eine Linie entstehen konnte.

In dieser Hinsicht gab es einige Werke, die überzeugten, andere nicht. Verwischte Effektfotografien eines Würfels in Bewegung oder eine kleinstformatige hängende Metallkonstruktion mit filigranen Applikationen, ein wenig wie ein Ausschnitt aus einer Hochhauswand mit offenen Balkonen und verschiedensten darauf verstreuten Gegenständen konnten mich zumindest davon überzeugen, dass der/die Kunstverursachende hier wusste, was er/sie tat, nicht einfach nur eine zufällige, sondern eine absichtliche Gelungenheit präsentierte.

Die berühmte großflächige einfarbige Leinwand, die natürlich ebenfalls vertreten war, kann mir dagegen unter Zuhilfenahme jeder beliebigen Argumentation niemand als kunsthandwerklich wertvoll verkaufen, und leider war diese Leinwand auf ihrem Tiefniveau nicht allein. Die filmische Rauminstallation, die nichts anderes tat als im Zeitlupentempo auf eine Fuge in einer Wand heranzuzoomen, teilte mir absolut nichts weiter mit als den Umstand, dass der Verursacher in der Lage war, den Startknopf seiner Filmgerätschaften zu drücken und eine Wand zu finden – das genügt mir nicht für das Attribut ‚Kunst‘.

III.

Ferner gibt es da die Idee – ist das Kunstwerk vor mir originell, verblüffend, neuartig, inspirierend, frech, kurz: kann es mir irgendetwas mitteilen? Mich zumindest mit einem gedanklichen Fragezeichen versorgen, das ich noch etwas mit mir herumtragen möchte? Eine Videoinstallation mit einem Film in Dauerschleife, der zwei Personen in einem Zimmer zeigt, die nebeneinander sitzen, und während die eine Person die Maske aus Modelliermasse, die sie trägt, nach und nach auf einen Klumpen im Schoß reduziert, baut umgekehrt die andere Person nach und nach auf ihrem Kopf die gleiche Maske auf – ich kann da eine Idee erkennen und würdigen, muss sie zwar nicht unbedingt gutheißen (warum grunzen die so?), aber sie ist offenbar da, eine nette gedankliche Spielmetapher.

Die kleine Serie von Aktfotografien an einer Wand hatte auch irgendeine nette Requisitenidee, die mich jedoch offenbar nicht so beeindruckt hat, dass ich sie über die Gesamtimpression ’nett‘ hinaus jetzt noch erinnere (Gemüse, glaube ich). Ich erinnere ferner Bildcollagen, die unter Zuhilfenahme von Elementen der Werbung und städtischer Straßenbilder möglicherweise irgendetwas vermitteln wollten, aber solche undynamischen Zusammenwerfungen von Einzelschnipseln haben auf mich schon immer sehr willkürlich und damit trivial gewirkt – das sind Billigbettwäschemuster, aber nichts, für dessen Betrachtung ich bezahlt haben möchte.

IV.

Die dritte Ebene ist die des Effektes: als vor dem Werk stehender Wahrnehmender bin ich in der Situation, von Farbwirkung, Proportion, Dynamik des Werkes potenziell beeindruckt werden zu können. Ich kenne aus diversen Hobbykünstlerausstellungen in unseren Büroräumen großformatige, abstrakte Klecksereien, die ich absolut nicht als große Kunst betrachte, die aber in Einzelfällen aufgrund ihrer Größe und Farbwirkung und Positionierung tatsächlich teilweise ’schön‘ wirken – nicht als schöne Kunst wohlgemerkt, sondern als schöne Deko, und damit quasi als Kunsthandwerk. Ein im Raum stehender Quader, der mit quasiorganischen Elementen versetzt ist, beeindruckt mich weder als Idee (könnte ein Ausstattungsüberbleibsel aus einem beliebigen SF-Film sein) noch sonderlich als handwerkliches Erzeugnis, aber – wiederum als Deko – wirkt er einen Augenblick lang ganz interessant. In einem insgesamt beeindruckenderen Gesamtkontext würde das gute Stück allerdings völlig untergegangen sein.

Performance ohne Keks

Mein nachträglicher Beitrag zur Ausstellung: PERFORMANCE OHNE KEKS (2011) - "Ist das Kunst, oder kann es in die Spülmaschine?"

V.

Mein persönlicher Tiefpunkt des Ganzen – und zwar im Hinblick auf sämtliche genannten Ebenen –  war ein Baumarkttisch mit einer Reihe von vertrockneten Kranzkuchen darauf, einige heile, einige zerbröckelt, einige herabgefallen und hinter dem Tisch auf dem Boden verteilt. Was aussah wie die lieblosestmögliche Variation über das Thema Kuchenbuffet, war deklariert als „Performance ohne Publikum“ und damit so unverfroren und ganz und gar unkünstlerisch blöde, dass es paradoxerweise schon wieder eine Studie in der Kunst der Frechheit darstellte. Hätte das Ganze z.B. „Paderborner Orgie“ geheißen, hätte ich bereitwillig Humoranteile unterstellt und mich schonmal nach der versteckten Kamera umgesehen. Aber so?

Die eher wenigen Künstler, deren Werke tatsächlich einen gewissen Reiz hatten – namentlich möchte ich da eigentlich nur Anne Berning nennen – tun mir ein wenig leid, in so schlechte Gesellschaft geraten zu sein.

Ich scheue mich nicht, das in der Summe schlicht unverschämten Schwachsinn zu nennen, den imaginären Ausstellungskatalog spätestens an dieser Stelle endgültig zuzuschlagen und mir zu denken: Wenn das die programmatische und repräsentative Selbstpositionierung von Leuten darstellt, die Kunst nicht nur vermarkten, sondern auch noch lehren, dann räume ich die Säcke mit Tapetenresten, die unten irgendwo noch stehen, besser nicht weg, sondern stelle sie der Kunsthalle Mainz zur Verfügung als, sagen wir, „Dynamische Intention No. IV“ (der Titel ist alles!), und weil es ja die Kunsthalle und keine Müllhalde vollsteht, hält das dann irgendjemand für Kunst und bietet mir einen Job als Dozent an. Herrliche Aussichten!

Der Katalog kommt trotzdem als Unterlage unter den nächsten Vogelkäfig. Ach, wie blöd, ich habe ihn ja gar nicht…

Hier noch ein paar Bilder aus der Ausstellung. Der versteinerte Schweinebraten war natürlich auch noch sehr ‚reizvoll‘.

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