Kinojahrgang 2001: Götz über einen Verschollenen und eine Klavierlehrerin


Götz für Markus über den Kinojahrgang 2001:

Meine „Top Five“ 2001:

„Cast Away“: Ich war zwar nicht vor 14 Jahren zuletzt im Kino, aber ich war in all den Jahren seither viel zu selten im Kino; das wird mir während dieser Serie Folge für Folge bewusst. Schaue ich auf die Liste der Filmstarts 2001, so fallen mir gleich die viel gerühmten „Amores perros“ und „Traffic“ ins Auge als „die-hättest-Du-aber-mal-sehen-sollen-Filme“. Aus dem Jahrgang 2001 würde ich wohl, wenn ich nur einen Film nennen dürfte „Cast Away“ („Verschollen“) von Robert Zemeckis wählen, den ich aber erst einige Jahre später an einem Winterabend in den Bergen im Fernsehen zum ersten Mal sah. Dies ist großes Hollywood-Kino der alten Schule: zunächst mal nur eine Produktion, die auf den Mainstream, die große Kasse ausgerichtet ist, sehr patriotisch, ein wenig bieder und brav wie der Held Chuck Noland, ein handwerklich perfekter Unterhaltungs-Film. Wohl fast ohne den Willen der Beteiligten, unter der Hand (vielleicht auch nur in meinen Augen) ist dieser Film aber noch zu einigem mehr geraten, nämlich zum Märchen einer Verwandlung, zu einer Geschichte darüber, wie einer, der in seinem alltäglichen Leben funktionierte und es in keinem Augenblick in Frage stellte, durch eine Katastrophe einen neuen Blick auf die Dinge lernt. Chuck Noland, Angestellter beim Luftfrachtunternehmen FedEx, überlebt einen Flugzeugabsturz und wird auf eine unbewohnte Insel geworfen, wo er Jahre verbringen muss. Zum Überleben dienen all die Konsumgüter aus den FedEx-Paketen, die an den Strand geschwemmt werden. Einem Film, dem es gelingt einen Volleyball zu beseelen und zum Freitag dieser modernen Robinsonade werden zu lassen, darf man zutrauen, dass er subtiler ist, als man auf den ersten Eindruck hin meinen könnte. Viel von seiner Qualität hat der Film  dem phänomenalen Tom Hanks zu verdanken, dessen beste Rolle es ist  (neben dem FBI-Ermittler in Spielbergs „Catch Me If You Can“).  Nur er vermochte diesen Chuck Noland darzustellen, der verbissen ums Überleben und die Rückkehr in die verlorene Normalität kämpft, um erst im Nachhall der Katastrophe, nach seiner Rettung, zu erkennen, dass sich nicht nur sein Leben verändert hat, sondern dass er es auch selbst ändern muss.

In die Top Five kommen außerdem: „Black Box BRD“, „Die Klavierspielerin“, „Die fabelhafte Welt der Amelie“ und „Harry Potter und der Stein der Weisen“.

„Black Box BRD“: richtet das Echolot in die Epoche des RAF-Terrorismus, lässt Verwandte und Freunde eines Terroristen und eines Opfers zu Wort kommen, zeichnet Lebensläufe nach, urteilt und verurteilt nicht, stellt bloß dar, ist ein mustergültiges Beispiel von Geschichtsschreibung, die Biografien des RAF-Terroristen Wolfgang Grams und des Bank-Managers Alfred Herrhausen in einer Parallelmontage nachzeichnend, ein eindringlicher Dokumentarfilm von Andreas Veiel, der nicht enthüllen will, sondern hinter allen Spekulationen und Klischees das Unverfügbare in seiner Reinheit belässt.

„Die Klavierspielerin“: ist ein Drama von Michael Haneke nach Elfriede Jelineks Roman. Auch hier erweist Haneke wieder der Ästhetik und geistigen Haltung des großen französischen Regisseurs Robert Bresson die Ehre und setzt dessen Kino kongenial fort. Ein Film, dessen teils verstörende Szenen dem Betrachter viel abverlangen. Es geht um seelische Eiswüsten, um Gefühlsverlust, neurotische Beziehungsunfähigkeit, gefilmt mit klarem, distanziertem Blick, in einer formalen Reinheit, die dem Betrachter Abstand ermöglicht, mit einer Isabelle Huppert, die in der Hauptrolle als zutiefst unglückliche, einsame Frau, die ihr Leben zwischen einer tyrannischen Mutter, ihrem autoritär geführten Klavierunterricht und den Besuchen in Porno-Läden fristet, wieder einmal ihre Einzigartigkeit demonstriert. Es ist auch ein Film über die Hilflosigkeit der Kunst und stilbewusster bürgerlicher Lebensformen gegenüber wahrer tiefer Verzweiflung. Als ein Schüler sich in die Klavierlehrerin verliebt und ihrem Panzer in seiner unbefangenen, unverschämten Art Risse zufügt, spitzt sich das Drama zu.

„Die fabelhafte Welt der Amelie“: so ein Film kann nur aus Frankreich kommen, so eine bezaubernde Hauptdarstellerin wie Audrey Tautou kann nur aus Frankreich kommen. Auch das französische Kino hat seit je seine Traumfabrik-Nische. Der Regisseur Jean-Pierre Jeunet hatte zuvor einen Film der „Alien“-Reihe gedreht, nun das neue verspielte Nationalepos mit einer Jeanne d’Arc des Alltags als Heldin. In diesen Film, ein Lebensprojekt, packte Jeunet alles, was gerade Touristen mit Paris als romantischem Ort verbinden. Poetisch und wunderbar geht es zu, eine Welt voller Zauber und Zufälle. Es gab auch viel Kritik an dem surrealistischen Bilderbuchreigen; der Film wurde nicht zum Festival in Cannes eingeladen.  So innovativ „Amelie“ ist, sein Schicksal ist das eines Solitärs ohne Vorbilder und Nachfolger, wie es „Diva“ in den 80er Jahren war, der einzige Evergreen aus der Feder eines begabten Komponisten. Die Nouvelle-Vague wird hier ins Blockbuster-Format aufgebläht. Die Hüter der reinen Lehre musste das ärgern.

„Harry Potter und der Stein der Weisen“: die Bücher kann ich nicht lesen, sie langweilen mich, lassen meine Phantasie kalt. Doch die Filme mag ich. Mir scheint es so, als seien die Bücher nur geschrieben worden, um diese Filme in die Welt zu bringen. Sie haben selbst etwas Mirakulöses, wie wundersam schon, dass diese drei Darsteller für Harry, Ron und Hermine entdeckt wurden, und durch all die Jahre und Folgen hin Idealbesetzungen blieben, unersetzbar. Woher rührt die Überzeugungskraft, die Mühelosigkeit, das Selbstverständliche dieser Filme, die all ihre Special Effects lässig wie aus Zauberstäben schütteln? Das Leichthändige unterscheidet sie von der „Herr der Ringe“-Trilogie, die schwer an ihrem Willen zur Großartigkeit trägt, sich nie locker macht, oft verkrampft voranmüht, voller Schlacken der Arbeit, die die Produktion machte. Vielleicht müssen wir vor allen anderen im Drehbuchautor Steve Kloves den Erfolgsgarant der Harry-Potter-Filme sehen. Der wunderbare Mr. Kloves inszenierte selbst einst „Die fabelhaften Baker Boys“, einen der besten Filme der 80er Jahre.

Der Text steht unter einer Creative Commons-Lizenz. Quelle: Götz Kohlmann/SchönerDenken

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