„Allet jut?!“: Berlin goes Amsterdam

Jo is denn hier scho Amsterdam?! Möchte man im Stil von Herrn Beckenbauer ausrufen in Berlin. Denn die Hauptstadt ist das, was ich mir nie hätte vorstellen können – eine Fahrradstadt: Rent a bike-Shops an jeder zweiten Ecke. Und der Gebrauchtradmarkt ist einer der heißesten in town. Wer mit dem Radl da ist, schlägt Verkehrsstaus und S-Bahn-Baustellen ein Schnippchen. Radeln spart Zeit – und Geld. Das kommt vor allem den Heerscharen von U-30-Gästen zustatten, die buchstäblich aus aller Welt anreisen.

Und all diese Menschen wollen möglichst schnell möglichst billig an ein Zweirad kommen. Begehrtes Suchrevier sind die Flohmärkte. Wobei gilt: Was wirklich günstig ist, ist ruckzuck weg. Der große Rest ist oft nur bereifter Schrott. Offeriert von Händlern, die keinerlei sachdienliche Hinweise geben können zur Provenienz oder auch nur zu der technischen Ausstattung des jeweiligen Gefährts. Aber: zwei Räder, Sattel und Lenkstange machen noch längst kein verkehrstaugliches Fortbewegungsmittel aus. Und wie gesagt, wo all diese Räder herkommen, mag man auch lieber nicht wissen. Sollte man aber, um im Fall des Falles auf der sicheren Seite zu sein. Radklauen kommt in Berlin noch öfters vor als Autoabfackeln.

Bike-Piraten

Dann besser schon in einen Laden, der second hand Räder verkauft. Sehr nett, die „Bike-Piraten“ im Prenzlauer Berg. Wie geduldige Mulis stehen vor dem Shop Dutzende von gebrauchten Drahteseln in Reih und Glied. Einer der Bike-Piraten, Charmefaktor Johnny Depp, weist in großzügiger Lässigkeit auf die Rad-Warteschlange: „Hier sindse, tob dir aus!“

Sich austoben auf und mit dem Rad – das tun viele in der großen Stadt. Gerne auch Touristen. Im Reiseführer lese ich, dass bis zu einer halben Million Menschen in Berlin mit dem Rad unterwegs sind. Darauf angesprochen, grinst der Pirat nur müde und winkt ab: „Fahren, wat heeßt schon fahren? Wirklich Rad fahren tut nur een kleener Teil, der Rest eiert irgendwie rum …“

Bike-Piraten

Da hat er recht. Und ganz kann ich mich da nicht ausschliessen. Der hektische Puls der Großstadt, er ist auch auf dem Radweg zu spüren. So heftig ich auch in die Pedale trete, immer bin ich zu langsam. Schnell und leise wie Schlangen, die aus dem Unterholz hervorschnellen – wozu gibt es eigentlich Klingeln? – überholen die einheimischen Radprofis die auswärtigen Rumeierer. Und auch im virtuosen Zweirad-Transport von Kindern in Sitzen, Anhängern oder per vorgebautem Kastenwagen unterscheidet sich der Eingeborene vom Gast.

Allen gemeinsam: der Hundeblick. Nein, nicht treu, sondern suchend. Suchend nach einem Laternenpfahl, einem Verkehrszeichen, einem kleinen Bäumchen. Geeignet für eine Notdurft besonderer Art: der Befestigung eines Fahrradschlosses. Möglichst solide, meist eine schwere Kette mit Nylonüberzug. Nicht unkaputtbar, aber 5,5 Zentimeter gehärteter Stahl stellen doch einen gewissen Schutz dar. Auch in psychologischer Hinsicht. Dafür zahle ich den glatt nochmal den halben Preis, den ich für mein gebrauchtes Rädchen gelöhnt habe. Denn Berlin ohne Rad, das geht gar nicht. Soviel Amsterdam muss sein.

Fahrradparken

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