Im Jahr der Astronomie nimmt sich Christopher zwölf große Astronomen vor. Nach Regiomontanus folgt der Aristarch von Samos. Er ist der Held eines Romanes von Thomas Bührke über die Anfänge des heliozentrischen Weltbildes: Dass die Sonne im Zentrum steht ist nicht neu. In der Antike war es das schon.
„Und sie bewegt sich doch“. Brecht, der Galilei diese trotzigen Worte in den Mund legte, formulierte eine zeitlose Wahrheit. Der Glaube meinte es nicht immer gut mit der Wissenschaft. Insbesondere die Astronomie kann ein Lied davon singen. Der Blick gen Himmel war immer schon eine Annäherung an das Göttliche. Astronomen lasen in dem Buch der Götter, erstellten Horoskope und prophezeiten ihren Auftraggebern Glück oder Unglück. Die Stellung der Planeten zu einander, deren Zuordnung zu Sternbildern und nicht zuletzt ihr Charakter gaben ihnen Hinweise auf das Kommende.
Doch nichts bleibt wie es ist, auch das scheinbar unveränderliche Sternenzelt bewegte und veränderte sich. An die Stelle der klarsichtigen Beobachtung trat die Interpretation. Immer komplexere Modelle hatten zu erklären, was sich mit der Realität nicht mehr vereinbaren ließ. Sonne, Mond und Sterne blieben ein Rätsel, für die meisten jedenfalls. Einige aber trauten ihren Augen und stießen das Fenster auf. Kopernikus, Galilei sind uns bekannt, ihre These vom heliozentrischen Weltbild ist heute Allgemeingut. Ihre Idee, die Sonne in die Mitte des Universums zu stellen, war dennoch nicht neu.
Aristarch von Samos: Antiker Urahn der kopernikanischen Wende
Streng genommen fochten Kopernikus und Galilei den Streit bereits ein zweites mal aus. Ihr Vorgänger Aristarch von Samos hingegen fand weniger Beachtung. Anlass genug für Thomas Bührke dem antiken Mathematiker und Astronom Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Vieles liegt im Dunkeln, Aristarchs Biographie ist bei einem Abstand von über 2000 Jahren naturgemäß lückenhaft. Dennoch ist einiges bekannt und Bührke, selbst Astrophysiker, ergänzt dieses Bild im Sinne eines historischen Romans.
Aristarch, circa 310 vor Christus auf Samos geboren, tritt uns als junger Mann entgegen. Sein Weg führt ihn nach Alexandria wo er im legendären Museion, dem gelehrten Musentempel des Ptolemäus I. , in Physik und Astronomie unterrichtet werden soll. Sein Lehrer und Fürsprecher Straton von Lampsakos führt ihn in die neue Welt der Gelehrsamkeit ein. Aristarch ist begabt und schon bald stellen sich erste Erfolge ein. Er hilft Epikur beim Lösen eines mathematischen Problems, entwickelt eine neuartige Sonnenuhr und nimmt erste astronomische Messungen vor. Das Leben in Alexandria ist abwechslungsreich doch der junge Mann ist zielstrebig. Seine praktischen Erfahrungen und sein theoretisches Wissen ergänzen sich. Und so braucht es nicht lange bis Aristarch Neuland betritt und an die Grenzen des Aristotelischen Weltbildes gelangt.
Dank exzellenter Kenntnisse in Geometrie und einem kreativen Geist gelingt ihm das Unvorstellbare, er errechnet den Abstand von Sonne, Mond und Erde. Mehr noch er bestimmt sogar die Größenverhältnisse. Aristarch hat einen kritischen Punkt erreicht. Seine Beobachtungen lassen, angesichts immer unzuverlässiger werdender Voraussagen, nur einen Schluss zu: Nicht die Erde, sondern die Sonne steht im Zentrum. Ein Konflikt bahnt sich an und der Verlierer steht bereits fest. Aristarchs revolutionäres Weltbild scheitert an den aristotelischen Dogmatikern und an einem zu tiefst menschlichen Beharrungswillen.
Streifzug durch die Antike Welt
Thomas Bührkes Roman ist ein Streifzug durch die antike Welt. Seine Haltestellen: Alexandria, das Museion sowie das ferne nur oberflächlich helenisierte Ägypten. Sie sind die Dreh- und Angelpunkte von Aristarchs Leben. Bührke setzt diese Punkte zu einander ins Verhältnis und entwickelt so eine biographische Geometrie. Alexandria, die aufstrebende Stadt am Nil. Das Museion, eine Mischung aus Wissenschaftsfestung und Elfenbeinturm sowie das mythologische Ägypten. Aristarch schreitet die Spitzen dieses Dreiecks ab und gewinnt immer neue Perspektiven.
Thomas Bührkes Roman ist mehr als Wissenschaftsprosa, er ist auch eine Einführung in das aristotelische Denken, die Kulturgeschichte des Alten Ägypten und die Anfänge der klassischen Astronomie. Das begeisterte Staunen eines jungen Mannes über seine Fähigkeiten die Winkel dieses Dreiecks zur Deckung bringen zu können, fasziniert. Dabei stört es auch nicht, dass bei Bührkes Beschreibung manchmal vertraute Bilder vor dem geistigen Auge erscheinen. So erinnert Aristarchs Ägyptenreise in manchen Zügen an Alfred Brehms Expeditionen im 19. Jahrhundert. Diese Parallelen tun dem Roman keinen Abbruch. Vielmehr schaffen sie eine Vertrautheit, die es dem Leser ermöglicht sich mit den Mitteln der eigenen Phantasie dem Exotischen zu nähern.
Eine Idee setzt sich durch
Bildhaftigkeit ist überhaupt eines der Merkmale des Romans. Sei es die Begegnung mit Epikur in der Bibliothek von Alexandria oder die Schilderung des alltäglichen Lebens in der Stadt am Nildelta. Bührke schafft eine Atmosphäre, in die Aristarchs eigentliche Leistung – die Entdeckung des heliozentrischen Weltbildes – ebenso unaufdringlich wie fesselnd eingebettet ist. In seinem Denken gleicht Aristarch durchaus dem modernen Wissenschaftler. Seine positivistische Skepsis gegenüber der Philosophie wirkt vertraut. Aristarch glaubt an die Macht der Logik und des Messbaren, auch wenn sie dem gesellschaftlich Akzeptierten widersprechen.
Trotz seiner Erfolge wird er so zum Fremdkörper in der Wissenschaftsgemeinde des Museion. Bührkes Aristarch trägt in gewissem Masse galileische Züge. Gleichwohl fehlt ihm das Tragische. Aristarch bleibt nicht nur am Hofe der Ptolemäer, ihm ist auch noch ein kleiner Lichtblick vergönnt. Ein neuer Stern am Himmel der antiken Physik, Archimedes, schaut bei ihm vorbei. Die verbotene Idee findet in dieser kongenialen Seele ein neues zu Hause und überlebt. So bleibt am Ende nicht das Gefühl der Verbitterung sondern die Gewissheit, dass ungeachtet aller Verbote und Katastrophe Aristarchs Idee doch noch den Weg zu uns gefunden hat
Thomas Bührke
Die Sonne im Zentrum. Aristarch von Samos
Roman der antiken Astronomie. Beck 2009.
Gebunden, 269 Seiten. Euro 16,90
Der Beitrag erschien zuerst bei suite101.
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Harald Lesch und Christoph Süß plaudern über das aristotelische und das heliozentrische Weltbild: