César Aira: 4. „Die nächtliche Erleuchtung des Staatsdieners Varamo“

Götz Kohlmann entführt uns in die Welt des Schriftstellers César Aira – in einem Interview und fünf Beiträgen. Immer sonntags – nur bei SchönerDenken.

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Das Gegensatzpaar dieser beiden ersten Werke, die ich von ihm las, kehrte in den nächsten beiden wieder: „Die nächtliche Erleuchtung des Staatsdieners Varamo“ als der von entschiedenem Formwillen getragene, artifizielle Text und „Gespenster“ als Vertreter der sozusagen unzüchtigen Variante in Airas Schreiben, gespickt mit wildem Fabulieren und derben Visionen.

Ein Ministerialbeamter, ein „drittrangiger Schreiber“ verfasst ein Gedicht, ein langes Poem, das zu einem der berühmtesten der mittelamerikanischen Literatur wird. Varamo, so der Name des Beamten schrieb nie zuvor etwas und wird nie danach wieder etwas Literarisches schreiben. Wie es zu dem Wunder kam, will der Erzähler von „Die nächtliche Erleuchtung des Staatsdieners Varamo“ erklären, so behauptet er zu Anfang.

Der Schauplatz der Novelle ist Colon, eine Stadt in Panama im Jahr 1923. Der Zeitraum der Handlung umfasst etwa zwölf Stunden und in ihnen begleiten wir Varamo in seinem oft grotesken Kampf mit einem Alltag voller Missgeschicke, haarsträubender Zufälle und Widerspenstigkeiten. Bei der Gehaltsauszahlung wird ihm Falschgeld ausgehändigt und Varamo, obwohl er es sofort bemerkt, nimmt das Unrecht in seiner schüchternen, schicksalshörigen Art einfach hin. Verzweifelt macht er sich auf den Heimweg und verstrickt sich sogleich in irrwitzig sich steigernde, pseudophilosophische Reflexionen über das Falschgeld an sich und seine Chancen unbeschadet aus der Geschichte herauszukommen:

„Welches Problem bestand nun noch? Keines. Diese blöden, falschen Geldscheine. Sie waren nichts wert und konnten sich tatsächlich in Nichts auflösen. Im Realitätskontinuum der Welt, in einer unendlich weit zurückliegenden Epoche, hatte sich eine radikale Heterogenität zwischen zwei beliebigen Dingen gebildet. Eine Art von Differenz, die so unüberbrückbar war, dass es keinen Begriff gab, um beide Dinge zu umfassen. Keinen Terminus außer dem Sein. Damals entstand das Sein, und seither gab es das Denken und die Philosophie, zumindest bis zu diesem Nachmittag in Panama. Die beiden falschen Geldscheine hatten nun erneut eine solche Heterogenität verursacht. Womöglich hatte das letzte Stündlein des Denkens geschlagen. Aber wenn man nicht dachte, womit sollte man dann seine Zeit füllen? Als er nach Hause kam, warf er sich angezogen aufs Bett?“

Bald darauf sehen wir Varamo, wie er seinem Hobby nachgeht, dem Einbalsamieren kleiner Tiere, in diesem Fall eines Fisches, eine Szene von großer absurder Komik. Wir sehen ihn im Kleinkrieg mit seiner hinfälligen, alten Mutter, einer winzigen Chinesin, die von einer anonymen Drohung auf dem Abholschein eines Matratzenladens beunruhigt wird. Varamo war ihr einst als Findelkind sozusagen aufgedrängt worden („Eines Tages ging ein Elternpaar einfach weg und ließ sein Kind in ihren Armen zurück.“). Es muss kaum erwähnt werden, dass Varamo Junggeselle ist (und die vielen Junggesellen der Weltliteratur um ein weiteres klassisches Exemplar bereichert); er und seine Mutter bilden ein schrilles, kurioses Paar. Nachdem die Mutter zu Bett ist, sehen wir Varamo auf dem Weg zu seinem rituellen Kaffeehausbesuch, wie er dabei Zeuge eines Verkehrsunfalls wird, dessen Opfer ein Minister ist, und wie er dann mit dem verletzten Minister im Haus zweier dicker, kreolischer Damen landet, die offenbar von einem Schmuggel mit Golfschlägern und wohl auch von der Prostitution leben und gerade eine Verschwörung gegen den Staat aufdecken wollen. Aira gönnt seinem Helden sogar eine zarte Liebesgeschichte mit dem Hausmädchen der Damen:

„Er wusste nicht warum, aber er wollte mit der jungen Frau sprechen, und die Vorstellung, diese Gelegenheit zu verpassen, deprimierte ihn. Eine solche Gelegenheit bot sich nicht so oft. Im Gegenteil, schon definitionsgemäß bot sie sich nie. Das wusste er nur zu gut. Gelegenheiten ergaben sich im Rückblick, wenn alles schon vorbei war.“

Schließlich kommt Varamo doch noch im Cafe an und findet sich an einem Tisch mit drei Verlegern wieder, die ihn als Autor „entdecken“.

Airas Erzähler folgt diesen absurden Wendungen, als ginge es dabei auf die rationalste Weise der Welt zu und erinnert mit dieser Haltung an klassische romantische Novellen wie Gogols „Der Mantel“ oder „Die Nase“, mit deren Geist die Varamo-Geschichte sehr viel gemein hat. Er gönnt sich allerlei Abschweifungen, Passagen höheren Blödsinns, die den Fluss der Erzählung aber keineswegs bremsen, sondern bereichern. Man folgt ihnen bereitwillig und ist oft fasziniert wie in einem Kuriositätenkabinett. Airas intellektuelles Spiel mit ironischen Brechungen widmet sich der Literatur selbst, fragt, welche Rolle man dem Zufall in ihr gewähren kann. Dieser Erzähler denkt über seine eigenen Mittel nach, etwa die „erlebte Rede“ und macht dieses Reflektieren zum Gegenstand einer Komödie. Scheinbar lässt er sich in die Karten schauen, doch dieses Offenlegen ist selbst schon wieder Teil der Fiktion, Teil der Handlung.

Am kommenden Sonntag geht es im nächsten Beitrag um „Gespenster“.

Der Podcast wurde gesprochen von der Schauspielerin Petra Steck.
Autor: Götz Kohlmann/SchönerDenken

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