Monster mit Sahne

Monster im Kleefeld

Thomas fragt sich: Wem schmeckt „Cloverfield“?

Eigentlich kann ich es überhaupt nicht leiden, wenn ein Film von Anspielungen auf andere Filme lebt. Ich habe zwar viele Filme gesehen, aber im Zweifel nicht die gleichen wie der Regisseur oder der Drehbuchautor. Vor dem Kino ein filmwissenschaftliches Hauptseminar besuchen müssen wie mittlerweile bei „Kult“-Regisseur David Lynch? Nein danke. Meine Kinoregel Nummer 7: Ein Film muss ohne Vorwissen funktionieren, Anspielungen sind die Sahne, nicht der Erdbeerkuchen.

Bei „Cloverfield“ setzten die Macher auf Online-Marketing, es gab Internetschnitzeljagden, Starproduzent J.J. Abrams meldete sich per Webvideo bei den zukünftigen Kinogängern zu Wort. Und es wurde ein Riesengeheimnis daraus gemacht, welches Monster New York dieses Mal verwüstet. Die Folge: ein Hype unter den Kino-Nerds, auch hier in Deutschland. Die Spekulationen über das Ungeheuer wollten kein Ende nehmen, es kursierten Einzelbilder-Video-Analysen von Trailerausschnitten, sehr schnell auch Parodien – das alles Monate vor dem Kinostart. Davon hatte ich nur am Rande mitbekommen – würde der Film trotzdem funktionieren? Oder würde es nur Sahne statt Erdbeerkuchen geben?

Ganz klar: Der Film funktioniert auch völlig unvorbereitet. Und zwar als Crossover aus der Technik von „Blair Witch Project“ und der Grobhandlung aus Emmerichs „Godzilla“. Je authentischer die Kinorealität ist, desto härter trifft uns das Übersinnliche. Darauf setzt Cloverfield ganz konsequent: Der Film besteht aus Beweismaterial – einem anderthalbstündigen Privatvideo, das während des Monsterangriffs auf New York gedreht wurde. Keine Schnitte – nur Einschalten, Ausschalten. Und wenn die Kamera hinfällt, sieht man Ausschnitte aus älteren Aufnahmen, die ansonsten gerade überspielt werden. Rückblenden sozusagen.

Die Kamera gehört einem jungen Mann, der gerade Karriere macht und nach Tokyo gehen muss. Auf seiner Abschiedsparty wird ihm klar, dass er seine große Liebe nicht hätte verlassen dürfen. Mittlerweile ist die Kamera an seinen besten Freund weitergegeben worden. Der soll von jedem Abschiedsgrüße einfangen, stattdessen interessiert er sich viel stärker für ein bestimmtes Mädchen. Nach zwanzig Minuten sind die Charaktere klar, wir wissen genug, um die Handlungsmotive erkennen zu können. Genug Vorspiel. Zeit für den Auftritt des Monsters.

Erst fliegen die Brocken, dann der Kopf der Freiheitsstatue, und im Hintergrund des ständig wackelnden Videobildes taucht für einen Sekundenbruchteil etwas Großes auf. Dann atemlose Flucht, die Evakuierung Manhattans scheitert, die ersten aus der Gruppe sterben und unser junger Held erhält einen Anruf seiner Ex-Freundin. Sie ist verletzt, braucht Hilfe, kann ihre Nobelwohnung am Central Park nicht verlassen. Zeit für Heldentaten. Also geht die Wackelkamerajagd weiter mit neuem Ziel. Immer wieder wird das Monster (oder die Monster) kurz in verwackelter Unschärfe sichtbar und jagt dem Zuschauer jedesmal einen Riesenschrecken ein.

Schließlich landet die Gruppe in einem stockfinsteren Tunnel, was nicht im kleinen flackernden Kegel der Kameralampe auftaucht, bleibt im bedrohlichen Dunkel. Und dann diese Geräusche. Aber da gab es doch noch den Nachtsichtmodus. Das ist doch dieser Schalter hier … Und schlagartig tauchen die angreifenden wolfsgroßen spinnenartigen Parasitenmonster im grünlichen Videobild auf. Wer sich da nicht mehr erschreckt, hat definitiv zu viele Horror- und Monsterfilme gesehen.

An die Wackelei der Videobilder gewöhnt man sich genauso schnell wie bei Christians Urlaubsfilmen, Filmmusik mit vermisst man überhaupt nicht. Großer Pluspunkt: Der Film macht eine ganze Menge Fehler nicht, ohne die Monsterfilme sonst kaum denkbar sind. Die Soldaten, die Manhatten evakuieren wollen, sind ausnahmsweise keine gehirnamputierten Idioten und sie brabbeln auch keinen lächerlichen Blödsinn in irgendwelche Funkgeräte. Und es ist Gottseidank auch kein Superwissenschaftler anwesend, dessen unfassbare Intelligenz schließlich das Ungeheuer besiegen wird. Kein russisches Schiff, keine Nuklearversuche, keine geheimnisvolle Insel. Nur ein paar junge Leute, die durch Manhatten rennen, während ein riesiges Ding New York in Klump haut. Ganz offensichtlich braucht es nicht mehr für einen soliden Monsterfilm.

Die Kino-Nerds waren trotzdem enttäuscht. Der Online-Hype hatten bei einigen wohl gigantische Erwartungen aufgetürmt, die kein real existierender Film jemals hätte erfüllen können. Und zugegeben ist das Monster nur solange richtig cool, solange man es nicht richtig sehen kann. Und diese Hardcoremoviemasters haben etwas entdeckt, was ich übersehen hatte: Dass man ganz am Ende nicht auf das Pärchen im Vordergrund achtet, sondern besser auf den Fluss im Hintergrund … Und jetzt freu ich mich auf eine DVD, die es in ein paar Monaten (oder Wochen) geben wird – mit sehr viel Making-of-Sahne und Regie-Produktionskommentarsahne auf dem Erdbeerkuchen.

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Cloverfield ist ein Film für die Generation YouTube, sagt Dramaking. Bei aller Innovationsarmut auch so richtig schön offenherzig, findet Vincent Vega. Presseschau bei film-zeit.de.

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