Was gleicht wohl auf Erden …

… dem Jägervergnügen?
© 2008 Warner Bros. Ent.

Christopher über Castans Biographie des Roten Barons
Ein wackelndes Fadenkreuz auf dem Monitor, ein Blitz und dann Rauch – moderne Luftkriege sind Medienereignisse, gefiltert und anonym. Vorbei die Zeit der tollkühnen Flieger. Vorbei die Zeit aristokratische Zweikämpfe und rivalisierender Himmelstürmer. Der Luftkrieg des Ersten Weltkrieges, der trotz Grabenkrieg und Trommelfeuer nach einem bereits verblassten Ritterideal suchte, wirkt heute fremd. Gleichwohl, Kampfpiloten wie Richthofen sind Namensgeber, vielleicht sogar Vorbilder. Das Geschwader JG 71 der bundesdeutschen Luftwaffe ist nach dem Jagdflieger benannt. Aber auch jenseits militärischer Symbolik hat der „Red Baron“ überlebt.

Werbeagenturen, Tauchschulen, Künstler, ja sogar Pizza-Unternehmen haben den Roten Baron als Markenzeichen für sich entdeckt. Trotz Düsenjets und Präzisionsbomben hält die Faszination des „Roten Barons“, wie es scheint, an. Die historische Person Richthofens muss dabei allerdings häufig hinter diesem Interesse zurücktreten. Die beanspruchte Ritterlichkeit und die tatsächliche Brutalität des Luftkrieges erzeugen jedoch einen Widerspruch, der sich auch auf die Person des „roten Kampffliegers“ überträgt.

Joachim Castan sucht in seiner Richthofen-Biographie „Der Rote Baron“ allerdings weniger nach einer Auflösung des Widerspruchs, sondern stellt die Beschreibung einzelner Elemente in den Mittelpunkt. Auch steht für den 1966 geborenen Historiker und Dokumentarfilmer nicht so sehr die Frage nach Richthofens Tod im Zentrum, als vielmehr sein Weg zum Ruhm und seine historischen beziehungsweise familiären Bedingungen. Damit unterscheidet sich der Autor durchaus von den früheren Richthofen-Biographen.

Castans Richthofen-Porträt konzentriert sich hierbei auf drei Interessen, die seiner Ansicht nach den Lebensweg des Kriegshelden bestimmt haben. Hierzu gehörten die Jagd, die Karriere und die Technik. Um das Zusammenspiel dieser drei Elemente zu verdeutlichen bezieht der Autor neben der Erziehung auch die familiäre Situation der Richthofens, den Kriegsverlauf und die technische Entwicklung der Luftfahrt mit ein. Ein anderer Schwerpunkt der Biographie gilt der Mythenbildung. Richthofens Leben endete nicht mit dem Tod. Bereits zu Lebzeiten war der Flieger ein gefeierter Held und ein begehrtes Propagandamittel dazu. Nach seinem Tod ebbte Begeisterung keineswegs ab und führte bei „Freund und Feind“ zu teils idealisierenden teils manipulativen Darstellungen. Leben und „Nachruhm“ Richthofens sind für Castan somit zwei Seiten einer Medaille.

Schon früh werden Disziplin und der Umgang mit Waffen zu Konstanten der Kindheit. Kadettenanstalten und Jagden prägen das Weltbild des Heranwachsenden. Manfred von Richthofen erfährt eine preußische Erziehung. Gesellschaftlich sind die Richthofens eher Mittelmaß. Der Vater, ein Offizier im Vorruhestand, ist ökonomisch erfolglos. Die Mutter saniert und organisiert die Familie. Castans Schilderung der Familie Richthofen zeigt ein schlesisches Adelgeschlecht ohne Glanz und Glorie. Manfred von Richthofens Ehrgeiz, seine militärische Ausbildung sowie der Ausbruch des Ersten Weltkrieges, stellen auch für die Familie eine Bewährungschance dar.

Doch Richthofens Kavallerieeinsätze sind angesichts des Stellungskrieges ernüchternd und bieten dem jungen Offizier kaum Profilierungsmöglichkeiten. Statt Reiterattacken gilt es den Grabenkrieg zu überleben. An die Stelle von Offensiven treten Durchhalteparolen. Eine Wende ergibt sich für Richthofen erst mit dem Aufbau der kaiserlichen Luftwaffe. Aufgrund seiner Technikbegeisterung und seines ausgeprägten Interesses an der Jagd bietet diese neue Form der Kriegsführung für Richthofen ein ideales Betätigungsfeld.

Der Luftkampf, das Auflauern und Verfolgen feindlicher Flugzeuge entsprechen Richthofens Kriegsverständnis weit mehr als der zunehmend industrialisierte Bodenkrieg. Gleichwohl weist Castan zutreffenderweise auf den für Deutschland ungünstigen Kriegsverlauf hin. Richthofens Aufstieg zum Fliegerass und die fortschreitende Zermürbung der Reichswehr durch die alliierte Übermacht wirken diametral. Immer mehr gleicht der Krieg einem Überlebenskampf. Ebenso wie im Bodenkrieg werden auch in der Luft Begriffe wie Sportsmanship und Ritterlichkeit durch Abschussquoten verdrängt.

Detailliert und anhand von Quellen weist Castan diesen Wandel nach, sowohl auf alliierter als auch auf deutscher Seite. Beeindruckend unter diesem Gesichtspunkt ist auch Richthofens Abschusschronologie. Nahezu Abschuss für Abschuss dokumentiert der Autor den charakterlichen Wandel des Fliegerhelden. Der Stolz des ersten Abschusses weicht dem Drang zur Perfektionierung, der Zweikampf der Treibjagd. Fernab des realen Krieges: Die Heimatfront und die erfolgsfrohe Mutter. Richthofens Briefe und die offiziellen Erfolgsmeldungen verschweigen die Gräuel des Luftkriegs, den Horror des Absturzes und die verkohlten Leichen der Piloten. Der Richthofen Mythos bleibt ohne diese unterschiedliche Wahrnehmung unverständlich.

© 2008 Warner Bros. Ent.

Der Tod Richthofens am 21. April 1918 setzt dieser Mythenbildung nur ein vorläufiges Ende. Mit dem Kriegsende drohte der legendäre Kampfflieger kurzzeitig in Vergessenheit zu geraten. Bereits fünf Jahre später jedoch läuteten Nachkriegsdepression und Dolchstoßlegende seine Renaissance ein. Zwar ohne eigene Luftwaffe, aber mit dem Wunsch nach Höherem, entdeckte Deutschland Richthofen neu. Richthofen als unbesiegter Ritter der Lüfte macht die Erinnerung an Versailles erträglicher und befriedigt die Sehnsucht nach nationaler Symbolik. Ihre Pervertierung findet diese Entwicklung durch den Nationalsozialismus. Die Vita Richthofen mutierte zum germanischen Heldenepos und hilft den braunen Machthabern beim Wiederaufbau der Luftwaffe.

Castans Richthofen-Biographie zeichnet ein weites Panoramabild von dem zweifellos bekanntesten Jagdflieger des Ersten Weltkrieges. Detailliert beschreibt der Autor den Aufbau der deutschen Luftwaffe, ihre technische Entwicklung und ihre strategische Bedeutung. Schwerpunkt dieser Biographie bleibt jedoch Richthofens Rolle als Jagdflieger. Castans Biographie schwankt zwischen Tradition und kritischer Reflektion. Richthofen als erfolgreicher Kampfflieger und Richthofen als deformierter Mensch irritieren. Familie, Kriegsverlauf und politisches Umfeld ergänzen das Bild. Castan versucht Brücken zu bauen, führt entlastendes Begleitumstände wie Erziehung, militärischen Drill und den Mangel an emotionaler Bindung an. Die väterliche Jagdleidenschaft deformiert die kindliche Seele indem sie angeborene Tötungshemmungen negiert, das Militär raubt ihr die Phantasie.

Castan betrachtet Richthofen mit den Augen des modernen Menschen, sieht innere Verletzungen und geht Umwelteinflüssen nach. Das ist interessant und gibt den Blick auf einen komplexes Zusammenspiel von Soldat und Mensch frei. Es ist aber auch problematisch, weil sich im Falle Richthofens die historische Situation und ihre moderne Bewertung vermengen. Die Militarisierung der Kindheit, die Erziehung zum Gehorsam gehören zum Zeitcolorit des Kaiserreichs. Richthofen hat möglicherweise unter seiner Erziehung gelitten, er war aber auch Teil einer preußisch geprägten Gesellschaft. Disziplin, Pflicht und Ordnung sowie Vaterlandsliebe waren common sense; Individualismus, Selbstbestimmung und Freiheitsliebe dagegen gehörten nicht dazu.

Joachim Castan
Der Rote Baron
Die ganze Geschichte des Manfred von Richthofen

Klett-Cotta
ISBN 978-3-608-94461-7
24,50 Euro

„Make love not war“ – Christopher über den aktuellen Kinofilm „Der Rote Baron“

Schreibe einen Kommentar