„Die Kunst, frei zu sein – Handbuch für ein schönes Leben.“

Da kommt einer daher und gibt gute, wohlfeile Ratschläge:

„Kündige alle Daueraufträge!“
„Schmeiss Deine Uhr auf den Müll!“
„Wirf den Fernseher weg!“
„Pachte einen Schrebergarten!“

Was will dieser Mann? Nicht mehr und nicht weniger eine andere Gesellschaft, in der die Menschen ohne Karrieredenken, ohne mediale Ablenkung, ohne Zeitdruck und vor allem ohne drückende Schulden leben. Eines seiner Schlagworte: Höre auf zu konsumieren und beginne zu produzieren. Gemeint ist z.B. Gemüse oder handwerklich Hergestelltes.

Tom Hodgkinson hat eine ausgezeichnete, ja elitäre Ausbildung in Cambridge genossen und hat sich den vergangenen zum Wortführer des Müßiggangs entwickelt. Er zog von London aufs Land und lebte dort in einem Bauernhof. Er gibt „The Idler“ („Der Müßiggänger“) heraus; ein Magazin, in dem Aufsätze über alternative Zeitgestaltung abseits von der tagtäglichen Hektik erscheinen.

Seine Stoßrichtung zielt vor allem auf die Banken, die durch ihren „Service“ die Menschen in die sklavische Abhängigkeit von Krediten und Hypotheken treiben. Einmal unterschrieben, zwängen sie die Menschen, ein Vierteljahrhundert lang eine ungeliebte Arbeit auszuüben, um eben diese Hypothek abzubezahlen. Das ist gar nicht so falsch. Aber noch mehr:

„Verschuldet zu sein kann das Gefühl vermitteln, man trage Bleistiefel. Dadurch wird eine mächtige Schranke zwischen uns und unseren Träumen errichtet. … Es fesselt uns. Wir machen die Schuldenrückzahlung zur Priorität und verschieben die Dinge, die wir wirklich tun möchten. Deshalb bleiben wir schließlich in unserem Sklavenberuf. … Das ist nützlich für das System, denn es bedeutet, daß die meisten von uns mehr oder weniger ruhiggestellt sind und weiterschuften. Schulden verursachen zudem große Angst, Gesundheitsprobleme und Nervenzusammenbrüche.“

Seine Lösung: Ausstieg aus dem System, indem man seine Stelle aufgibt und zu Hause für sich selbst produziert – vereinfacht: man gärtnert. Sein Ideal sind die mittelalterlichen Verhältnisse, Zeiten, zu denen die meisten von ihrer Hände Arbeit leben konnten und noch genug Muße hatten. Das zeigen Studien, die er zitiert. Die Gilde, in denen Menschen zusammen geschlossen sind und sich gegenseitig unterstützen, ist sein Ideal. Die dörfliche (Produktions- und Handels-) Gemeinschaft, die durch ihren Kreislauf verhindert, daß globale Konzerne das Geld abschöpfen ist sein Ziel.

Er wettert bevorzugt gegen das puritanisch/protestantische Ethos, demzufolge Fleiß und stetige Arbeit die einzige gottgefällige Art zu Leben sei und lobt das katholische Gottvertrauen, das vor Luther die Menschen genußvoll dem Müßiggang frönen ließ (Seht ihr die Lilien auf dem Felde…). Aber die Puritaner unter Heinrich VIII. hätten Feiertage und Müßiggang geächtet und als die Medici es geschafft hätten, die bis dahin verbotenen Wucherzinsen hinterrücks doch einzuführen, da sei es vorbei gewesen mit der schönen, menschenfreundlichen Welt.

Freude an dem, was man hat, Bescheidenheit, ein offenes Haus für andere, Geselligkeit, gute Gespräche und einen Teil der Lebensmittel selbst produzieren – das sind seine Vorstellungen. Gepaart mit selbstgenügsamer Lebensweise, die sich mit dem, was man hat, zufrieden gibt, sieht er so die große Chance, ein erfüllteres Leben zu finden und zu führen. Und die Politik? Die will Hodgkinson gar nicht erst bemühen. Das ganze System will er einfach ignorieren, denn Änderungsversuche der scheuklappentragenden Politiker seien sinnlos. Also: Einfach ignorieren und eine Parallelgesellschaft aufbauen!

„Statt den Staus quo anzugreifen mag es klüger sein, unsere eigene Gesellschaft parallel zum gegenwärtigen System zu schaffen und „das Ding“ so gut wie möglich zu ignorieren. Um die Bürokratie und die Steuern niedrig zu halten, verdienen wir nur kleine Geldbeträge und leisten einander stattdessen gegenseitige Nachbarschaftshilfe. Wir wollen kein erschwinglichen Wohnungen, keine Arbeitsplätze und Einkaufszentren. Das sind Vergünstigungen des Sklaven, angeboten durch die Obrigkeit … Wir wollen Boden, Wohnwagen und Bäume, kleine Grundstücke, Gemüsebeete, Kunsthandwerk. Und Bier und Bücher. Das ist alles. Unsere einzige Hoffnung liegt also nicht darin, das herrschende System umzustürzen, sondern darin, es massenhaft zu ignorieren.“

Das ist starker Tobak. Doch – wer in sich geht beim Lesen dieser Zeilen dürfte ein gewisses Sympathiegefühl verspüren. Selbstgezogenes Gemüse, unter Bäumen mit Bier und Büchern! Müßiggang ist vielleicht doch nicht aller Laster Anfang! Sondern vielleicht Quelle kreativer Gedanken interessanter Gespräche. Dafür braucht man Zeit, die heutzutage angeblich keiner mehr hat. Hodgkinson sagt lapidar:

„Schmeiß deine Uhr auf den Müll!“

Denn:

„Der Gedanke, es mangele uns an Zeit, ist absurd, denn jedem von uns steht exakt die gleiche Menge zur Verfügung, nämlich vierundzwanzig Stunden am Tag. … Das Gefühl des Zeitmangels ist ein Motor für die Konsumwirtschaft. Wenn du meinst, es fehle dir an Zeit, dann bist du eine leichte Beute für die Werbung, die dir Zeit- und Arbeitsersparnis verspricht. … Wie also befreien wir uns aus dem Griff der Uhr-Zeit? Etwa einfach dadurch, daß wir jegliche Zeitpläne aufgeben. … Sei realistisch. Fordere dir nicht zu viel ab. Tu weniger. … Wenn du zuläßt, daß sich Dinge ereignen, dann wird dein Leben erfüllter.“

Hodgkinsons Gedanken und Forderungen klingen radikal, aber radikal heißt doch erst mal nur, daß man an die Wurzel geht, daß man Grundlegendes zugänglich macht. Und wenn dahinter das Bild eines freien, selbstbestimmten Lebens steht, dann kann das nicht so ganz falsch sein. Denn eines verdeutlich Hodgkinson: Die Menschen sollen wieder selbstbewußt, anmutig und angstfrei leben, sie sollen die Freiheit, die jeder in sich trägt, wieder ausleben können.

Ich habe beim Lesen des Buches vor allem eines empfunden: Lust, das eine oder andere auszuprobieren. Und daneben auch einfach Lust an den schrägen Gedanken und der Unbekümmertheit, mit der Hodgkinson an vermeintlich soliden Strukturen rüttelt. Ja, es war wohl ein Hauch von fröhlicher Freiheit, der durch seine Zeilen weht.

Tom Hodgkinson
Die Kunst, frei zu sein – Handbuch für ein schönes Leben
Heyne, 8,95 €
ISBN 978-3453630048

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