Folge 749
PJ liest Nina Sedano DIE LÄNDERSAMMLERIN
Länge: 07:05
Noch eine von denen, die auf einer Liste abhaken, um danach sagen zu können „Das habe ich alles gemacht / gesehen / gesammelt“? Ja und Nein.
Ja, denn Nina Sedano hat tatsächlich in rund 40 Jahren alle 193 von der UN als Staaten anerkannte Länder bereist; zumindest hat sie mal deren Staatsgebiet betreten. Nein, denn sie hakt nicht nur ab, sie interessiert sich auch für die Menschen und deren Lebensumstände in den Zielländern. Das ergibt sich oft von selbst, denn ihr schmales Budget verhindert, daß sie in luxuriösen Resorts absteigt. Sie übernachtet in kostengünstigen Hostels und reist über Land mit öffentlichen Verkehrsmitteln. So kommt es zu Kontakten, die sie in den privaten Bereich der Einheimischen führen.
Diesen Reisevirus muß sie sich doch irgendwann und irgendwo eingefangen haben? Nina Sedano meint, dies sei ihr als 13-Jähriger widerfahren: Die erste Reise allein als Gastschülerin nach Südengland. Zwar bricht sie sich den Daumen, aber
„Der Daumenbruch tut meiner Liebe zu England und einer reisefreudigen Zukunft keinen Abbruch. Ich komme wieder. Im Alter von fünfzehn und achtzehn verbringe ich drei Wochen der Sommerferien in Hastings. Der englische Humor färbt auf mich ab. Ich bin sicher, daß mein Weg, der mich durch die ganze Welt führt, bereits in Englands Süden geebnet wurde. Hier liegt der Ursprung meiner Reiselust.“
Da Reisefieber hat sie also gepackt, das Fieber bleibt konstant hoch. Nach einigen Jahren in Ehe und Beruf gibt sie beides auf. Sie will nicht mehr mühsam Urlaub, freie Tage, etc. zusammen klauben. Hinzu kam Mobbing durch einige Kolleginnen bis zum Schluß.
„Das traurige Ende meiner langen Firmenzugehörigkeit am letzten Arbeitstag … und die monatelangen Gemeinheiten meiner Kolleginnen, … ,werden immer Teil meines bewegten Lebens sein und mich nachdenklich stimmen. Diese Erfahrungen motivieren mich, es mir jetzt und in Zukunft besser gehen und mir meine Lebensfreude von anderen nicht nehmen zu lassen. Ich habe allen Mut zusammengenommen und meine ganze Energie aufgebracht, etwas zu wagen, was mir viele Leute nie zugetraut hätten: Ich habe das Sicherheitsdenken beiseitegeschoben und einen gut honorierten Arbeitsplatz verlassen, um mich frei für die Welt zu machen.“
So geht sie mit mehr als 7.000.- € Ersparten am Leib auf eine Asienreise. Vorher war sie in Südamerika und Afrika gewesen. Wie sie ihre weiteren Reisen finanziert, wird nicht klar.
Eine gut aussehende, weiße Blondine allein in der Welt – kann das gut gehen? Sie verläßt sich auf ihr Bauchgefühl, ihren Instinkt. Und der half ihr zum Beispiel in Nicaragua, als sie abseits der üblichen Wege in ein einsames Viertel Managuas gerät.
„Er ist wie aus dem Nichts gekommen. … Er läuft langsam vor mir her, in höchstens zehn Metern Entfernung. … Aus seinem Mund ertönen eigenartige Pfiffe. Ich blicke für den Bruchteil einer Sekunde in seine Augen. Der gehetzte Blick ist nicht auf mich gerichtet, sondern auf jemanden hinter mir…. Er hat etwas Ausgehungertes an sich, ist wie ein Panther auf Beutezug… Ein weiterer Jugendlicher bewegt sich in gleichem Abstand hinter mir.“
Zu ihrem Glück entdeckt sie einen Mann, den sie anspricht, woraufhin die beiden Burschen verschwinden. Andererseits vertraut sie wildfremden Menschen in der Ukraine, in Ruanda oder in Bangladesh. Dort spricht sie ein einheimischer Englischlehrer an. So lernt sie, obwohl ihre Mutter immer wieder davor gewarnt hat, mit fremden Männern mit zu gehen, ein komplettes Lehrerkollegium kennen und wird in die Familie des Lehrers zum Essen eingeladen.
Zu diesem Zeitpunkt hatte sie außer ihrer unbändigen Reiselust noch nicht die Idee zu diesem Buch. Die entstand in Deutschland beim Essen mit zwei Freudinnen.
„Aus heiterem Himmel gibt Angela unserem lockeren Geplauder eine seltsame Wendung. Es scheint, als hätte sich die Sonne schnell hinter düsteren Gewitterwolken versteckt. In genervtem Ton wirft mir Angela plötzlich entgegen: ‚Nina, du kannst nicht jedes Dorf dieser Welt bereisen.‘ … Ich hole tief Lust und lasse die Worte aus mir heraussprudeln: ‚Natürlich kann ich nicht jedes Dorf bereisen. Das geht doch gar nicht…‘. Gleichzeitig zuckt ein Gedanke wie ein Blitz durch meinen Kopf: Nicht jedes Dorf kann ich bereisen, aber jeden politisch anerkannten Staat der Vereinten Nationen!“
So kam das Material für das Buch zusammen; die Geschichten sind spannend bis ungewöhnlich, die Sprache eher schlicht und manchmal etwas unbeholfen. Dennoch – die LeserInnen erfahren detailliert, wie ein Bungee-Sprung vonstatten geht oder werden mitgenommen zu dem skurrilen, ja absurden Ritual eines Besuchs im Mausoleum von Kim Il-Sung, dem 2008 verstorbenen nordkoreanischen Diktator.
Hinzu kommen allgemein wichtige Erfahrungen zu aufdringlichen Moskitos, über die notwendige Hartnäckigkeit beim Visumantrag, bis hin zur mangelhaften Haltbarkeit des deutschen Reisepasses. Und die banale Erkenntnis, daß es ohne Sprachkenntnisse – und seien es nur wenige Worte – nicht geht.
Nina Sedano öffnet ihren LeserInnen Türen, durch die diese wohl kaum hindurch gelangen würden. Denn nicht alle Länder kann sie problemlos ansteuern; trotz geduldigen Bohrens bei der jeweiligen Botschaft. So steigt die Spannung im Verlauf der Lektüre – da man weiß, daß sie es geschafft hat – welches Land am schwierigsten zu „erobern“ war. Es darf geraten werden!
Reisen wie Nina Sedano ist bestimmt nicht jeder-fraus Sache; sie ermutigt aber ihre couragierteren Geschlechtsgenossinnen – unter Beachtung der Sicherheitsregeln – es ihr gleich zu tun. Die anderen, denen schon bei der Vorstellung, allein zu reisen, blumerant zumute wird, werden dieses Buch mit gelegentlich wohligem Schauern im gemütlichen Wohnzimmer lesen.
Nina Sedano
Die Ländersammlerin
Wie ich in der Ferne mein Zuhause fand.
320 Seiten, Eden Books
ISBN 9783944296203
Hörtipp
Gespräch mit Nina Sedano in HR2 „Doppelkopf“ (18.9.2014).
Text und Podcast stehen unter der Creative Commons-Lizenz BY-NC-ND 4.0
Quelle: PJ Klein/SchönerDenken (Direkter Download der Episode über rechte Maustaste)