Zum Abschluss unseres Türkei-Schwerpunkts beschäftigt sich Christopher mit einer Ausstellung türkischer Karikaturen.
Karikatur bringt Geschichte auf den Punkt. Teils spöttisch, teils kritisch weist sie uns auf die Unebenheiten unseres Alltags hin. Karikaturisten nehmen sich die Freiheit. Eine Freiheit, die nicht überall ohne weiteres gewährt wird. Ihre spitze Feder ist den Mächtigen und Sittenstrengen oftmals ein Dorn im Auge. Wo der Spaß aufhört, fängt Karikatur an. Zum Beispiel die Mohammed-Karikaturen – haben Sie sich nicht auch schon mal gefragt: Haben Muslime eigentlich Humor?
Eine provozierende Frage zugegeben. Die Antwort hierauf gibt das Frankfurter Museum der Weltkulturen, zusammen mit der türkischen Kulturinitiative Diyalog. Mit seiner Ausstellung „Die Nase des Sultans“ nutzt das Museum die Chance, den Ehrengast der diesjährigen Buchmesse, die Türkei, von einer bislang unbekannten Seite kennen zu lernen. Nämlich aus der Sicht des Karikaturisten. Über die künstlerische Entwicklung dieses Genres hinaus geben die Zeichnungen dem Besucher auch einen Einblick in die wechselvolle Geschichte dieses Landes. Selten befinden sich Politik und Kultur so im Gleichschritt wie hier. Aktion und Reaktion folgen direkt und unvermittelt aufeinander.
Die Geburtsstunde der türkischen Karrikatur schlug in der Mitte des 19. Jahrhunderts. Mit der Entscheidung Mahmuds II., das Osmanische Reich gegenüber dem Westen zu öffnen, hielt auch die Karikatur Einzug. Selbst ein Kind der Aufklärung, war sie im Osmanischen Reich zunächst ohne Vorbild und hatte sich daher an der traditionellen Satire, der Karagöz, zu orientieren. Eingeschränkt durch repressive Pressegesetze, die sogar die Nase des Sultans vor „Verunglimpfung“ schützten, blieben der Karikatur nur wenig Entfaltungsmöglichkeiten.
Spätestens mit dem Aufkommen der Jungtürken änderten sich Form und Inhalt der Karikatur. An die Stelle von Schattenspielen und Puppentheatern, trat die Zeichnung. Politisch offensiver und durch die Erfahrung des Exils radikalisiert, nutzten die Karikaturisten nach dem Ende der Alleinherrschaft von Abdülhamid II. die entstehenden Freiräume. Zunächst mit erheblichem graphischen Aufwand gefertigt, setzte sich mit dem beginnenden zwanzigsten Jahrhundert eine rudimentärere Darstellungsweise durch. Kunstvoll stilisierte Graphiken traten zu Gunsten von abstrakteren Anspielungen in den Hintergrund. Mit der allmählich wachsenden Vertrautheit europäischer Sichtweisen, erweiterte sich auch der Blickwinkel der Künstler. Moderne Kommunikation, Eisenbahn und das Wachsen der Städte veränderte das Bewusstsein der Menschen. Trotzdem, die Ansprechpartner der Karikaturisten blieben die „gebildeten Stände“.
Erste Ansätze liberalerer Sichtweisen wurden durch den Ersten Weltkrieg und die darauffolgende Besetzung der Türkei durch Griechen und Engländer verdrängt. Zensur und die Polarisierung der Gesellschaft durch den heraufziehenden Bürgerkrieg versuchten die Karikatur für die Propaganda zu nutzen. Eine Entspannung der Situation trat erst mit dem Sieg Atatürks ein. Im Unterschied zur Vorkriegszeit öffnete sich die Karikatur nun größeren Bevölkerungskreisen. Technisch verfeinert und nah am Alltag der Menschen nahm ihre Popularität von nun an stetig zu. Aber auch wenn das Fahrwasser ruhiger wurde – politische Rückschläge blieben nicht aus.
Der Zweite Weltkrieg, die Diktatur der Militärs und der Kalte Krieg belasteten die Gesellschaft. Kunst wird zum Drahtseilakt und Künstler endeten nicht selten im Gefängnis. Darunter auch Karikaturisten. Trotz einer fast 100-jährigen Phase der Eingewöhnung rührt ihre Kritik noch immer an den Grundfesten der Macht.
Aktuelle Karikaturen deuten jedoch einen Geisteswandel an. In ihrer Darstellung offener, bei der Wahl der Themen provokanter, zeigen sie eine Gesellschaft im Wandel. Ironisch werden Konflikte zwischen Stadt und Land angesprochen. Sogar die Religion findet ihren Platz. Wie in kaum einem anderen islamischen Land werden Schador und Paschatum der zeichnerischen Kritik unterzogen.
Weit von dem Anspruch entfernt ein repräsentatives Bild der türkischen Gesellschaft wiederzugeben, gelingt es der Ausstellung damit ein Land auf dem Weg in die Moderne vorzustellen.
Die Ausstellung ist noch bis zum 16. September im Museum der Weltkulturen zu sehen. Öffnungszeiten sind dienstags und donnerstags bis sonntags von 10.00 bis 17.00 Uhr sowie mittwochs von 10.00 bis 20.00 Uhr.