Endlich Nichtdenker!

PJ liest „Endlich Nichtdenker! Handbuch für den überforderten Intellektuellen“ von Hannes Stein.

In einer Welt des Multitasking, der stetig wechselnden Herausforderungen und der nie zu bewältigenden E-Mail- und Informationsflut hat sicher schon mancher den Wunsch verspürt, sein endlos ratterndes, gequältes Gehirn einfach mal ausschalten zu können. Vom Arbeits- in den Stand-by-Modus gehen, einfach mal nicht denken. Das geht nicht? Doch, verspricht Hannes Stein und legt sein „Handbuch für den überforderten Intellektuellen“ demselben auf den Tisch, betitelt mit dem verheißungsvollen Slogan: „Endlich Nichtdenker!“

Für alle, die nicht schon wieder eine gedruckte Lebenshilfe durchackern wollen und somit bereits auf dem besten Weg sind, Nichtdenker zu werden, empfiehlt der Autor „Verbrennen Sie dieses Buch!“, und – falls Sie doch Angst haben, rückfällig zu werden „Kaufen Sie .. ein weiteres Exemplar dieses Buches und verbrennen Sie es ebenfalls“. Und fortgeschrittenen Nichtdenkern gestatte er, „den Kaufpreis des Buches als symbolische Handlung direkt an den Autor zu überweisen.“

Worum geht es? Um den dreifachen Fluch des Denkens:
1) Durch Denken verbaut man sich Karrierechancen.
Denn in Führungspositionen muß man schnell Entscheidungen treffen – Grübeln ist da nur hinderlich.
2) Denken macht einsam.
Denn in der Menge bleibt der Denker ein Einzelner, zitiert aus Büchern, die keiner gelesen hat, kurz – er wird zum Spielverderber.
3) Denken führt zur Langeweile.
Denken raubt den Dingen ihr Flair, ihr Mysterium; die Welt hält keine Überraschungen mehr bereit.

Der Guru des Nichtdenkens Hannes Stein verspricht seinen Jüngern Befreiung von diesem Fluch. Wenn sie ihm auf dem achtfachen Pfad folgen, erreichen sie Kraft, Reichtum, Innere Ruhe, Selbstvertrauen, Mut, Selbstachtung, Gesundheit und Sex. Dieser achtfache Pfad wird detailliert beschrieben und durch praktische Übungen ergänzt. Wobei Stein besonders auf letztere großen Wert legt.

So befasst sich der zweite Pfad unter der Überschrift „Die Kirche im Dorf lassen!“ mit der Maxime: „Identifizieren Sie sich mit Ihrer ethnischen Gruppe. Und zwar völlig.“ Dazu soll man sich in den Herrgottswinkel zurückziehen, denn Städte sind Orte, wo der Mensch seine Authentizität verliert. Auf dem Lande hingegen ist der geistige Horizont zuverlässig eingeengt. Als glorreiches Beispiel nennt er die DDR:

„Zwischen Spreewälder Gurkengläsern, sozialistischen Wandsprüchen und Stasispitzeln konnte man sich gemütlich einrichten. Der Film „Good bye, Lenin“ hat gezeigt, wie viel Spaß das machte. Die DDR ermöglichte ihren Einwohnern, wohlig in provinzielle Dumpfheit zu versinken. … Die DDR-Identität emanzipierte sich immer weiter von der schnöden Realität, sie wurde immer reiner und substanzloser; und so überlebte sie sogar das Ende der DDR.“

Sein Fazit:

„Suchen Sie Ihr Heil in der Provinz! Diese Aufforderung meine ich nicht nur im geografischen, sondern auch im geistesgeschichtlichen Sinn. Es ist schädlich, wenn Sie die Grenzen Ihres Weltbildes verletzten.“

Aus dieser Überzeugung heraus entwickelte er konsequenterweise folgende praktische Übungen:
– Gehen Sie eine Woche lang in der Tracht Ihrer Landsmannschaft spazieren.
– Merzen Sie aus Ihrem Sprachgebrauch sämtliche Fremdwörter aus.
– Treten Sie einem Schützenverein bei.

Wem das zu aufwendig erscheint, dem sei der fünfte Pfad empfohlen „Reden ist Gold!“ und die dazugehörige Maxime: „Widerstehen Sie der Versuchung, zu schwiegen. Reden Sie über alles mit“. Denn: Je mehr man redet, um so weniger denkt man. Stein empfiehlt als Rüstzeug für diese Aufgabe ein Buch – ungern, denn da muß man je wieder lesen, also denken – nämlich: das Wörterbuch der Gemeinplätze“ von Gustave Flaubert. Dort findet man goldene Formulierungen, mit deren Hilfe man sich zu jedem Thema äußern kann; und dies, ohne einen einzigen Gedanken zu bemühen! Hier einige Beispiele:

„Italiener. Alles Musikanten, alles Verräter.“
„Mandoline. Unerlässlich zur Verführung von Spanierinnen.“

und vor allem:

„Denken. Lästig. Dinge die einen dazu bringen, gibt man in der Regel auf.“

Quod erat demonstrandum! Mit diesen Preziosen im Kopf kann man nun problemlos, gedankenfrei eigene aktuelle Einlassungen entwickeln. Als da wären:

„Berlin. Dort steppt der Bär“
„Gewalt. Ist keine Lösung. Hat noch nie etwas Gutes bewirkt“
„Mallorca. Das Landesinnere soll ja sehr schön sein.“

Steins Fazit:

„Gespräche sollen nur dazu dienen, das miteinander auszutauschen, was ohnehin schon jeder weiß. ….und das Denken hat keine Chance, sein hässliches Haupt zu erheben.“

Wenn es darüber hinaus gelingt, die Debattenhoheit zu erobern, dann haben die Denker, die Differenzierten keine Chance mehr. So konnte ein führender FDP-Politiker, jahrelang Stammgast bei Sabine Christiansen, sein Mantra „Wachstum schafft Arbeitsplätze“ so stetig und unwidersprochen in der Talkrunde verbreiten, daß am Ende sogar die „Grünen“ diese Formel benutzten. Die Wirtschaftsstatistik zeigte ein völlig anderes Bild – aber dazu hätte man lesen, also denken müssen.

Besonders wichtig für stetigen Redefluss sind darüber hinaus Verschwörungstheorien. Die sind für lange, inhaltsfreie Gespräche und Debatten bestens geeignet. Im Internet findet jeder die passende. Oder er rührt alle so zusammen, daß eine globale Verschwörung von CIA, israelischem Geheimdienst und finsteren Außerirdischen für alles verantwortlich gemacht werden kann.

Steins praktische Übungen dazu:
1) Lernen Sie die oben aufgelisteten Gemeinplätze auswendig! Murmeln Sie die Gemeinplätze als Mantras vor sich hin. Bald wird sich Ihr Geist klären, die Gedanken werden Ihren Schädel verlassen, und tiefe Ruhe wird es sich in Ihrer Seele gemütlich machen.
2) Vertiefen Sie sich wenigstens in drei Verschwörungstheorien. Meditieren Sie zunächst über Ihre Lieblingstheorie; reichern Sie diese dann mit Elementen der anderen zwei Theorien an. Nie wieder werden Sie in die Denkfalle tappen und die Widersprüchlichkeiten der Wirklichkeit wahrnehmen. Jetzt können Sie ja alles erklären.

Betrachten wir nun den sechsten Pfad, der überschrieben ist „Allah ist groß! Werden Sie religiös. Am besten Muslim“. Bevor der Autor zu dieser Empfehlung kommt, erläutert er detail- und kenntnisreich, warum das Judentum ungeeignet ist, Nichtdenker heranzubilden und warum auch das Christentum nicht zum gedankenfreien Paradies führen kann. Ein gewisse Chance gibt er den New-Age-Religionen. Vor allem der Buddhismus, der in seinen meditativen Übungen den Menschen zum leeren Gefäss machen möchte, ist da zu nennen. Gepaart mit der Hinwendung zu einem Guru ist der Pfad zum Nichtdenker bestens bereitet. So forderte ein Schild vor der Empfangshalle des legendären Bhagwan: „Die Schuhe und der Intellekt sind am Tor abzugeben.“ Bravo, aber: Solche New-Age-Strömungen taugen nur für Minderheiten.

Wer seinen Glauben mit Millionen anderen teilen will, der muß Muslim werden. Denn, so Stein, diese Religion sei einfach und sie sei totalitär. Und es gebe keine vielzähligen und vielschichtigen Interpretation des Koran. Der Islam hat für ihn eine einfache Weltsicht: Es gibt die Gläubigen und die zu bekämpfenden Ungläubigen, in den islamischen Staaten ist Redefreiheit verpönt, die Frauen bleiben ungebildet und unter dem Schleier, Bildung und Kreativität der Bürger sind meist nicht gefragt, denn man braucht oft bloß ein Loch zu bohren und schon kommt Öl raus.

Spätestens jetzt fragt sich der Leser, ob er mit flaubert-ähnlichen Allgemeinplätzen für dumm verkauft wird oder ob der Verfasser vielleicht etwas ganz anderes im Sinn hat. Immerhin hat man sich beim Lesen schon mal den einen anderen Philosophen gemerkt, über den oder von dem man mehr erfahren möchte. Und schon ist die Falle zugeschnappt: Hannes Stein will zwar vordergründig zum Nichtdenken verführen, de facto erreicht er – zumindest bei etlichen – das Gegenteil. Und das dürfte auch seine Absicht sein. Die intellektuelle Flachheit der täglichen Wortflut, die Gedankenlosigkeit öffentlicher Worthülsen und die Schlichtheit hinter hochtrabenden Verlautbarungen zu entlarven. Denn wer komplex denkt und etwas komplizierter redet, hat keine Chance ins Fernsehen zu kommen – oder?

So spitzt er am Ende des Buches seine Empfehlungen konsequenterweise noch weiter zu, indem er aus Jonathan Swift „Gullivers Reisen“ die Yahoos als erstrebenswerte Lebensform beschreibt. Ganzkörperbehaart sind sie damit zufrieden, in ihrem Schmutz zu sitzen und einander bei Vollmond zu begatten. Die Affenhorde als Ideal, das uns der Last des Mensch-Seins enthebt. Nach dem Motto: Non cogito, ergo sum.

PS.: Für alle, die immer noch nicht vom Nichtdenken überzeugt sind, hier nochmals die acht Glückseligkeiten, die auf den Nichtdenker warten:
> Kraft
> Reichtum
> Innere Ruhe
> Selbstvertrauen
> Mut
> Selbstachtung
> Gesundheit
> Sex

PPS.: Jetzt weiß mancher, woher der Begriff „Yahoo“ kommt – oder?!

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