Der „Spartakus-Aufstand“ war bereits niedergeschlagen, als Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht der Garde-Kavallerie-Schützen-Division übergeben wurden. Durch ihren Widerstand während des Ersten Weltkrieges bekannt geworden, unterstützten Luxemburg und Liebknecht nach Kriegsende den Aufbau einer Räterepublik. Ihre aktive Parteinahme während des Aufstandes verstärkte die Entfremdung gegenüber der SPD und hatte eine weitere Radikalisierung innerhalb der Linken zur Folge. Nach ihrer Verhaftung wurden Liebknecht und Luxemburg zunächst gefoltert und dann durch den Freikorps-Leutnant Hermann Souchon am 15.1.1919 ermordet. Ihre Leichen wurden in den Berliner Landwehrkanal geworfen.
Zu den eigentlichen Errungenschaften des Sozialismus gehört, das Selbstverständliche neu formuliert zu haben. Eine dieser Selbstverständlichkeiten ist der Begriff der Gedankenfreiheit. Oder mit den Worten Rosa Luxemburgs :”Die Freiheit ist immer die Freiheit des Andersdenkenden”. Der Ansatz als solcher ist allerdings nicht ganz neu. Gedankenfreiheit ist eine Forderung der Aufklärung und damit ein fester Bestandteil des bürgerlichen Demokratieverständnisses. So forderte zum Beispiel Schillers Marquis von Posa bereits 1787 im Don Carlos: “Ein Federzug von dieser Hand, und neu erschaffen wird die Erde. Geben Sie Gedankenfreiheit“. Wird hier die Freiheit noch gewährt, also zugestanden, geht die amerkanische Verfassung von 1776 bereits einen Schritt weiter und macht sie zum unveräußerbaren Recht des Einzelnen.
Das Recht auf eigene Gedanken
Neben dem Recht, durch eigene Gedanken die Welt zu verstehen, beinhaltet der Begriff der Gedankenfreiheit auch die Freiheit des Gewissens und damit die Eigenverantwortlichkeit des Individuums. Ursprünglich religös verstanden, stellt das Gewissen die moralische Instanz des Menschen dar und hilft ihm bei der Bewertung seiner Umwelt. Gewissens- und Gedankenfreiheit sind somit untrennbarer Bestandteil der menschlichen Würde. Erst durch sie wird die Individualität des Einzelnen ethisch begründbar. Entsprechend der naturgegeben Fähigkeit des Einzelnen zur Reflektion ist die Gedankenfreiheit ein Wert ans sich. Es ist in diesem Sinne nur folgerichtig sie als persönliches Eigentum zu verstehen und ihre Unversehrtheit zur fundamentalen Voraussetzung von Gesellschaftlichkeit zu erklären.
Freiheit ist nicht relativierbar
Die Forderung nach Gedankenfreiheit widerspricht damit nicht nur dem Absolutheitsanspruch staatlicher Autorität, sie ist auf Grund ihres individuellen Ursprungs auch nicht relativierbar. “Die Freiheit des Andersdenkenden” dagegen schützt weder die persönliche Freiheit, noch ist sie zur Erlangung desselben notwendig. Rosa Luxemburgs Freiheitsbegriff ist in einer sozialistischen Weltsicht begründet, die die Gesellschaft über den Einzelnen stellt. Freiheit wird wie jedes materielle Eigentum kollektiviert und damit vergesellschaftet. Dies ist unter ideologischen Gesichtspunkten durchaus konsequent. Ist es doch gerade diese Gedankenfreiheit, die zu materiellen Ungleichheiten in der Gesellschaft führt. Der Anspruch des Sozialismus nach materieller “Gerechtigkeit”, einer Neuordnung der Eigentumverhältnisse und damit der Aufbau einer sozialistischen Gesellschaft, offenbart allerdings philosophische Defizite. Diese liegen vor allem in dem fehlenden logischen Bezug von Freiheit und Gerechtigkeit begründet.
Das Sein bestimmt das Bewusstsein
Entsprechend der liberalen Vertragslehre, begründet sich eine Gesellschaft durch den freien Willen ihrer Mitglieder. Individuelle Freiheitsrechte gehen nicht verloren, sondern werden zeitweise an den Staat abgetreten. Sozialistsiche Gesellschaften hingegen konstituieren sich auf Grund eines historischen Materialismus, der einen folgerichtigen und gesetzmäßigen Geschichtsverlauf annimmt. Geschichte wird nach Marx zum Verteilungskampft, ihr Ziel ist die Erlangung materieller Gerechtigkeit. Dieser Geschichtsverlauf entzieht sich der individuellen Gestaltung, stattdessen gewinnt die Klassenzugehörigkeit an Bedeutung. Oder anders ausgedrückt: „Das Sein bestimmt das Bewustsein“
Freiheit als revolutionäre Parole
Indem Rosa Luxemburg den Freiheitsbegriff von seiner Vorausetzungslosigkeit entkleidet, droht er zur revolutionären Parole zu werden. Vor allem die in Luxemburg-Interpretationen vorgenommene Verknüpfung von Freiheit und Gerechtigkeit steht in krassem Widerspruch zum Menschenrechtsgedanken. Die direkte Schlussfolgerung, Freiheit sei erst dann legitim, wenn sie sich durch die Befreiung anderer rechtfertigt, führt einen höchstens ideologisch, keineswegs aber philosophischen begründbaren Pflichtbegriff ein. Tatsächlich ist dieser aber ein Rückschritt. In dem er den Menschen erneut zum Vermittler von Freiheit werden lässt, öffnet er der Instrumentalisierung Tür und Tor. Hinzu kommt, dass der sozialistische Gerechtigkeitsbegriff schon durch seine rein materialistische Begründung ethische Defizite aufweist. Gerechtigkeit als eine gleichmäßige und verallgemeinerbare Anwendung moralischer Prinzipien, zu denen im übrigen auch die Gedankenfreiheit gehört, entzieht sich einer rein positivistischen Herleitung. Ein Umstand, den auch Rosa Luxemburg nicht zu lösen vermochte.