Geheimnis des Glaubens

Christopher liest „Mohammed – eine Biografie“
Zeitenwenden haben es in sich. Gemeinhin als Fortschritt oder Aufbruch von den Chronisten dargestellt, wirken frühere Epochen häufig rückständig und barbarisch. Beispiele sind leicht zu finden: Die Aufklärung erfand das „finstere Mittelalter“, das Christentum die Heiden und der Sozialismus die Bourgeoisie. Vorstellung und Realität vermischen sich, aus Geschichte wird Mythos. Der niederländische Islamforscher Hans Jansen geht den umgekehrten Weg. Mit „Mohammed – eine Biografie“ macht er sich daran das Bild des orientalischen Religionsstifters auf seine historischen Stichhaltigkeit zu überprüfen.

1942 in Amsterdam geboren, promovierte Jansen in Leiden und unterrichtete dort bis 2002. Seit 2003 hat er eine außerplanmäßige Professur für zeitgenössisches Islamisches Denken an der Universität Utrecht inne. Seit 1974 beschäftigt er sich mit zeitgemäßen Interpretationsmöglichkeiten des Koran und Modernisierungsversuchen innerhalb des Islam. Das Aufkommen militanter fundamentalistischer Bewegungen in der arabischen Welt verdeutlicht dabei für Jansen auch die Forderung nach politischer Mitbestimmung. Dabei stellen für Islamisten Politik und Religion keinen Widerspruch dar, sondern ergeben sich vielmehr aus dem traditionellen jihad-Begriff des Korans. Politische Emanzipation und islamische Gesellschaftsordnung verkörpern, nach Ansicht Jansens, für muslimische Fundamentalisten eine heilsgeschichtliche Kontinuität, die unabdingbar mit der Person Mohammeds und seinem Leben als Prophet verbunden ist. Grund genug um der Frage nachzugehen: „Wer eigentlich war Mohammed?“

Zunächst eine kurze Vorbemerkung. „Mohammed – Eine Biografie“ stellt eine Zusammenfassung zweier zwischen 2005 und 2007 in den Niederlanden erschienen Teilbiografien dar, in denen Jansen Mohammeds Leben in Mekka und Medina beschreibt. Das schmälert zwar den Wert des Buches nicht, aber die zweistufige Vorgehensweise des Autors und die damit einhergehende zeitliche Abfolge bei der Behandlung des Themas wird für den Leser der deutschen Ausgabe nicht ohne weiteres ersichtlich. Ein kurzes editorisches Vorwort, das die Motivation des Autors und die unterschiedliche Publikationsweise erläutert, wäre bei einem Thema, in dem Transparenz und historische Überprüfbarkeit eine wichtige Rolle spielen, hilfreich gewesen.

Geschichte versus Glauben – eine Biografie Mohammeds beschreitet schwieriges Terrain. Jansens Entscheidung, das Leben Mohammeds, sein politisches Wirken und damit auch sein religiöses Erbe zu untersuchen, ist eine wissenschaftliche und religiöse Gratwanderung. Die Schwierigkeit, das Gebot ewige Wahrheiten anzuerkennen ohne die Suche nach historischer Plausibilität zu vernachlässigen, beschreibt ein Problem von Mohammed-Biografen. Ein anderes ist das Leben Mohammeds selbst. Vieles ist unklar, Dokumente fehlen und an die Stelle von Tatsachenberichten treten heilsgeschichtliche Betrachtungen. Berichte von Zeitgenossen? Fehlanzeige! Zu den Grundlagen wissenschaftlicher Arbeit zählt Jansen die Aufzeichnungen nachgeborener islamischer Gelehrter wie Ibn Ishaq (ca. 704 – 768), Ibn Hischam (gestorben 834) oder at Tabari (839 – 923) beziehungsweise den Koran. Um zu einer realistischen Einschätzung Mohammeds zu gelangen, ist also eine kritische Überprüfung dieser Schriften notwendig.

Jansen konzentriert sich im wesentlichen auf drei Untersuchungsschwerpunkte. Die zeitliche und geografische Plausibilität der Überlieferung, die historische Stimmigkeit der islamischen Geschichtsschreibung und die sprachliche Homogenität des Koran.

Die Annäherung an Mohammed erfolgt traditionell. Der Autor sucht nach dem Geburtsort, dem Geburtsjahr, den Eltern. Erste Ungenauigkeiten werden offenbar. Die Einführung einer islamische Zeitrechnung, die keine Schaltmonate kennt, erschwert eine genaue Datierung. Historische Bezugspunkte wie das „Jahr des Elefanten“, in dem Mohammed geboren worden sein soll, müssen aufgrund anderer Untersuchungen vordatiert werden. Wurde Mohammed anstatt 572 bereits 552 nach Christi geboren? Damit aber gerieten andere biografische Fixpunkte in Mohammeds Leben ins wanken. Auch hinsichtlich des Geburtsortes ergeben sich biografische Fragen. Weder gibt es sichere Hinweise, dass Mohammed tatsächlich in Mekka geboren wurde, noch gilt der Status Mekkas als „Handelsstadt“ als gesichert. Jansen orientiert sich hierbei wesentlich an der Arbeit von Patricia Crone, die grundsätzliche Zweifel an der These anmeldet, dass Mekka ein überregional bedeutsamer Handelsplatz war.

Ein anderer Ansatzpunkt, um Mohammeds Jugend und seine Berufung zum Propheten einzuordnen, ist für Jansen ist die Darstellung der vorislamischen Zeit (Dschahiliyya) durch den Koran. Auch hier bleibt Jansens Suche nach historischen Anhaltspunkten ergebnislos. Vielmehr weisen die Darstellungen des Koran nach Ansicht Jansens, der sich hier auf Forschungen von John Wansbrough stützt, hinsichtlich der Dschahiliyya Predigtcharakter auf und sind eher im Sinne frommer Erzählungen und theologischer Diskussionen zu verstehen. Historisch gesehen ergeben sich somit aus der Dschahiliyya keine Anhaltspunkte für die Berufung Mohammeds zum Propheten.

Neben der historischen Ebene stützt Jansen seine Biografie auch auf sprachliche und textanalytische Untersuchungen des Koran. Dabei verfolgt Jansen zwei Ziele. Zum einen die Überprüfung des sprachlichen Ursprungs des Korans. Und zum anderen eine Überprüfung der inhaltlichen Eindeutigkeit. In beiden Fällen weist Jansen auf teilweise gravierende Unstimmigkeiten hin. Vor allem im Hinblick auf den sprachlichen Ursprung des Koran, der ja qua definitionem arabischen Ursprungs ist, verdeutlicht Jansen den syrischen Einfluss. So gewinnen nach Ansicht des Autors zum Beispiel nicht nur die Suren 105 und 106 an interpretatorischer Glaubwürdigkeit, sondern werden teilweise erst durch das Hinzuziehen der syrischen Sprache verstehbar. Daraus ergeben sich aber hinsichtlich der Koranentstehung fundamentale Probleme, da nichtarabische Sprachelemente gemäß der Offenbarung Gottes gegenüber Mohammed nicht vorhanden sein können. Eine zusätzliche Steigerung erfährt diese Problematik durch die inhaltliche Mehrdeutigkeit des Korantextes. So zeigt Jansen anhand der Sure 106 mehr als 3000 Auslegungsmöglichkeiten auf. Durch ein weiteres, sehr viel grundsätzlicheres Beispiel verdeutlicht Jansen die Sprengkraft dieser Mehrdeutigkeit. Nicht nur einzelne Begriffe sind mehrdeutig, auch der Name des Propheten gibt Anlass zu Spekulationen. So kann laut Jansen Mohammed ein Eigenname sein aber auch „gelobt oder gepriesen“ bedeuten. Die Konsequenz dieser Doppeldeutigkeit ist augenfällig, wirft sie doch die Frage auf, ob der Prophet eine konkrete Person oder ein historisches Abstraktum ist.

Was also bleibt von Mohammed am Ende dieser Biografie? Zweifel, möglicherweise sogar Trotz, auf jeden Fall Fragen. Hans Jansens Buch provoziert. Vielleicht nicht den Gläubigen, der über historische Fragwürdigkeiten erhaben ist. Sicher aber den zweifelnden, suchenden Leser. Die Frage nach der Geschichtlichkeit von Religionsstiftern ist sicher ein Problem. Sind Personen wie Jesus oder Moses über alle Zweifel erhaben, sind deren Lebenswege tatsächlich belegbar? Fragen dieser Art sind legitim, vielleicht sogar eine logische Konsequenz, die sich aus der Lektüre der Biografie Mohammeds ergeben. Und doch berühren sie nicht den Kern der Sache. Jansens Buch ist kein Glaubensbekenntnis, das im Kampf der Kulturen Partei ergreift. Glaubensfragen bleiben unbeantwortet, die Erkundung des Jenseits ist für den Historiker kein Forschungsgegenstand. Das Diesseits schon. Und hier liegt die eigentliche Problematik, stärker vielleicht als in anderen Religionen war und ist der Prophet Mohammed für seine Anhänger auch Politiker, ist seine Botschaft auch Staatsräson.

Die rationale Frage nach der Geschichtlichkeit dieser Person, das Aufzählen der Widersprüche hinterlassen bei den Betroffenen ein politisches Vakuum. Die Fähigkeit zur kritischen Reflexion, mit der sich der Westen durch die Aufklärung eine zweite geistige und moralische Heimat geschaffen hat, ist vielen Muslimen fremd geblieben. Eine Infragestellung des Propheten birgt für sie den Rückfall ins vorislamische Chaos. Angesichts der historischen Forschung der letzten Jahrzehnte befördert die wortgenaue, positivistische Auslegung des Islams, das Fehlen von Zweifel und Abstraktion jedoch ein Glaubwürdigkeitsproblem von kopernikanischen Ausmaßen. Die Glaubenstreue, das Festhalten an Überliefertem und die Herausforderungen des (westlichen) Alltags provozieren Konflikte, auf die islamische Gesellschaften nur allzu häufig mit physischer und psychischer Gewalt reagieren. Jansens teilweise ironische Sprache verrät in diesem Zusammenhang auch die Hilflosigkeit des westlichen Beobachters, der die spirituellen Botschaft des Islam und seine rigide Auslegung nur schwer mit den humanen Maßstäben einer pluralen Gesellschaft in Verbindung bringen kann. Der Verzicht auf eine kritische Analyse, wie ihn Jansen bei einigen seiner Forscherkollegen beklagt oder der politisch korrekte Hinweis darauf, dass der Islam auch positive Botschaften vermittle, lösen das Problem jedenfalls nicht.

Hans Jansen
Mohammed
Eine Biographie
C.H. Beck, 24,90 Euro

Links

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