Die Wiederheraufbeschwörung eines entzauberten Abends auf Schloss Sörgenloch – anlässlich des Thementags „HexenZauber“ auf 3sat:
„Wann zwingen wir drei uns ins Bühnenjoch?“
„Um die achte Stund‘ in Sörgenloch… „
Man werfe in den Topf: ein stilvolles Empfangsambiente, ein Gläschen Sekt als Aperitif, eine aus einem Laientheaterstück bestehende Hauptmahlzeit in einem Nebenraum, angerührt und serviert von den drei mittelalten Damen des Laientheaters hautNAH, und eine abschließende Sättigungsnachreichung in Form eines Menüs, all das für 42 Euro und unter dem Motto „Hexen – eine Zeitreise“ im Restaurant und Landhotel Schloss Sörgenloch.
Als Kulturwissenschaftler bin ich ja zuweilen recht naiv (natürlich auf professionelle Weise), und wenn in der Ankündigung steht, dass man von drei charmanten Hexen auf einen unterhaltsamen theatralischen Streifzug durch die Zeit mitgenommen wird, dann denke ich mir das als eine Art kurzweilige Kulturgeschichte in Szenen, die verschiedene Aspekte des Themas Hexe behandeln: von der Klischeehexe mit Besen und Warze hin zur lebensklugen und vollweiblichen modernen Powerfrau, vielleicht aber als ernsten Kontrast sogar auch die von der maskulinen Inquisition dämonisierte unschuldige Heilkundige – irgendetwas jedenfalls, worüber man beim anschließenden Menü geistig nachkauen könnte: etwas Deftiges, Pikantes, Nährstoff- und Ballaststoffreiches; schließlich ist die Figur der Hexe seit jeher das Chili in der zuweilen recht bäuerinnen- und prinzessinnentrüben Sauce unserer Vorstellungen von mittelalterlichen Frauenschicksalen. Etwas Amüsantes hätte durchaus auch gereicht – alternativ zum Denkanspruch dann, ebenso wie man ja auch einem leckeren Dessert keine Tagesdosis an Vitaminen abverlangt.
Was man in einem Hexenkessel (und sei er aus Requisitenkarton) jedenfalls nicht vorzufinden erwartet, ist Kartoffelbrei aus der Packung, und das dialogische Äquivalent genau jenes, bei uns daheim liebevoll „Dachpappe“ benamsten Fertiggerichts entquoll an jenem Abend der Darbietung des D[r]amentrios. Hätte ich nicht die verwendeten Quellen zufällig allesamt gekannt, wäre mir das Ganze handlungsmäßig wohl eher unzerkäulich geblieben.
Rezeptur: Man wähle die drei berühmtesten literarischen Werke über Hexentrios, nämlich Shakespeares Macbeth, Terry Pratchetts Macbeth-Parodie Wyrd Sisters (dt.: MacBest) sowie The Witches of Eastwick (dt.: Die Hexen von Eastwick) von John Updike. Aus den Zutaten extrahiere man im Abtippverfahren solange Szenen, in denen drei Hexen vorkommen, und hänge diese in loser Folge aneinander, bis man einen Theaterteller servierfertig voll hat. Dieses Menü garniere man mit dem pauschalen Begeisterungsmaggi, das per se jeder Laiendarbietung beigemischt wird, und serviere das Ganze in Form einer Almost-No-Budget-Inszenierung (von der in diesem Fall das definitiv Professionellste das T-Shirt des im Hintergrund werkelnden Tonmeisters war, der dann an seinem Effektekeyboard auch prompt an einer Stelle des Stückes in eine Art Vogelstimmentonbandsolo ausbrach).
Nein nein, schauspielerisch unbegabt oder uncharmant waren die Damen nicht, und ich ziehe, wenn ich mal einen da habe, ohnehin den Hut vor allen, die sich mit großer persönlicher Hingabe der Kunst des Theaterns widmen (meine eigene diesbezügliche Karriere endete zur allgemeinen Erleichterung in der Oberstufe). Aber wer immer das halbgare Dialogpotpourri des Stückes selbst verbrochen hat, ist, so fürchte ich, in theaterkulinarischer Hinsicht noch im Fertigpüreestadium und hat darüber hinaus die Anleitung nicht gelesen.
Da kann im Ergebnis und trotz der offenkundigen Bemühungen der drei Serviererinnen dann nichts anderes herauskommen als nährstoffarmes Durchmarschdrama. Schade drum. Aber es ließ mich auch hoffen, denn da offenbar kaum etwas von den Einnahmen in die Gestaltung des Theaterdrumrums geflossen war, versprach das ebenfalls inbegriffene anschließende Menü ein wahrer Gaumenerfreuer zu werden.
Leider Fehlanzeige: Das Hirschgulasch hatte das an Biss zuviel, was dem Theaterstück fehlte. Nun, immerhin gab es davon für mich reichlich, weil mir meine Liebste den etablierten Rollenklischees zufolge ihren Fleischanteil abtrat und sich lieber über den Salat hermachte. An den Nebentischen wurde, soweit ich das mitbekam, das Gulasch so goutiert wie das Theaterstück, nämlich kritiklos. Als Kulturwissenschaftler bin ich ja zuweilen selbstkritisch und fragte mich also: Bin ich zu anspruchsvoll? Immerhin war ich vermutlich (zumindest an jenem Abend mit rund 30 Zuschauern) der einzige, der zufällig alle drei Buchquellen kannte und sich das ansonsten recht zusammenhanglose Dialoggeschehen erklären konnte. Hatte es wirklich niemand anderen gestört, weder etwas über Hexen zu erfahren noch in verzaubernder oder auch nur halbwegs nachvollziehbarer Weise theatralisch unterhalten worden zu sein?
Ich kaute noch an dieser Frage (und, wie gesagt, am Gulasch), als die drei Hexen von Tisch zu Tisch wanderten, um mit den Gästen des Abends anzustoßen. Aber wie teilt man, möglichst höflich, drei mittelalte[rliche]n Hexen mit, dass ihr Kesselwerk ungenießbar ist? Das kann man auch bei Shakespeare nicht nachschlagen (hab’s später mal versucht). Und weil ich, außer Kulturwissenschaftler zu sein, zuweilen auch feige bin, habe auch ich dann nichts gesagt, sondern nur das Laientheatermag[g]ische gelobt, was über die Verstimmung über die Nichtgehaltsfülle des Textlichen erfolgreich hinwegtäuschte.
Aber vielleicht bin ich ja als Kulturwissenschaftler zuweilen auch einfach, professionell natürlich, doof und habe damals das Ganze gedanklich falsch aufgezogen und zuviel von den Figuren und zu wenig von den Gestalterinnen des Abends über Hexen zu lernen erwartet.
Vielleicht war ja der Titel des Abends „Hexen – eine Zeitreise“ ganz anders gemeint und dadurch doch korrekt gewählt, denn: zu erfahren gab es zwar nichts über Hexen*, aber zu erleben gab es das Bühnentreffen dreier offenkundig selbstbewusster Frauen, die in eigener Regie ‚ihr Ding‘ machten – was wohl in manchen Kulturkontexten und Zeiten schon zur Attributierung ‚Hexenwerk‘ genügt haben würde. Und warum sollte das Ziel einer Zeitreise nicht auch die Gegenwart sein dürfen?
[*Weder in der Historie, denn das war nicht das Thema, noch in der Literatur, denn die Handlungen der Vorlagen konnte man auf diese Art gar nicht recht kapieren; kurz: Wer von den damals Anwesenden geglaubt haben mag, danach etwas mehr über Hexen zu wissen, der denkt vermutlich auch, er hätte aus der Milka-Werbung etwas über Kühe erfahren.]
Und auf diese Weise hat damals der Abend durchaus etwas über Hexen vermittelt, sogar mir als Kulturwissenschaftler und im Wege der dezent kopfschüttelnden Teilnahme. Und zwar, wenn auch sehr indirekt, über das Wesen der Hexerei. Denn Menschen, die mit erfrischender Selbstverständlichkeit öffentlich ungewöhnliche Dinge tun, wirken doch stets ein ganz klein wenig magisch/unheimlich, oder?** Vielleicht hat das, gemeinsam mit vielen anderen Faktoren, dereinst zur Entstehung des Glaubens an Hexen beigetragen. Wer weiß?
[**Ja, das klingt so, als gelte es sinngemäß auch für die Teilnehmer an Nachmittags-Talkshows und C-Promi-Dschungelcamps. Aber ich meinte ‚ungewöhnlich‘, nicht ‚deppert‘.]
Mehr zu jener Veranstaltung anlässlich des noch zu erwartenden 3sat-Thementags „Hirschgulasch“. Bis dahin heiße es (frei nach Fontane und Pratchett):
„Wann treffen wir drei wieder zusamm‘?!“
„Ich weiß nicht, ich schau mal, wohl frühestens am…
[Regieanweisung: eine der Hexen holt ihren Timer aus der Besentasche und schaut hinein]
… Dienstag.“