Kurosawas „Das Schloss im Spinnwebwald“

biginjapanBIG IN JAPAN: SchönerDenken berichtet vom Filmfestival „Nippon Connection“ und widmet auch sonst den ganzen April der japanischen Kultur.

Hendrik und Thomas haben sich heute einen Klassiker des japanischen Kinos vorgenommen: Akira Kurosawas „Das Schloss im Spinnwebwald“. Sie sprechen über die spannende Vermischung westlicher und östlicher Einflüsse, über cineastische Gangarten, über den Nichtort Nebel und über Synchronfassungen:

 

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Zum Nachlesen in der gebotenen Ausführlichkeit von Hendrik:

„Seht diesen Ort, wo einst eine gewaltige Burg stand. Aber es herrschte in ihr der Geist mörderischer Machtgier, und noch in der Asche scheint er zu hausen…“

Für die rund 53 Jahre, die er auf dem Buckel hat, ist er ganz schön rüstig. Dabei ist er in seinen wesentlichen Elementen sogar noch weit älter und greift zurück auf die englische Renaissance und das japanische Mittelalter.

Der 1957 entstandene Film „Kumonosu Jo“ (dt. Das Schloss im Spinnwebwald) erzählt nämlich die Geschichte Macbeths, wobei er die Ereignisse des Shakespeareschen Dramas aus dem Kontext eines historischen Schottlands herauslöst und einfügt in die Blütezeit der japanischen Samuraikultur. Regisseur Akira Kurosawa schafft so ein frühes, womöglich sogar das erste filmische Indiz dafür, dass man Shakespeares Dramen zu Recht so oft universellen Charakter zuschreibt und von ihnen gerne behauptet, sie seien thematisch zeitlos und könnten im Grunde in allen menschlichen Zeiten und Kulturen angesiedelt werden.

„Um der Macht willen sind die Menschen zu allem bereit. Da lassen Eltern ihre Kinder töten, und Kinder verfolgen ihre Eltern.“

Macbeth heißt hier Taketoki Washezu und ist gemeinsam mit seinem Freund und Untergebenen Yoshiteru Miki auf dem Weg zum Schloss im Spinnwebwald, dem Sitz ihres gemeinsamen Fürsten, den sie vor einer schweren Niederlage bewahren konnten. Noch bevor sie dort ankommen, begegnen sie einem Geist, der ihnen prophezeit, Taketoki Washezu werde noch am gleichen Tage zum „Herrn im Nordhause“ befördert werden und sein Gefolgsmann zum „Kommandeur der Ersten Feste“. Taketoki sei außerdem bestimmt, selbst Fürst im Spinnwebschloss zu werden. Aber auch der Sohn Yoshiterus werde diesen Titel einst innehaben.

Als sie im Schloss ankommen, werden sie vom Fürsten tatsächlich mit genau den Posten geehrt, die der Geist vorausgesagt hat. Taketokis Frau stachelt ihn nun dazu an, selbst der weiteren Erfüllung der Voraussage kräftig nachzuhelfen und den Fürsten zu töten, als dieser zu Gast in seinem Haus ist …

Auch die weitere Handlung des Filmes folgt dem englischen Drama, enthält so ziemlich alle der bekannten dramatischen Elemente (die dem Mord folgenden Wahnvorstellungen, das Blut, das nicht abgewaschen werden kann, den sich um das Schloss scharenden Wald), variiert diese jedoch genug, um dennoch auch auf der reinen Handlungsebene interessant zu sein (z.B. stammt die Prophezeiung nicht von Hexen, sondern von einem bösen Geist, der die Gestalt eines Webers angenommen hat; auch stirbt Taketoki zuletzt nicht durch die Hand eines Mannes, „den kein lebend Weib geboren“, sondern kommt auf andere Art zu Tode). Entsprechend der anderen Rhetorik und Mentalität ist dabei die Rolle des Dialogs geringer, und die der japanischen Theatertradition entliehene Interaktion der Figuren wird stärker durch ausladende Gestik und Mimik dargestellt.

Ferner ist es ein sehr ökonomischer Film, der nur wenige Massenszenen und makroperspektivische Aufnahmen enthält und entweder in Innenräumen und -höfen, im dichten Wald oder auf der durch den Nebel fast zu einem Nicht-Ort verfremdeten Ebene vor dem Schloss spielt. Die großen Ereignisse – der Krieg des Fürsten gegen den mächtigen Feind aus Inoue – finden jenseits des Sichtbaren statt und werden auf dynamisch aufeinander folgende Botenberichte reduziert.

In der Hand eines schlechteren Regisseurs ergäbe dieses Konzept mutmaßlich einen sehr hölzernen Film. Großmeister Kurosawa jedoch verleiht dem Film tragische Würde und poetische Tiefe. Konsequent gemächlich führt zu Beginn ein Erzähler in die Handlung ein, überlässt den Betrachter für lange Sekunden dem Schweigen und dem vorbeitreibenden Nebel, um ihn dann am gleichen Ort, jedoch in einer anderen Zeit wieder zu entlassen, so dass sich vor dessen Augen die Geschichte entfalten kann. Er zeigt wenig – karge Räume, stets nur Ausschnitte von Wald und Schloss  und Ebene, bezieht jedoch jedes Element atmosphärisch wirksam mit ein: das Drumherum der Ereignisse erhebt sich damit zugleich zur Metapher für die Innenwelten der Figuren. Wenn man so will, ist er damit – bei aller Authentizität – zuletzt das genaue Gegenteil eines Kulissenfilms, bei dem so viel Wert auf die Ausstattung gelegt wird, dass sich die Handlung demgegenüber zuweilen gar nicht mehr als das führende Element erweist.

Der Umstand, dass der Film in Schwarzweiss gedreht ist, erweist sich mit zunehmendem Alter des Werkes als für ihn vorteilhaft, denn die mit der Einführung in die Geschichte verbundene Hinüber-Setzung des Betrachters in eine in mystischer Ferne angesiedelte Erzählung funktioniert sogar m.E.  besser, je weniger unsere Sehkonventionen auf Schwarz-Weiss-Filme eingerichtet sind; das setzt die Wahrnehmung des Filmes stärker von der Wahrnehmung alles anderen ab und betont ihre Eigenständigkeit.

Überrascht war ich von der musikalischen und klanglichen Ebene des Klassikers. Kurosawa kombiniert hier stimmungsvolle alte japanische Musik mit einem für meine Ohren verblüffend modern (für 1957) und westlich klingenden emotionsmoderierenden Orchesterscore, gibt jedoch auch der weiten winduntermalten Stille und dem langen Schweigen zwischen einander sorgfältig hinter ihren Masken beobachtenden und abschätzenden Menschen viel Raum.

Das Schloss im Spinnwebwald ist in seiner intensiven Umsetzung zweifellos völlig zu Recht ein Klassiker sowohl des japanischen Historienfilms als auch der filmischen Aneignung und Neuinterpretation Shakespearescher Stoffe. Das haben in den letzten 50 Jahren auch andere aus verschiedensten Gründen so gesehen – hier nur ein Beispiel:

„Die Unerbittlichkeit, mit der eine Gewalttat die nächste nach sich zieht, demonstriert Akira Kurosawa in der einer dramatischen Folge großartig komponierter Bilder. Der rasche Wechsel von Totalen und Großaufnahmen, die Souveränität, mit der der Meister Unrast und Ruhe, in der sich bereits das nachstfolgende Unheil ankündigt, einander ablöst, sorgen dafür, dass der Zuschauer unentwegt unter dem Bann dieser Bilder bleibt.“ Hamburger Abendblatt

Aus meiner Sicht – der ich keine ganz spezielle Vorliebe für Filme vor 1960 hege – ist er als Shakespeare-Drama sogar wesentlich interessanter als so manch andere ebenso hochwertige, aber eben auch sehr viel stärker an zeitgebundenen Darstellungskonventionen orientierte Interpretation, z.B. jener Urmutter aller Hamlet-Verfilmungen mit Laurence Olivier, bei der ich, ich gesteh’s, stets selig eingeschlummert bin. Und durch die Kombination mit Vertrautem und – wenn man dem so zustimmt – Universellem ist er ggf. wohl ein zwar anstrengender, aber guter und lohnender Einstieg in die Beschäftigung mit japanischer Filmkunst überhaupt.

Die Shakuhachi-Flöte im Podcast wird gespielt von Code / CC BY-NC 3.0.

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