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Podcast 26
Hendrik liest
Jonathan Strange & Mr. Norrell
von Susanna Clarke
“Some years ago there was in the city of York a society of magicians. They met upon the third Wednesday of every month and read each other long, dull papers upon the history of English magic.
They were gentleman-magicians, which is to say they had never harmed any one by magic – nor ever done any one the slightest good. In fact, to own the truth, not one of these magicians had ever cast the smallest spell, nor by magic caused one leaf to tremble upon a tree, made one mote of dust to alter its course or changed a single hair upon any one’s head. But, with this one minor reservation, they enjoyed a reputation as some of the wisest and most magical gentlemen in Yorkshire.”
I.
Es ist die Zeit der Napoleonischen Kriege. Während die britischen Truppen den Armeen Buonapartes die Stirn bieten müssen und im Ärmelkanal englische Linienschiffe auf französische Fregatten prallen, sitzen dickliche Herren in bequemen Clubsesseln und diskutieren hinter dichten Zigarrenrauchvorhängen gemächlich über verschiedene theoretische Aspekte der Anwendung von Magie. Einig ist man sich dabei über Folgendes: Es ist gut, dass Magie schon lange nicht mehr tatsächlich praktiziert wird.
Wenn zu Beginn eines langen Films oder dicken Romans jemand sich völlig klar darüber ist, dass in seiner Welt so etwas wie angewandte Magie zum Glück nicht existiert, dann weiß der kluge Leser: Wer so etwas behauptet, wird zumeist binnen weniger Szenen (respektive Absätze) eines Besseren belehrt.
II.
Und genau dies geschieht in dem Romandebut von Susanna Clarke, der Gattin Colin Greenlands, welchletzterer den Freunden guter Phantastik schon bekannt sein dürfte. Alles beginnt damit, dass die erwähnten Herren in den Clubsesseln sich dazu hinreißen lassen, eine Wette mit einem ihnen zuvor völlig unbekannten Gentleman namens Mr. Norrell einzugehen, der doch tatsächlich behauptet, praktizierender Magier zu sein. Und es stellt sich heraus, dass der ältliche, pedantische Eigenbrötler Norrell nicht zu viel versprochen hat: Er erweckt zu vorgegebener Stunde die Steinfiguren einer großen Kathedrale zum Leben. Damit haben die Herren theoretische Magier ihre Wette verloren, müssen ihre gesetzt-gesellige Runde auflösen und der auf einen Schlag berühmte Mr. Norrell darf sich offiziell als einziger Magier Englands bezeichnen.
Solcherart aus der Isolation seiner magiehistorischen Studien gelockt, begibt sich der egozentrische, in den gestelzten gesellschaftlichen Umgangsformen der Zeit völlig hilflose Mr. Norrell nach London, um der Regierung seine Hilfe im Krieg gegen Napoleon anzubieten.
Zu gleicher Zeit wächst in einem anderen Teil Englands ein junger, durchaus ehrgeiziger Waise namens Jonathan Strange heran, der unvermittelt ebenfalls ein Talent für Magie entwickelt. Dieser wird zum Schüler, Kollegen und schließlich Konkurrenten Norrells und stellt sich ebenfalls in den Dienst seines Landes.
Aber mit Magie ist es so eine Sache, denn in literarisch ambitionierteren Kontexten hat sie auch stets ihren Preis (merke: nur Trivialzauberer beschwören folgenfrei). Und dieser Preis kann sich rasch als zu hoch erweisen …
III.
Clarke ist eine sehr angenehme Formuliererin (was ich immer daran merke, dass ich mir selber Passagen laut vorzulesen beginne), ihr Englisch liegt fernab jeder mit spannungserzeugenden Adjektiven beladenen Actionprosa und gestattet sich zuweilen ironische Anspielungen oder Abschweifungen, wie man sie auch bei Charles Dickens oder Jane Austen zu finden vermag –
„It has been remarked (by a lady infinitely cleverer than the present author) how kindly disposed the world in general feels to young people who either die or marry. Imagine then the interest that surrounded Miss Wintertowne! No young lady ever had such advantages before: for she died upon the Tuesday, was raised to life in the early hours of Wednesday morning, and was married upon the Thursday; which some people thought too much excitement for one week.”
IV.
Nicht nur die Sprache, auch die Handlung macht den Roman für mich zu einer entspannenden Lektüre – und auf angenehme Weise durchaus auch enttäuschend.
Jawohl : ent-täuschend.
Ein mitreißend fiktiver Roman, der Möglichkeit über Möglichkeiten türmt, vor Handlung fast platzt, entführt und fesselt und mit atemlos machender Spannung hantiert, kann ein wunderbares Stückchen Lektüre sein. Das Problem ist nur, dass diese Art Literatur einer Inflation unterliegt. Denn schon der nächste Band muss mehr bieten, uns noch besser verblüffen und noch besser darüber hinwegtäuschen können, dass im Grunde meist nur die alte Geschichte wiedererzählt wird: Der Schwache wird zum Helden und kämpft auf einer Queste gegen das Böse an.
Da finde ich zuweilen auch eine andere Art von Kost sehr angenehm, die unsere blockbustergeprägten Erwartungen wieder zurechtsetzt, weil sie auf einer völlig anderen Rezeptur beruht.
Die beiden Hauptfiguren Clarkes gehen auf keine Queste und durchleben auch keine hochdramatischen Stirb-und-werde-Bewährungsproben. Sie stürzen nicht kämpfend in Abgründe, um durch Feuer und Eis als schon halbentrückte Überwesen zurückzukehren. Sie bleiben plausible Figuren eines spürbar an den klassischen britischen Erzählweisen orientierten Gesellschaftsromans mit einigen dramatischen und auch einigen humoristischen Einschlägen.
So fügt Clarke immer wieder z.T. recht umfangreiche Fußnoten ein, um pseudohistorische oder -bibliographische Anmerkungen zur Geschichte der Magie in Großbritannien zu machen oder angedeutete Nebenhandlungen auszuführen. Das hat wenig mit den berühmten pointiert-komischen Fußnoten Terry Pratchetts zu tun, fügt sich aber als ein durchaus reizvolles und originelles Element in den Roman ein.
V.
Die allmähliche, geschickt mit tatsächlichen historischen Ereignissen und Personen verknüpfte Erschaffung eines Englands, in dem es völlig selbstverständlich früher einmal Magie gab, bis sie mehr oder weniger zufällig in zeitweilige Vergessenheit geriet, um in der Romangegenwart wieder entdeckt zu werden – das ist ihr eigentliches Thema.
Susanna Clarke setzt insgesamt nicht auf das ganz große und mit neuen Effekten angereicherte Bühnenbild, sondern orientiert sich an den klassischen Vorbildern wie Thackeray oder Austen. Diese bewährten, für heutige Verhältnisse eher leisen Töne reichert sie wohldosiert mit phantastischen Elementen an und macht so für die Dauer des Romans die Magie zu einem fast unbesonderen Bestandteil des Alltags eines vergangenen England. Und da die Autorin dies sehr gut macht, wird umgekehrt das Alltägliche wieder zu etwas Besonderem erhoben, ohne dass es aufwendiger Requisiten bedürfte.
Dies ist keine Abenteuergeschichte und auch kein Heldenroman. Weder die beiden Titelfiguren noch irgendeiner der anderen Charaktere erreichen epische Größe. Die beiden bewegen sich in ihrem Erzählkontext wie Menschen, die nicht wissen, dass sie gerade in einem Roman vorkommen. Aus Sicht eines konventionenreitenden Sword-and-Sourcery-Lesers macht das den Roman wohl konzeptlos; ich finde eher, das ist eine durchaus mutige Entscheidung für ein Erstlingswerk.
Wer gewöhnt ist, dass in Büchern, die das Element der Magie enthalten, stets ordentlich drauflos beschwört wird und es mindestens um die Rettung der Welt und den Kampf gegen das urtümlich Böse geht, den wird Clarkes Buch nach wenigen Kapiteln zu irritieren, wenn nicht gar zu langweilen beginnen.
Er wird nicht bemerken, dass auf ganz andere Art zuletzt sehr viel passiert ist, weil er auf Seite 782, sofern er den Schmöker nicht vorher zur Seite legt, immer noch auf das Erscheinen des Hünen mit dem magischen Schwert oder des silberbärtigen Weisen mit dem spitzen Hut wartet.
VI.
Susanna Clarke hat mittlerweile eine Erzählungssammlung veröffentlicht, in der sie ihr neugefundenes magisches England weiter erkundet. Zwar gibt es beide Bücher längst auch in deutscher Sprache, aber wer sie im Original liest, hat das große Vergnügen, in der klangvollen Sprachmusik klassisch britischen Erzählertums zu schwelgen und zugleich höchst unterhaltsame Fantasy auf hohem Niveau zu schmökern. Diese Kombination ist seit T.H. White und Tolkien leider selten.