Der homöopathische Humorist

Hendrik liest „Nation“, den neuen Roman von Terry Pratchett und erklärt ganz nebenbei das „Phänomen Pratchett“ im besonderen und das Wesen der humoristischen Literatur im allgemeinen.

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Wie schreibt man humoristische Literatur? Viele Autorinnen und Autoren, die sich mit dem Verfassen humoristischer Literatur versuchen, scheinen ihre Antwort gefunden zu haben: Man schreibt in witziger Weise über komische Dinge. Simpel, oder?

Als der Brite Terry Pratchett seinerzeit mit den ersten Romanen der Discworld-Serie bekannt wurde, gehörte auch er zu dieser Kategorie: Er erschuf ein knallbuntes, mit Wortspielen und aberwitzigen Erzählornamenten erfülltes Spieluniversum, in dem sich lesend herumzutreiben einfach nur Spaß machte.

Und das hätte vollauf genügen können, wie es auch den meisten anderen humoristischen Fantasyautoren genügt – Piers Anthony, Craig Shaw Gardner, Tom Holt, Robert Rankin haben damit ihre Fans über Dutzende von Romanen bestens unterhalten.

Aber bereits den frühen Romanen Pratchetts – zum Beispiel „The Carpet People“ oder „Mort“ merkte man an, dass Pratchett zugleich die Tendenz hatte, seine Spielwelt ernstzunehmen und sie als Spiegel für durchaus realitätsnahe Themen zu verwenden: in witziger Weise über sehr ernste Dinge zu schreiben. Der Roman „Small Gods“ ist einer der zugänglichsten und zugleich lehrreichsten Romane über das Thema Inquisition, und einer der beliebtesten Protagonisten der Discworld-Reihe ist der Tod selbst. Wie kann man über so etwas unverkrampft witzig schreiben?

Hier ist die Antwort: Der Autor von Trivialem geht vor wie bei einem Tom-und-Jerry-Cartoon und reduziert das eigentlich Ernste auf Nurspaßniveau: Klar, man haut sich ständig gegenseitig aufs Übelste auf die Rübe und in die Pfanne, aber die lustige Musik und die kleinen Sternchen und Vögelchen, die um den Kopf schwirren, lassen immer gleich erkennen: War nur Spaß! War nur Spaß! Und das funktioniert, weil keine Zeit vergeht: Tom und Jerry jagen und vertragen sich immer gleich, werden nicht älter, nicht reifer, und sind daher nicht lebendig. Es lässt sich kein Bezug zu unserer Wirklichkeit herstellen, wo es verteufelt wehtut, wenn man mit dem Hammer eins auf die Pfoten kriegt.

Pratchett dagegen lässt seine Figuren ein echtes Leben leben: Sie werden geboren, werden älter, haben echte Probleme – und sterben, wenn ihre Zeit gekommen ist. Und ihr Schöpfer verharmlost das nicht, sondern lehrt uns Leser, dass das Teil jedes Lebens ist – und genau hier, an diesem Punkt, erfährt der Humor seine eigentliche Wirkung und Existenzberechtigung: als gesundender Gegenpol all dessen, was uns an der Welt krank macht.

In den jüngeren der mittlerweile über vierzig Romane Pratchetts gibt es zuweilen düstere Stellen, die einen wirklich ergreifen können, denn da Pratchett seine Figuren wirklich leben läßt, kann man auch mit ihnen leiden. Als Commander Vimes in „Night Watch“ herausfindet, was im Verhörraum der Geheimpolizei vor sich geht, wächst er weit über alles hinaus, was man von einer bloß komischen Figur erwartet hätte. Vimes reagiert wie ein echter Mensch, und das macht den Roman weniger komisch und zugleich um vieles besser.

Pratchetts neuester Roman „Nation“ ist kein Discworld-Buch und kein komisches Buch. Es ist zunächst die Geschichte des halbwüchsigen Südsee-Insulaners Mau, der sich allein auf der Initiationsinsel seines Stammes befindet: Er hat seine Kinderseele daheim zurückgelassen, und er wird bei seiner Rückkehr eine neue Seele als Mann erhalten. Als er jedoch heimkehrt, hat eine Naturkatastrophe sein ganzes Volk getötet. Mau ist dessen einziger Überlebender, und er steht traumatisiert inmitten der grausigen Reste der einzigen Kultur, die er kannte.

Es gibt nur einen Autoren, dem ich zugetraut hätte, aus diesem Beginn einen Roman zu entwickeln, der nicht nur die Ereignisse konsequent weiterentwickelt, die Figur Mau und die später Hinzukommenden ernstnimmt und auch diese sich weiterentwickeln lässt, sondern dem es gelingt, daraus einen funktionierenden humoristischen Roman zu entwickeln. Zum Glück hat auch genau dieser Autor den Roman verfasst: Es ist der Terry Pratchett der Gegenwart, der von Buch zu Buch besser begriffen zu haben scheint, dass er gar nicht viele witzige oder humoristische Elemente auftürmen muss, sondern der einfach den Humor wachruft, der ohnehin als Bestandteil unseres Lebens und Denkens in uns steckt. Dieses Lachen kann und darf man dann ganz natürlich mit den Protagonisten teilen:

„They didn’t know why these things were funny. Sometimes you laugh because you’ve got no more room for crying. Sometimes you laugh because table manners on a beach are funny. And sometimes you laugh because you’re alive, when you really shouldn’t be.“

Natürlich gibt es in „Nation“ auch genau jene Stellen, in denen man sich über Pratchetts bewährte Rhetorik köstlich amüsieren kann, zumal eines der Romanthemen auch das zwangsläufige dauernde Fastmissverstehen zwischen Angehörigen verschiedener Kulturen ist, die einander gerade erst kennengelernt haben:

„Look, don’t you understand? He’s got two guns and you’ve got one spear. You’ll run out of spear before he runs out of gun!“
„Yes, but his gun will run out of bang before my knife runs out of sharp,“ said Mau.

Aber über weite Strecken des Buches hinweg erweist sich Pratchett vor allem als ein Erzählmagier, der die Aufmerksamkeit seines Publikums so entspannt und virtuos moderiert, dass er seine charakteristischen Pointen nur noch ganz zurückhaltend dosiert einstreuen muss, um den Leser bei der Stange zu halten.

Das macht aus Nation dummerweise einen Roman, der zu ernst für das Spaßregal und zu humoristisch und phantastisch für das historische Regal ist. Aber vor allem anderen ist es ein verdammt guter Roman, und da eröffne ich gerne ein eigenes Regal für.

Man sagt, Lachen sei die beste Medizin, und wer lässt sich nicht zuweilen gern von einem kompetenten Erzähler alter Schule mit gesundem Amusement versorgen. Terry Pratchett liefert hier ein Buch ab, das uns nicht zum Lachen hin kitzelt, sondern uns unser eigenes Lachen entlockt, und das ist sicherlich die wesentlich schwierigere Kunst. Zugleich ist Nation ein Buch, dass den Verdacht entstehen lässt, dass die Begriffe humoristisch und humanistisch nicht nur zufällig einander so ähnlich sind.

„Nation“ ist im September 2008 erschienen und noch nicht in Deutsche übersetzt worden. Wie immer, kann ich jedoch nur jedem Interessierten empfehlen, diesen Autoren möglichst im Original zu lesen.

Diese Buchempfehlung stammt von Hendrik Schulthe.

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