Prof. Pu empfiehlt „Stalking“ von Jason Starr.
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Man sollte mal etwas über Leseverhalten im Zusammenhang mit Stimmungen schreiben … es gibt Sonntage, da hat nicht ein Titel auf der Longlist des Deutschen Buchpreises eine Chance. Da geht nur ein Krimi. Deswegen liebe ich meine Vorratshaltung, das Regal der ungelesenen Bücher – wie ein kleiner Buchladen mitten in meinem Wohnzimmer. Dort steht seit zwei Jahren „Stalking“ von Jason Starr. Ein bisschen gruselte es mich vor dem Thema – aber dann kam eben der Sonntag der nach sechzig Seiten verworfenen Romane. Und ich wollte mich dann doch lieber gruseln als anöden lassen.
Starr führt uns in die Dating-Welt junger New-Yorker, spielt anregend mit den Klischees: Katie, Anfang zwanzig, Single, langweiliger Job, trifft auf Andy, Banker, in einer wüsten chaotischen Jungs-WG lebend. Sie träumt von einer Beziehung, er guckt auch noch gern nach anderen Frauen. Spannend sind die jeweiligen Perspektiven – Starr erzählt ihre Erlebnisse miteinander mal aus ihrer, mal aus seiner Sicht und manchmal als nüchterner Beobachter. Schrecklich sympathisch sind sie beide nicht, sie etwas zickig, er überheblich, beide recht egozentrisch. Nach einer missglückten gemeinsamen Nacht geht Katie frustriert in ihr Sportstudio. Der Mann hinter dem Tresen, frisch eingestellt, fragt sie, ob sie sich nicht mehr an ihn erinnere:
Sie zermarterte sich das Hirn, aber ihr fiel zu dem Gesicht nichts weiter ein.
„Komm schon, ich weiß, dass du mich nicht vergessen hast.“
„Tut mir leid.“
„Okay, ich helfe dir auf die Sprünge … Bev.“
Bev war der Eissalon in Lenox, Massachusetts, wo Katie als Teenager viel Zeit totgeschlagen hatte. Sie starrte den Jungen hilflos an, dann machte es plötzlich klick.
„O mein Gott, Peter! Peter Wells!”
“Na siehst du, hab’s doch gewusst.”
„O mein Gott, das ist ja nicht zu fassen! Was tust du denn hier?“
„Ich arbeite hier.“
„Das ist ja nicht zu fassen!“ Peter sah mit seinen umwerfend süßen Grübchen echt klasse aus.
Sie plaudern, er macht ihr Komplimente, sie ist froh, an diesem miesen Morgen jemand getroffen zu haben, den sie kennt und der sich vor allem an ihre Schwester erinnert, die sich umgebracht hat.
Sie verabreden sich, Peter hofiert sie nach allen Regeln der Kunst, er scheint sehr vermögend zu sein. Und er hat große Träume. Während sie sich doch wieder mit Andy trifft, plant Peter ein Leben mit Katie. Pläne, in denen ein Andy, in denen andere Menschen keine Rolle zu spielen haben. Katie wird ihn bald merkwürdig finden, doch dann ist es bereits zu spät …
Starr gelingt es, durch den ständigen Perspektivwechsel gaanz laangsaam eine Spannung aufzubauen, die einen in den Roman hineinzieht und fast atemlos die Seiten umblättern lässt. Brilliante Dialoge, gepaart mit böser Ironie und einem gnadenlosen Schluss – der zweite Titel, „Panik“ liegt schon auf dem Nachttisch *grusel* …
Jason Starr
Stalking
Übersetzt von Ulla Kösters
Diogenes Taschenbuch € 11,90
978-3-257-23901-0