Rule Britannia

Christopher über: Peter Wende „Das britische Empire“
Die Beurteilung des Britischen Empire schwankt. Kritik und Zustimmung, Bekenntnis und Zweifel halten sich die Waage. Ein Disput mit Tradition. Schon zu Lebzeiten des Empires wechselten sich Frustration und Heldenverehrung ab. Obwohl nur wenige Jahre auseinander, zwischen Oscar Wildes skeptischem „Ave Imperatrix“ und Rudyard Kiplings „The White man’s burden“ lagen Welten. Trotz allem, die moralische Schlussbilanz des Empire bleibt unvollendet. Und damit bleibt auch die Frage unbeantwortet, ob das britische Weltreich Fluch oder Segen für die Betroffenen war. Dessen eingedenk beschreitet Peter Wendes Buch „Das Britische Empire“ den historischen Mittelweg. Ein Weg, der von den ersten Kolonien in Nordamerika und Westindien bis zur Dekolonisation des zwanzigsten Jahrhunderts führt. Der 1936 geborene Peter Wende verlegte schon früh den Schwerpunkt seiner Forschungsarbeit auf die englische Geschichte.

Quelle: Wikipedia, Andrew Earl

Als Nachfolger von Adolf Matthias Birke leitete er von 1994 bis 2000 das Deutsche Historische Institut in London. Hier veröffentlichte Wende unter anderem als Mitherausgeber von „British envoys to Germany“, die Berichte englischer Gesandter zwischen 1815 und 1866. Darüber hinaus beschäftigte sich Peter Wende auch in weiteren Publikationen mit dem deutsch-britischen Verhältnis. So veröffentlichte er 1999 in „Rivalität und Partnerschaft“ eine Analyse der deutsch-britischen Beziehungen im 19. und 20. Jahrhundert. Bereits 1997 legte er mit „Reform in Great Britain and Germany“ eine vergleichende Studie über die Entwicklung der beiden Länder zwischen 1750 und 1850 vor. Neben dem deutsch-britischen Verhältnis beschäftigte sich Wende seit 1980 mit dem Entstehen neuzeitlicher Strukturen in England, in dem er das Zusammenspiel von König und Parlament untersuchte. In seinem neuesten Buch beschreibt Wende das britische Empire als ein komplexes, äußerst wandlungsfähiges Herrschaftsgebilde. Dabei unterscheidet der Autor im wesentlichen drei Phasen: Einer Frühphase, einer Expansionsphase sowie ein Phase der Dekolonialisierung.

In der Frühphase des Empire folgte Englands Kolonialpolitik keinem „Master-Plan“. Seine Entwicklung orientierte es sich an den Bedürfnissen des Mutterlandes. Die Folge waren der Ausbau der nordamerikanischen Kolonien und der Aufbau eines merkantilen Handelraums. Dabei stand nicht so sehr die punktuelle Ausbeutung der „Neuen Welt“ im Vordergrund, als vielmehr die Ansiedlung von Glaubensflüchtlinge und Wirtschaftsmigranten. Wirtschaftlich übernahm England für seine amerikanischen Kolonien die Rolle des Zwischenhändlers. Es verkaufte Produkte an Dritte weiter und kontrollierte die Einfuhr von Waren in die Kolonien.

Die zweite Phase schwankte zwischen Konsolidierung und Expansion. Sie begann mit der Sezession der amerikanischen Kolonien und endete im Hochimperialismus. Der kontrollierte Verkauf von Rohstoffen und Agrarprodukten trat in den Hintergrund. In England wuchs das Interesse am freien Austausch der Waren. Neue Regionen gerieten ins Blickfeld. Noch aber war das Empire kein Familienbetrieb. Abstammung und Hautfarbe blieben ein Qualifikationsmerkmal. Die Folge war eine unterschiedliche Gewichtung der Kolonien. Weiße Siedlungsgebiete kamen schneller in den Genuss von bürgerlichen Freiheiten. Indien und weite Teile Afrikas dagegen unterstanden bis zur Mitte des letzten Jahrhunderts der direkten Oberhoheit Englands.

Die dritte Phase schließlich war von der Erosion des Empires geprägt. Die Gründe lagen im wachsenden Selbstbewustsein der Kolonien und im schwindenden Einfluss des Mutterlandes. Eine immer aufwendiger werdende Verwaltung der Kolonien sowie das Aufkommen innereuropäischer Konflikte verstärkten diese Tendenz. Der Erste und vor allem der Zweite Weltkrieg verdeutlichten somit nicht nur die Grenzen des Möglichen, sie beschleunigten auch die Umwandlung des kolonialen Empire zu einen egalitären Staatenbund.

Weltreiche kommen und gehen. Selten jedoch ließ sich in der Vergangenheit dieser Prozess so genau dokumentieren wie im Falle des britischen Empire. Seine Entwicklung erinnert an gegenwärtige Globalisierungstendenzen. Englands Vordringen in unterschiedlichste Regionen, ihre Verwaltung sowie ihre wirtschaftliche Verzahnung begründete eine Hegemonie unbekannten Ausmaßes. Ähnlich wie in unserer modernen Zeit standen Größe und Macht eines Staates in keinem direkten Verhältnis. Im Gegenteil, je größer sein Herrschaftsbereich wurde, desto genauer musste seine Regierung ihre Machtansprüche abwägen. Entgegen manch britischer Allmachtsphantasie bildete auch dieses Reich kein uniformes Ganzes. Kulturelle und ethnische Unterschiede der jeweiligen Regionen formten den Charakter des Empire ebenso wie das Vordringen weißer Kolonisten.

Immer wieder kollidierten traditionelle Vorstellungen mit den kolonialen Ordnungsprinzipien und erzwangen Anpassungen. Beispiele hierfür sind: Indien, der Sudan und Südafrika. Bei der Verwaltung dieses globalen Imperiums stieß England an geographische und organisatorische Grenzen. Schon die räumliche Ausdehnung verursachte immer wieder Probleme. Schwierigkeiten, die auch durch den Einsatz moderner Schiffe oder durch die Telegrafie nicht vollständig kompensiert wurden. Oft waren Gouverneure auf sich allein gestellt und bei der Verwaltung der Kolonie auf die Kooperationsbereitschaft der Einwohner angewiesen. Eine weitere Herausforderung für die Stabilität des Empires ergab sich aus der wirtschaftlichen und kulturellen Einbeziehung traditioneller Eliten. Der Militärdienst, der Besuch einer Universität oder die Arbeit in der Verwaltung ebneten Unterschiede ein und trugen damit den Keim einer späteren Emanzipation in sich. Ähnlich wie bei heutigen Globalisierungsprozessen, dominierte somit auch im Britischen Empire der Interessenausgleich zwischen dem Zentrum und der Peripherie. Ein Ausgleich, der wie Peter Wende eindrucksvoll belegt, den britischen Regierungen immer wieder die Einsicht in die Begrenztheit ihrer Möglichkeiten abnötigte.

Peter Wende
Das britische Empire
Geschichte eines Weltreiches

Beck-Verlag
ISBN 978-3-406-57073-5
24,90 Euro

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