Hartgekochtes aus der SF-Provinz

Hendrik gibt sich den deutschen Zukunftsthriller Sektion 3: Das rote Pendel von Miriam Pharo

Vom 20. bis zum 26. Oktober lesen die Sprechbudler den Roman Sektion 3: Das rote Pendel von Miriam Pharo. Hendrik hat den Thriller bereits gelesen.

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Es ist schwierig, die Rezension eines deutschsprachigen SF-Romans nicht mit dem üblichen Verweis darauf zu beginnen, dass die deutschsprachige SF sich selbst innerhalb Deutschlands schwer damit tut, sich gegen die angloamerikanische Übermacht in diesem Genre zu behaupten … womit wieder einmal darauf verwiesen worden wäre.

Aber es stimmt ja auch: Wenige Autoren – Wolfgang Jeschke, Ronald M. Hahn, Thomas R.P. Mielke, Herbert W. Franke und nur einige mehr (und außer Gudrun Pausewang und den weiblichen Hälften der Autorenehepaare Braun und Steinmüller fällt mir leider keine einzige erwähnenswerte deutschsprachige SF-Autorin ein) – haben sich hier als eigenständige literarische Stimmen etablieren können. Und selbst die Werke dieser wenigen Ausnahmen beschäftigen sich nur selten mit dem Schauplatz Deutschland. Oft unterwerfen sie sich entweder der Konvention, jede erzählbare Zukunft müsse amerikanisch sein (wobei Europa und Asien Quotenanteile in Form von Nebenfiguren zugestanden werden), oder aber sie verschweigen ihre Geographieverortung lieber gleich ganz.

Zumindest das ist etwas relativ Neues an dem ersten Roman der Münchner Autorin Miriam Pharo mit dem vage an Poe erinnernden Titel „Das rote Pendel“: er traut sich in die globale Provinz. Das als „Zukunftsthriller“ untertitelte Werk ist in Norddeutschland angesiedelt, genauer: in Hanseapolis, einem aus dem nach einer Überschwemmungskatastrophe im Jahre 2025 entstandenen urbanen Zusammenschluss aus Hamburg und Lübeck. Und in dem teilweise hochtechnisierten, teilweise immer noch von der Katastrophe gezeichneten Moloch ermitteln die Einsatzkräfte der „Sektion Drei“, vor allem die neu zu dieser futuristischen Mordkommission hinzugekommene junge Polizistin Louann Marino und der zynische, knurrige Veteran Elias Kosloff, dem sie als Partnerin zugeteilt wird. Und gleich der erste zu lösende Mordfall des ungleichen Paares wird sie an ihre persönlichen Grenzen und darüber hinaus führen …

Das klingt bekannt, oder? Da fallen einem sofort U.S.-Streifen mit fast genau gleichen Requisiten ein, die es – zuweilen auch in SF-Ambiente – gleich im Dutzend gibt. Und in der Tat: so wie Pharo ihren hardboiled thriller sich entwickeln lässt, ist es schwer, sich nicht unwillkürlich Jennifer Lopez und Clint Eastwood in den Kulissen von Blade Runner vorzustellen. Schade drum?

Aber nein: das Schöne an „Das rote Pendel“ ist, dass man rasch bemerkt, dass der Autorin die Abgegriffenheit ihrer Requisiten durchaus bewusst ist. Sie versucht erst gar nicht, mühsam zu kaschieren, dass sie einem Klischees serviert, sondern gestattet sich, in diesen Klischees zu schwelgen. Und das hat durchaus seinen Reiz – schließlich ist es eine Binsenweisheit aller populären Massenmedien, dass es oft genug gar nicht darum geht, eine völlig neue Geschichte zu erzählen, sondern um die gekonnte und virtuose Neuaufbereitung bereits vertrauter Geschichten.

Auch Pharo serviert in diesem ersten Teil ihrer neuen Serie nichts als Konvention, aber sie tut es auf eine ausgesprochen professionelle und durchaus spannende Art, die sich besonders als Hörbuch extrem unterhaltsam macht.

Was ich jedoch ganz besonders an dem Romanerstling schätze, ist die liebevolle und phantasiereiche Weise, in der Pharo den Roman mit zahlreichen gut durchdachten Details aus dem zukünftigen Alltag anreichert: Thermotrop-Fenster, Nanorouge und Virtuelle Einkaufsberater haben zwar mit der eigentlichen guten alten Cops-vs.-Abschaum-der-Zivilisation-Story rein gar nichts zu tun, aber sie machen uns mit wohldosierten Hinweisen das Leben in Hanseapolis wirklich vorstellbar. Genau das ist der Aspekt, an dem Debutromane oft scheitern, weil sie zu wenig Wert auf das Gewicht der Details in ihren Unendlichen Weiten legen, und das ist zugleich das, womit Pharo bei mir persönlich hier die meisten Pluspunkte sammelt.

Und auch das mit den Rollenklischees könnte sich zuletzt ja doch ganz anders entwickeln, als man zunächst denkt, denn auch hier gibt es dezent eingestreute Hinweise – was hat es denn z.B. mit Kosloffs eigenen illegalen Geschäften auf sich? Ich traue Pharo durchaus zu, ihrer eigenen Steilvorlage hier noch durchaus Verblüffendes folgen zu lassen und empfehle daher einen baldigen Hörbesuch in Hanseapolis:

„Willkommen an Bord der Whale Queen. Bitte setzen Sie Ihren Virtuellen Kommunikator auf und aktivieren Sie per Sprachmodus den City-Guide in Ihrer Taskleiste. Sobald Sie das Aussehen Ihres persönlichen Guides konfiguriert haben, kann die Reise losgehen! Im Namen von Amazing Tours und der IFH Corporation wünschen wir Ihnen einen angenehmen Rundflug! …“

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