Noch 10 Tage, dann bricht eine neue, alte Enterprise auf, um neue, alte Star-Trek-Fans in Breitwand-Galaxien zu entführen, in denen noch nie zuvor jemals irgendeiner nicht schon mal gewesen wäre. Zufall will es, dass meine Lieblingsgeschichte in dem seit meinem Fernseh-Urknall Anno `69 stetig expandierenden Trekkieversum ebenfalls mit einer alten Enterprise zu tun hat. „Yesterday’s Enterprise“ (OT) ist meine „Number One“ aus 600 und ein paar zerquetschten Star-Trek-Stories – gefühlt spielfilmlange 45 Minuten, bei denen sich mir immer noch die Nackenhaare aufstellen.
Für alle, die es gerade nicht in Sensoren-Reichweite haben: Die Sternzeit ist 13-10-92, in deutschen Landen läuft die 3. Staffel TNG (The Next Generation), Episode 63. „Yesterday’s Enterprise“ ist die letzte Folge, die alle Mitglieder der Original-Crew noch einmal an Bord des buglastigen Flaggschiffes der „Nächsten Generation“ vereint. Auch Sicherheitsoffizier Tasha Yar (Denise Crosby), die eigentlich zwei Jahre zuvor bei einem Außeneinsatz ums Leben kam – tragisch, verstörend, völlig sinnlos. „Yesterday’s Enterprise“ spielt jedoch größtenteils in einer alternativen Zeitlinie, wo das nie passiert ist. Freilich das einzig Erfreuliche an diesem böse infizierten Seitenstrang der Geschichte.
Hier liegt die Föderation seit Jahrzehnten im Krieg mit den Klingonen, ganze Völker wurden schon hingemetzelt. Die Föderalen stehen vor der Auslöschung. Durch einen Riss in der Raumzeit erscheint ein Geisterschiff, das diesen Wahnwitz offenbar verursacht hat: Die NCC 1701-C, lange verschollene Vorgängerin von Jean-Luc Picards Enterprise. Die 1701-C wurde in der Vergangenheit von Romulanern angegriffen, als sie einem klingonischen Außenposten zu Hilfe eilte, dabei schwer beschädigt und in die Zukunft geschleudert. Wie sich herausstellt, können Frieden, Föderation und die korrekte Zeiteinstellung im Universum nur wieder hergestellt werden, wenn Schiff und Besatzung als Kanonenfutter in die aussichtlose Schlacht in der Vergangenheit zurückkehren. Das wäre in den Augen der Klingonen ein Akt der Ehre, der den Krieg mit der Föderation verhindert hätte.
Für mich ist „Yesterday’s Enterprise“ aber nicht wegen dieser recht vorhersehbaren Storylinie der Klassiker schlechthin, sondern wegen der Summe der vielen wundervoll gelungenen Details. Schon den Auftakt muss man sich ganz genüsslich auf der Zunge zergehen lassen: Ein gemütliches Plauderstündchen (noch in der „richtigen“ Raumzeit) zwischen dem notorisch knurrigen Klingonen Worf (Michael Dorn) und der mysteriösen Barkeeperin Guinan (Whoopi Goldberg). Spielort ist „Zehn Vorne“, die Amüsier-Lounge der Enterprise mit ihrem einzigartigen Sternenblick. Guinan hat etwas aus den Tiefen ihrer Theke hervorgezaubert, das sie Worf zum Probieren anbietet:
„It’s an old earth drink… prune juice. Try it.“
Worf kostet zögernd, stellt dann angenehm überrascht fest:
„Prune juice – a warriors drink!“
Das ist echt harter Selbstironie-Stoff. Und gleich wird noch einer draufgesetzt – ein ansteckender Lacher in Michael Dorn volltönender Basslage (trotz seiner vielen Auftritte in TNG und DS9 leider ein rares Vergnügen…). Auslöser ist diesmal Guinans eher sinnlich als übersinnlich gemeinte Feststellung:
„You always drink alone. It wouldn’t hurt you to seek out a little … companionship.”
Der Klingone bleckt die Beißer und lacht aus vollem Hals:
“It would require a Klingon woman for companionship. Earth females are too fragile.”
Tja, eben ein rauer Bursche, unser Worf – auch in Liebesdingen. Das nette Beisammensein endet allerdings abrupt, als draußen im All ein seltsames Phänomen sichtbar wird (der Zeitriss, wie sich später herausstellt), das Guinan nur mit einem langen bedeutungsschweren Blick und einem ungläubigen: „No“ quittiert.
Augenzwinkern, Timing, Mystery – ein perfekter erster Akt.
Der zweite ändert sofort die Tonart: Auf der Brücke der Enterprise ist Schluss mit lustig. Als das Schiff aus der Vergangenheit materialisiert, zerfließt die Realität und eine neue Zeitlinie entsteht. Tasha Yar erscheint, Worf verschwindet und mit ihm das weiche, freundliche Arbeitslicht. Im Großraumbüro von Picard und Co. wird der Umgangston schlagartig frostig. Ein bleicher, ausgezehrter Picard diktiert wie selbstverständlich in ein „Military log“. Der 1. Offizier Riker wird nicht mehr freundlich mit „number one“ adressiert sondern nur noch militärisch kühl mit „commander“. Seine Meinung ist in dieser Folge nicht mehr gefragt:
Picard: „I’m not seeking your consent. This is merely a briefing.“
Beklemmung schleicht sich an, ausgehend vor allem vom Alternativ-Universum-Picard. Der erste Mann der Enterprise – meist gerade einen Hauch schärfer als gewohnt – steigert sich im Laufe der Geschehnisse aber auch in ganz untypische, lautstarke Ausbrüche hinein. Seine alte Freundin Guinan, die als einzige ahnt, dass die Geschichte verändert wurde und ihn deshalb drängt, die alte Enterprise wieder in die Vergangenheit zurückzuschicken, fährt er barsch an:
Picard: „Who is to say that this history is any less proper than the other?”
Guinan: “I suppose I am.”
Picard: “Not good enough, damn it! Not god enough! I will not ask them to die!”
Guinan: “Forty billion people have already died! This war’s not supposed to be happening! You’ve got to send those people back to correct this!”
Picard: And what is the guarantee that if they go back they will succeed? Every instinct tells me this is wrong, it is dangerous, it is futile!”
Guinan: “We’ve known each other a long time. You have never known me to impose myself on anyone or take a stand based on trivial or whimsical perceptions. This timeline must not be allowed to continue. Now, I’ve told you what you must do. You have only your trust in me to help you decide to do it.”
Das könnte nun alles grandios und pathetisch danebengehen, wären da nicht bis in die Nebenrollen starke, glaubwürdig handelnde Figuren. Mein Lieblingszitat aus „Yesterday’s Enterprise“, man möge es mir nachsehen, ist deshalb auch ein echt markiger Heldenspruch als sich die Geschichte schließlich ihrem Höhepunkt nähert. Als die alte Enterprise zurück in den Zeitriss steuert, um die „richtige“ Realität wieder herzustellen, werden beide Föderationsraumer von einer klingonischen Übermacht in die Mangel genommen. Picards Enterprise manövriert sich schützend vor das Schwesterschiff:
Picard: “Attention all hands. As you know, we could outrun the Klingon vessels. But we must protect the Enterprise-C until she enters the temporal rift. And we must succeed! Let’s make sure that history never forgets the name … Enterprise.“
Und als Picards Schiff dann von den Klingonen Stück für Stück in Fetzen geschossen wird, als Riker vom Bruchstück einer Konsole erschlagen wird und Picard höchstselbst die Waffenkontrolle übernimmt:
Klingon Captain: “Federation ship Enterprise, surrender and prepare to be boarded.“
Picard: “That’ll be the day!”
Dem prallen Heldenepos gegenüber steht eine anrührende Zeitraffer-Lovestory zwischen der „wiederauferstandenen“ Tasha Yar und einem der wenigen Überlebenden der C-Enterprise, Lt. Richard Castillo. In nur drei, vier Szenen gelingt es den Autoren und den Akteuren, es zwischen den beiden ordentlich „funken“ zu lassen. Man gönnt der in der ersten Staffel so brutal hingemordeten Tasha Yar ihr Comeback von Herzen. Aber ohne diesen verfrühten Abgang, der übrigens auf dem Wunsch Denise Crosbys beruhte, aus der Serie auszuscheiden, um ihre Filmkarriere voranzutreiben, wäre „Yesterday’s Enterprise“ nicht halb so ergreifend. Dass diese Wiederauferstehung zur Kategorie „zu schön, um wahr zu sein“ gehört, ahnt der Zuschauer aber spätestens, als Guinan sich in Gegenwart der Sicherheitschefin sichtlich immer unwohler fühlt. Von Tasha Yar über ihr Schicksal in der anderen Zeitlinie befragt, weicht die Barkeeperin zunächst aus. Doch Tasha hakt nach:
Tasha: “Guinan … we’ve known each other for a long time“
Guinan: “No, we’re not meant to know each other at all. You’re supposed to be dead.”
Tasha: “What? …and, and how did I die?”
Guinan: “I don’t know. But it was an empty death, without reason or purpose.”
Huuh, das ist schon starker Gänsehaut-Stoff. Nach dieser Enthüllung bittet die Sicherheitschefin Kapitän Picard, sich auf die alte Enterprise versetzen zu lassen, um Castillo mit ihrem taktischen know-how beizustehen, wenn die 1701-C in der Vergangenheit wieder auf die Romulaner trifft.
Tasha: „It may only be seconds or minutes, but that could be the time it takes to change history. I don’t like the thought of dying for no real reason….and if I am to die, I want that death to count for something.”
Tapfer, tapfer. Und aus dem neuerlichen Verlust zaubern die Drehbuchautoren dann auch noch eine wundervoll ergreifende Schluss-Szene. Als die normale Zeitlinie zu guter Letzt wieder hergestellt wurde, was außer Guinan niemand bemerkt, meldet sich die Barkeeperin bei Picard auf der Brücke, und fragt, sehr zum Erstaunen der Offiziere, ob denn alles in Ordnung sei?
Picard: „Everything is fine. Is there anything wrong?“
In “Zehn Vorne” schüttelt Guinan mit wissendem Lächeln den Kopf, geht hinüber zu den Gästetischen, setzt sich zu Ingenieur Geordi LaForge und fragt:
“Geordi – tell me about … Tasha Yar.“
Obwohl laut Produzent Michael Piller die Produktion von „Yesterday’s Enterprise“ unter enormem Zeitdruck stand, weil die Gaststars Denise Crosby und Whoopi Goldberg wegen anderer Verpflichtungen enge Terminpläne hatten, obwohl an diesem vermeintlichen Schnellschuss nicht weniger als 5 Autoren gleichzeitig schrieben und sie mit dem Drehbuch am Ende nicht sonderlich glücklich waren, ist m.E. eine der besten TNG-Episoden überhaupt gelungen. Und wenn die Folge mal wieder laufen sollte, bitte bei der letzten Szene ganz genau hinschauen: Geordi trägt doch tatsächlich noch die Uniform aus dem alternativen Zeitlinie …