Tagebuch eines Hoffnungslosen

Nachtlektüre: Christopher liest
„Die Amerikaner im Krieg“
Gewalt gehört zum irakischen Alltag. Selbstmordanschläge, Überfälle, Sprengfallen – im vierten Jahr nach Saddam Hussein gleicht das Land einem Schlachtfeld. Nach den postideologischen Krisenherden Somalia, Jugoslawien und Ruanda schaut die Welt und mit ihr die Großmacht Amerika fassungslos auf das Zweistromland. Obwohl seit dem 28. Juni 2004 der Krieg zwischen den Vereinigten Staaten und dem Irak offiziell beendet ist, bleibt der Irak bis heute für die USA ein lebensgefährliches Minenfeld.

Mit seinem Buch „Die Amerikaner im Krieg“ beschreibt Dietmar Herz sowohl die Vorgeschichte als auch den aktuellen Stand dieses Konflikts. Vom 20. Dezember 2006 bis zum 16. Januar 2007 lernt Herz als „embedded journalist“ den Kriegsalltag der US-Streitkräfte im Irak kennen.

Dabei gilt sein Hauptinteresse den Lebensumständen, den alltäglichen Gefahren und Risiken den die amerikanischen Soldaten im Irak ausgesetzt sind. Ergänzt werden diese Beobachtungen durch politische und historische Analysen, mit denen Herz sich und dem Leser ein Koordinatensystem bei der Erschließung dieses Konflikts an die Hand geben will.

Die erste Station ist Bagdad, genauer das als „grüne Zone“ bezeichnete Zentrum der US-amerikanischen Militäradministration. Ein Areal, das für ihn im Wesentlichen durch militärische Routine, Warten auf den Einsatz und dem lukrativen Zusammenspiel internationaler Sicherheitsfirmen geprägt ist. Bagdad im Dezember 2006 vermittelt ein widersprüchliches Bild. Vorweihnachtliche Normalität kontrastiert mit einem ständig steigenden Blutzoll von US-Armee und irakischen Zivilisten. Mit dem Jahreswechsel 2006/2007 erhält Herz die Möglichkeit, die Aktivitäten der US-Armee auch außerhalb Bagdads mit zu verfolgen. Seine Stationen sind Samara und Tikrit.

In Samara, einer sunnitischen Stadt mit schiitischer Minderheit, lernt Herz einen der Schnittpunkte kennen, an dem sich verschiedene Konfliktlinen treffen. Sunnitisch-schiitische Spannungen, eine nur punktuell wahrnehmbare Sicherheitspräsenz der US-Einheiten sowie eine kaum verbesserte Versorgungslage beherrschen den Alltag der Stadt. Stärker noch als in Bagdad verdeutlichen sich für Herz in Samara durch die räumliche Trennung der Konflikparteien die irakischen und amerikanischen Parallelwelten. Ihre Berührungspunkte sind, durch Gewalt und Zerstörung gepägt, nur unter Lebensgefahr zugänglich.

Ein Eindruck, der sich auch in Tikrit bestätigt. Allerdings unter anderen Vorzeichen. Im Unterschied zu Samara ist Tikrit auch heute noch das politische Zentrum des „ancient regimes“, der Baath-Partei und somit Saddams Stadt. Herz trifft in Tikrit nach der Hinrichtung Husseins ein und erlebt eine Stadt im Ausnahmezustand. Eine Stadt, beherrscht von Hussein treuen Clans. Eine Stadt zwischen Apathie, Trauer und gewaltbereiter Rache, in der die amerikanischen Soldaten von vielen nicht nur als Besatzungstruppen, sondern als Feind der Sunniten angesehen werden.

Herz schließt seine Erkundungstour mit einem weiteren Besuch Bagdads ab. Diesmal allerdings erkundet er mit einer Patrouille der US-Armee die Außenbezirke der Stadt. Den Eindruck den Herz hier gewinnt ist kaum positiver als in Samara oder Tikrit. Müllberge, defekte Wasserleitungen und ein orientalisches Straßenleben, das von den desillusionierten US-Truppen zunehmend als feindselig wahrgenommen wird.

In seiner politischen Beurteilung des Irak-Krieges sucht Herz die aktuellen Eindrücke seiner Reise durch historische Bezugspunkte miteinander zu verbinden. Dabei geht er grundsätzlich davon aus, dass die US-Administration bei ihrer Entscheidung für den Irak-Kieg drei Fehleinschätzungen erlegen ist. Hierzu gehören seiner Ansicht nach: Der fehlende irakische Wunsch nach Demokratisierung, die Unterschätzung der ethnischen und religiösen Gesellschaftstruktur des Irak sowie die in Folge des Krieges verminderten künftigen Einflussmöglichkeiten der US-Regierung in dieser Region.

Gleichwohl relativiert Herz dieses Urteil, indem er den Sturz Saddam Husseins auch persönlich als positives Ereignis beschreibt. Ebenso erkennt Herz in dem Irak Saddam Husseins einen aggressiven Staat, der auch nach seiner vernichtenden Niederlage im zweiten Golf-Krieg ein unkalkulierbares Sicherheitsrisiko geblieben ist.

Zugleich beschreibt Herz mit diesem argumentativen Spagat einen internationalen Dissenz, der seit dem Ausbruch des dritten Golfkrieges die Weltgemeinschaft spaltet. Wie viele Irak-Kritiker verbindet auch Herz die mangelhafte realpolitische Analyse der Bush-Adminstration mit den Ereignissen des 11. September 2001. Der Wunsch der Amerikaner nach Genugtuung und die Bereitschaft Bushs fahrlässigerweise übergroße Risiken einzugehen, sind für Herz maßgebliche Antriebsmomenten einer irrational agierenden US-Regierung. Zu kurz kommt bei dieser Einschätzung allerdings die Frage, wie mit dem Irak unter Saddam Hussein nach einer Aufhebung des seit dem 6. August 1990 andauernden Wirtschafts-, Finanz und Militärembargos umgegangen werden sollte. Eine argumentative Schwachstelle in der politischen Kritik des Irak-Krieges, nicht nur bei Dietmar Herz.

Das Dilemma des Irak-Konflikts begann jedoch früher. Spätestens mit dem Embargobeschluss 1990 steuerte die Internationale Irak-Politik in eine Sackgasse. Man unterschätzte den Willen Saddam Husseins auf Kosten der eigenen Bevölkerung zu überleben ebenso, wie man den Wunsch der Staatengemeinschaft überschätzte sich des Diktators zu entledigen. Die Hinweise des Autors auf die tribale Gesellschaftsstruktur des Irak sowie die sunnitisch-dominierte Machtverteilung dagegen sind historische Rahmenbedingungen ohne besonderen Aktualitätsanspruch. Sie waren die Grundlage für den Despotismus Saddam Husseins und stellten die innen- und außenpolitische Stabilität des Irak seit jeher in Frage. Ein Umstand übrigens, der von der Weltöffentlichkeit zu Gunsten der einen oder anderen Ideologie seit Jahrzehnten erfolgreich verdrängt wurde.

Die Amerikaner im Krieg
Bericht aus dem Irak im vierten Kriegsjahr

(ISBN: 3406563236)
Beck-Verlag, München
Preis: 17,90 Euro

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