Gratwanderungen – das waghalsige Kino des Terrence Malick (1)

Seit TREE OF LIFE wird wieder über Terrence Malick geredet. Götz bringt uns heute und morgen den Ausnahme-Regisseur näher.

Terrence Malick: da er unter den Filmregisseuren so unvergleichbar ist, vergleicht man ihn gerne mit Schriftstellern wie Pynchon oder Salinger, sieht ihn als das geheimnisvolle Genie der Filmgeschichte, in jedem Fall als jemanden, der nur sein Werk sprechen lassen möchte und sich nicht als öffentliche Person versteht, die Interviews gibt und sich auf den roten Teppichen zeigt.

Was für ein schmales Werk, nun seit „The Tree of Life“ sind es fünf Filme in knapp vierzig Jahren, aber was für Filme. Wie Stanley Kubrick strebt Malick nach einem Kino, das nicht nur größer als das Leben, sondern auch größer als das gängige Kino ist. Und dennoch geht es ihm nur darum, mittels der großen Gesten dem Leben selbst nahe zu kommen und die Poesie der Wirklichkeit zu erfassen, darin dem europäischen Autorenkino, etwa Tarkowskij nahe. Malick gehört zur goldenen 70er-Jahre-Generation mit Scorsese, Spielberg, Lucas, Coppola und Cimino, zum New Hollywood. Sein legendärer Debütfilm „Badlands“ kam 1973 in die Kinos, im selben Jahr wie „American Graffiti“ von Lucas und „Mean Streets“ von Scorsese“, ein Jahr nach Coppolas „Der Pate“, zwei Jahre nach Spielbergs „Duell“ und ein Jahr vor Ciminos „Den letzten beißen die Hunde“.

Malick wurde zu einem der größten Einzelgänger, zu einem Mythos der Filmgeschichte. Alle seine Filme wandeln auf einem schmalen Grat, gehen ein hohes Risiko ein, wandeln oft halsbrecherisch am Abgrund von Pathos und Kitsch, wagen poetische Momente und ein Übermaß an Schönheit, das der eine niemals vergisst, der andere verabscheut. Man muss sich auf ihn einlassen, doch es ist nachvollziehbar, dass es manchem „too much“ ist. Malicks Filme konfrontieren uns mit uns selbst, auch mit verdrängten Bereichen des eigenen Inneren. Sie fordern heraus und lösen Widerstreben aus. Auch in Momenten der Begeisterung, in Passagen, in denen man schauend in eine Art Trance gerät, fließt dann unterschwellig die Überlegung mit, ob man nicht aussteigen sollte. Malick zu folgen, ist ein Abenteuer. Aber vielleicht können sich alle darauf einigen, dass diese Filme uns ein neues Sehen lehren, sie entlassen uns mit anderen Augen aus dem Kinosaal. Und ein größeres Lob kann man einem Filmkünstler nicht machen.

In „Badlands“ spielt Martin Sheen den jungen, sympathischen Aufschneider Kit, der genug von seinem Job bei der Müllabfuhr hat und mit der naiven, verträumten Holly anbändelt. Da Hollys Vater etwas gegen die Liaison hat, erschießt Kit ihn und flieht anschließend mit Holly (Sissy Spacek). Auf ihrer Flucht begeht Kit weitere oft völlig grundlose Morde und hinterlässt in mehreren Bundesstaaten eine Spur der Gewalt, bis er schließlich gefasst wird. Lässt sich der amerikanische Traum nur noch in einem anarchistischen Rausch der Gewalt ausleben? Gibt es Freiheit nur noch in der Gesetzlosigkeit? Das sind Fragen, die „Badlands“ stellt. So sehr er sich noch von Malicks späteren Filmen unterscheidet, einige zentrale Themen klingen schon an: eine unglückliche Liebesgeschichte, die Flucht aus einer als verfehlt empfundenen Zivilisation und der Rückzug in die Natur, das Einzelgängertum, der Konflikt zwischen Individuum und Gesellschaft. Sheen spielt Kit mit zwingender Präsenz, bewusst angelehnt an James Dean, den er in manchen Szenen kopiert. Der in Texas aufgewachsene Malick, der in Oxford ohne Abschluss Philosophie studierte, bevor er seine Berufung zum Filmemachen entdeckte, ist trotz aller europäischer Einflüsse ein zutiefst amerikanischer Regisseur, ein Künstler in der Tradition von Melville und Thoreau.

So sehr er seine Sets auratisch auflädt, so sehr nimmt er den Stars, die sich so gerne von ihm engagieren lassen wie vielleicht sonst nur von Woody Allen, alle Hollywood-Aura, bedient sich aber dennoch ihrer starken Leinwandpräsenz. Auf „Badlands“ folgte 1978 „Days of Heaven“ mit Richard Gere, der eine melodramatische Liebesgeschichte auf einer sich industrialisierenden Großfarm in Texas zu Anfang des 20. Jahrhunderts erzählt. Der Film wurde vielfach ausgezeichnet, unter anderem gewann Nestor Almendros den Oscar für die beste Kameraarbeit und Malick selbst wurde in Cannes mit dem Regiepreis geehrt. Dennoch ist das in historischer Authentizität schwelgende, sozialkritische Epos wohl eines der am tiefsten in Vergessenheit geratenen Meisterwerke der Filmgeschichte. Vielleicht liegt dies auch daran, dass Malick nach diesem Werk fast zwanzig Jahre lang aus der Öffentlichkeit verschwand und keinen Film mehr herausbrachte. Gewiss trug auch der von seinem Kollegen Michael Cimino 1981 verursachte „Heaven’s Gate“-Schock seinen Teil dazu bei, denn auf Jahre hinaus scheuten die Studios nun gewagte, kostenintensive Großprojekte selbst ernannter Genies. Wie schon bei „Badlands“ hatte Malick zwar mit „Days of Heaven“ Erfolg bei den Kritikern, aber nicht an der Kinokasse.

Am Montag folgt schon der zweite Teil

Schreibe einen Kommentar