„Choosing to die“ – Vom Adel im Angesicht des Todes: Sir Terry Pratchett

Das Leben, das Schreiben und der Tod – Hendrik über Terry Pratchett. Heute über den Film „Choosing to die“.

CHOOSING TO DIE (2011)
Dies ist kein Buch, sondern eine einstündige Filmdokumentation, und man kann sie nicht kaufen, sondern nach der im Sommer 2011 erfolgten Ausstrahlung durch die BBC an verschiedenen Stellen des Internets online ansehen:

Bei Terry Pratchett wurde vor einigen Jahren eine Form der Alzheimer Krankheit diagnostiziert, und es ist nachvollziehbar, dass eine Erkrankung, die in kaum vorhersehbarer Weise mehr und mehr die geistigen Fähigkeiten beeinträchtigt, für einen Menschen des Denkens und der Worte einen wohl noch gesteigerten Horror darstellt.

Zu Beginn der Dokumentation erklärt Pratchett, dass der Roman „Snuff“ gar nicht von ihm geschrieben worden ist – er konnte nur noch von ihm diktiert werden, denn die Fähigkeit des Tippens hat Pratchett bereits eingebüßt. Er diktiert einem Assistenten, der ihm zugleich dabei behilflich ist, die gelegentlichen Lücken im Kurzzeitgedächtnis des Autors zu überbrücken. Er sei, so sagt Pratchett, weit davon entfernt, das Schreiben aufgeben zu wollen – aber er wisse, dass der Tag unweigerlich kommen werde, an dem es nicht mehr gehe – und dann: dann wolle er bitte sterben dürfen.

Wir leben in einer Kultur, deren höchstes Ideal ein möglichst langes Leben ist, und bei dieser Zielsetzung gerät eine wirklich Abwägung der Frage, ab wann dieses Leben vielleicht nur noch ein qualvolles Existieren darstellt, häufig außer Sicht. Etabliertes Symptom hierfür ist die Rechtssprechung: einen Menschen sterben zu lassen, obwohl man seine Existenz hätte – unter welchen Umständen und zu welchen Bedingungen auch immer – verlängern können, ist in fast allen europäischen Ländern illegal, oft inkl. der Sanktionierung von vergeblich unternommenen Selbsttötungen oder der Beendung der Qualen unrettbar Schwerstverletzter.

Terry Pratchett nun hat sich aus seiner eigenen Situation heraus mit der Frage beschäftigt, welche Möglichkeiten man als Betroffener hat, aus diesem Dilemma herauszufinden:

„When I am no longer able to write my books, I am not sure that I will want to go on living. I want to enjoy life for as long as I can squeeze the juice out of it — and then, I’d like to die. But I don’t quite know how, and I’m not quite sure when. […]
What you’re about to watch, may not be easy, but I believe it’s important… Is it possible for someone like me, or like you, to arrange for themselves the death that they want?”

Pratchett spricht mit Menschen, die in einer vergleichbaren Situation wie er sind. Einige lehnen dennoch den Gedanken an einen selbstgewählten Freitod ab. Zwei andere erzählen ihm ausführlicher davon, warum sie sich entschlossen haben, einen selbstgewählten Tod sterben zu wollen.

Pratchett, sein ständiger Assistent und ein Kameramann besuchen u.a. den Millionär Peter Smedley und seine Frau in ihrer Villa auf Guernsey sowie den Autoren Andrew Colgan in seiner Wohnung. Beide Männer sind schwer und unheilbar erkrankt und leben ein Leben, das ihnen nicht mehr lebenswert erscheint. Und beide haben beschlossen, in Kürze in die Schweiz zu reisen und sich dort der Dienste einer Organisation namens Dignitas zu bedienen, die nichts anderes anbietet als den organisierten und betreuten Freitod.

Pratchett spricht mit ihnen über ihre Lebenssituationen, ihre Einstellung zum Tod und zum Freitod. Er spricht auch mit denen, die bei Dignitas diese Dienstleistung begleiten, dem Inhaber, der Ärztin, und auch mit Peters Frau und Andrews Mutter, um ein umfassendes Bild von dieser Möglichkeit zum organisierten und legalen Freitod zu gewinnen. Kurze Zeit später trifft Pratchett Peter und Andrew noch einmal in der Schweiz, und die Smedleys gestatten ihm sogar, mit der Kamera bei der Vorbereitung und sogar beim Tod Peters dabei zu sein.

Das war für die Briten eine denkbar schwere Fernsehkost und hat eine offenbar dringend notwendige Debatte über den Umgang mit solchen Situationen ausgelöst. Dennoch täuscht der Film nicht darüber hinweg, dass auch diese Option nur solange offensteht, solange der Betroffene geistig klar und in der Lage ist, immer wieder deutlich zu artikulieren, dass er bewusst und freien Willens abtritt. Was ist mit jenen, die das nicht mehr können?

Neben dem höchsten Respekt, den man den Beteiligten einer so mutigen Dokumentation zollen muss, mag für manchen dennoch eine Frage offenstehen: Ist ausgerechnet ein humoristischer Fantasyautor als Moderator eines solchen Themas wirklich eine gute Wahl?

Ich finde, man hätte es kaum besser treffen können.

Terry Pratchett gewinnt seine ‚Qualifikation‘ für dieses Thema nicht nur aus dem Umstand, dass er selbst prominenter Betroffener ist, sondern aus seiner Art heraus, wie er über das Leben schreibt. Wie jeder gute Autor phantastischer Literatur versucht er nicht, das Niedagewesene herbeizuschreiben, er nimmt das Dasein um sich herum und gibt ihm andere Schattierungen. Um das so gut tun zu können, muss er die Dinge zuweilen aus selbstironischer Distanz betrachten – und gerade bei gerne verdrängten, verkniffen und verhärtet betrachteten Themen ist dies meist eine heilsame Perspektive.

Was hat Humor für einen Wert, wenn man ihn nicht gerade in solchen Momenten, angesichts der ernsthaftestmöglichen Unausweichlichkeit hervorziehen und wie mit einem Kissen die gedankliche und emotionale Unbequemlichkeit abfedern kann?

Terry Pratchett über den Freitod sprechen zu hören, erinnert mich daran, dass ich vor Jahren in der Neuverfilmung von „The Day the Earth Stood Still“ angesichts des Auftrittes von John Cleese bereits dachte: Ja, sollte die Menschheit eines Tages eines wirklich weisen Sprechers bedürfen, wäre ein guter Humorist meine erste Wahl, noch lange vor Philosophen, Religionsführern, und (ich denke, da höre ich wenig Protest) ganz ganz weit vor Politikern und Militärs. Ein guter Humorist hat die Menschen verstanden und vermag sein Wissen weiterzugeben. Er setzt dem Weinen das Lachen entgegen und ermöglicht eine emotionale Balance.

Terry Pratchett lässt in einigen seiner Romane den Tod selbst als Hauptfigur auftreten (ich gestatte mir, in diesem Zusammenhang auf ein von mir mit diesem vor Jahren geführtes Interview zu verweisen – morgen auch hier bei SchönerDenken), weil auch in seinem Scheibenwelt-Universum die Balance von Leben und Tod existiert; es ist eben ein echtes, kein abgesichertes Spieluniversum, und das trägt zur Qualität seines Erzählens wesentlich bei. Wenn Sir Samuel Vimes dem Dunkel gegenübertritt, könnte er tatsächlich sterben (anderen Figuren ist das schon passiert). Erst dies ermöglicht uns, ihn plastisch als den lebendigen Helden wahrzunehmen, als der er sich erweist.

Die Aufgabe, uns als Helden angesichts der Gewissheit der eigenen Sterblichkeit zu erweisen, müssen wir zuletzt alle bewältigen. „Choosing to Die“ ist keine Werbung für eine spezielle Form des Sterbens (obwohl es von vielen so verstanden wurde), es ist vor allem ein beispielhafter Hinweis darauf, dass es besser ist, diese Aufgabe bewusst als solche wahrzunehmen, zu fragen „Was will ich?“ und alle möglichen Optionen einer Antwort zu bedenken, solange eine Wahl bleibt. Wir beschwören so gerne unseren freien Willen, lassen uns diesen jedoch tagtäglich und bereitwillig in Vielem wieder abnehmen. Das ist auch nicht schlimm, solange es darum geht, welche Kleidung gerade ‚in‘ ist, aber in Bezug auf unseren eigenen Tod?

Unwillkürlich denke ich: wie würde Sam Vimes sich entscheiden?

„Choosing to Die“ gibt’s nur in englischer Sprache.

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