Hendrik hätte The Painted Veil evtl. besser gefallen, wenn er schlechter gewesen wäre
Nun ja, es hätte eigentlich funktionieren müssen: die Verfilmung einer Vorlage von einem großen Romancier (W. Somerset Maugham) durch zwei großartige Schauspieler (Edward Norton und Naomi Watts), angesiedelt in der gleichen wunderschönen Landschaft, die uns auch schon in Filmen wie <Tiger & Dragon> betörte.
Die Geschichte ist in den 1920er Jahren angesiedelt, als das britische Empire sich auch in den abgelegensten Regionen Asiens noch durch linealverschluckthabende zugeknöpfte Gentlemen vertreten sah, die u.a. dem zerfallenden Großreich China die Segnungen der abendländischen Kultur nahezubringen versuchten. Edward Norton verkörpert einen von ihnen, den Bakteriologen Dr. Fane, einen wortkargen und steifen Herrn, der sich eines Tages auf einer Gesellschaft in London in Kitty (Naomi Watts) verliebt, Tochter aus gutem britischen Hause.
Kitty, die sich zum Kummer ihrer Eltern bislang der Konvention einer standesgemäßen Heirat verweigert hat, nimmt den schon kurze Zeit später ungelenk vorgebrachten Antrag Dr. Fanes an, um ihrem Elternhause zu entfliehen. Sie begleitet ihn nach Shanghai. Doch das Glück der jungen Ehe ist dort nicht von Dauer, da Kitties Lebenslust an der scheinbar undurchdringlichen Reserviertheit ihres Gatten scheitert. Sie flüchtet sich in eine Affäre mit einem anderen, der sie jedoch, als der Seitensprung auffliegt, zur Rettung seines eigenen gesellschaftlichen Rufes im Stich lässt.
Dr. Fane stellt seine Frau vor eine grausame Wahl: er willigt nur ein, sich ohne gesellschaftlichen Skandal und in aller Stille von ihr scheiden zu lassen, wenn sie ihn zuvor ins chinesische Hinterland begleitet, wo gerade eine Choleraepidemie wütet. Und so findet sich die junge Frau an der Seite eines Mannes, der sie seine Verachtung deutlich spüren lässt, auf einer Reise in ein Seuchengebiet wieder, wo sie inmitten von Menschen, deren Sprache und Kultur sie nicht versteht, fast völlig isoliert ist.
Während Dr. Fane sich zum erstenmal in seinem Laborwissenschaftlerleben mit der bitteren Realität eines schlecht ausgestatteten, von dahinsiechenden Choleraopfern überfüllten Hospizes konfrontiert sieht, droht Kitty allmählich daran zu zerbrechen, dass sie mit kaum jemandem reden und kaum für jemanden nützlich sein kann. Ihr einziger Nachbar ist ein britischer Kolonialoffizier, der sich (auf den ersten Blick zumindest) völlig in Alkohol, Opium und dem Zusammensein mit einer jungen Chinesin verloren hat, und auch die Schwestern des katholischen Klosters, in dem sich das Hospiz befindet, haben für sie zunächst keine Verwendung.
Alles in allem klingt das nach einer erzählenswerten Geschichte, die mich als Zuschauer mit ihren weiteren Wendungen – chinesische Nationalisten beginnen, die ungeliebten Ausländer zu verfolgen; Kitty entdeckt, dass sie von ihrer Affäre schwanger ist; Dr. Fane erkrankt selbst an der Cholera usf. – zu fesseln vermöchte. Der von mir verwendete Konjunktiv deutet an, dass das dem Film bei meiner Mitschauerin und mir jedoch nicht gelungen ist, trotz der zweifelsohne ausgesuchten Zutaten. Warum nicht?
Da waren wir uns nicht sicher. Womöglich vollzieht der Film zu konsequent die etwas unterkühlte soziale Distanziertheit jener Zeit und Gesellschaft nach, und da deren Konventionen für uns als heutige Betrachter der dramaturgischen Anmoderation bedürfen, fiel es uns schwer, Anteil zu nehmen am Gefühlsleben der beiden Hauptfiguren. Deren z.T. selbstzerstörerisches Verhalten (beide unterlassen es bewusst, sich gegen die Cholera zu impfen, und Kitty nimmt sogar wissentlich ‚ungesicherte‘ Nahrungsmittel zu sich) wirkte daher nicht wie etwas Irrationales, das immerhin einer für uns in diesen Momenten nachfühlbaren oder auch nur verständlichen Gefühlslage entsprang – es wirkte nur irrational und nichts weiter. Ich war gezwungen, mich zu fragen, ob ich nicht einfach zu sehr an das emotionale over acting gewöhnt bin, das heutzutage in den meisten Produktionen zelebriert wird, um mich von einem Film gemeint zu fühlen, der sich mit seiner Verbildlichung innerer Bewegtheiten so zurückhält.
Mir fiel in diesem Zusammenhang jene Lektion aus Creative Writing-Kursen ein, bei der es um die Erkenntnis geht, dass man beim Schreiben von Dialogen in erzählender Prosa nur selten einfach hingehen und verschriftlichen kann, wie zwei wirkliche Menschen sich unterhalten würden. Ein in Schriftform ‚funktionierender‘ Dialog besitzt eine zusätzliche Ebene, die ihm die Eigenschaft verleiht, die Emotionen und Gedanken der Figuren hinter den Worten mitschwingen zu lassen – wobei diese Ebene im Idealfall nicht bewusst wahrnehmbar ist, denn sonst ergibt sich einer jener aufgesetzt wirkenden Theaterdialoge, die wir wohl alle fürchten (<Closer – Hautnah> war da ein deprimierend gutes Beispiel). Gerne wird die Kunst, gute Dialoge zu schreiben, mit dem Abschmecken eines Gerichtes verglichen: bestimmte Gewürze sind unbedingt nötig, um das Ganze abzurunden, aber wahrnehmbar durchschmecken sollten sie möglichst nicht.
In <The Painted Veil> ist es natürlich die Bildsprache, welcher diese Aufgabe zufällt, aber obwohl der Film handwerklich absolut makellos ist, entstand für mich keine Verbindung zwischen dem, was gesagt und dem, was gezeigt wurde: die Figuren wurden Charaktere, aber keine, von deren Schicksal wir uns gemeint gefühlt hätten. Auch die poetische, unaufdringlich virtuose Pianomusik Lang Langs (die nicht das einzige ist, was einen Vergleich mit <Das Piano> nahelegt) vermochte es nicht ganz, eine Brücke zwischen den Welten zu bauen – und auch eine zu Dreivierteln gebaute Brücke ermöglicht noch keinen Übergang.
Wer weiß, vielleicht war es einfach nur der falsche Film für den falschen Tag, und wir waren einfach nicht in der rechten Stimmung für diese Art Literaturkino. Aber ich habe es eben auch schon erlebt, dass mich ein Film abgeholt und erfolgreich zu seinem Zuschauer umgeformt hat, völlig egal, in welcher Stimmung ich mich beim Einlegen der DVD befand (<Das Piano>, <Die Legende vom Ozeanpianisten> und z.B. auch <Antonias Welt> sind für mich solche Filme). Diese emotionale Wandlungsmagie – welche auch <The Painted Veil> an anderen Tagen und auf andere Leute vielleicht haben mag – hat bei uns jedenfalls dieses Mal nicht gewirkt, und so blieben wir zuletzt etwas enttäuscht zurück wie Leute, deren Zug einfach nicht gekommen ist. Andere mögen in dieses filmische Vehikel einsteigen und emotional irgendwohin mitgenommen werden; wir haben uns dann lieber etwas weniger Schleierhaftem zugewandt. Vielleicht hatten wir ja auch einfach einen jener faulen Sofamomente, in denen einem ein schlechterer Film (vielleicht mit etwas mehr over acting) einfach besser gefällt.