„Tintenherz“: Schade – in der Zeit hätte ich was lesen können

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Hendrik äußert leichten Unmut über die unmutige Filmversion von Tintenherz

Und wieder einmal wurde eine sehr gute, wenn auch nicht geniale Buchvorlage zum Film verheizt. Das war mein Gedanke beim Betrachten der Kinoankündigung von „Tintenherz“, und das ist mein Gedanke jetzt, während der Abspann läuft.

Der Film macht vieles richtig und doch das Entscheidende falsch. Er nimmt eine Vorlage, die den Leser (und natürlich besonders denjenigen, der die kindliche Freude an Büchern nicht verlernt hat) bei seinen eigenen sinnlichen Erfahrungen und Neigungen mit der Magie des Lesens abholen möchte, um eine spannende, mitreißende Geschichte zu erzählen. Aber vor lauter Erzählen geht dem Film eben diese Wahrnehmungsebene verloren – wie eine Geschichte, in der sich so viele dramatische Verben türmen, dass die Adjektive nach und nach völlig verschwinden. Das distanziert zuletzt mich als betrachtenden Teilnehmer der Geschichte wieder zum Beobachter, und was dann vor mir über die Leinwand flimmert, kommt nicht in mir an.

Die Ansätze sind dabei eigentlich gut: die Figuren sind (mit Ausnahme des mir einfach zu trotteligen Schriftstellers und auch der Elster, die hier von der beeindruckend unphantastisch-finsteren Nebenfigur zur schon unfreiwillig komischen Fastnachtshexe degeneriert) gut besetzt, allerdings haben auch sie einfach zu wenig Zeit, sich zu entwickeln. Und dieser Zeitmangel muss durch Überzeichnung der Figuren kompensiert werden, damit man überhaupt einen Eindruck gewinnt.

Selbst eine Helen Mirren kann in ihrer Rolle der Elinor da nur wenige Facetten hinüberretten: aus dem durchaus wesentlich vielschichtigeren Charakter des Buches wird eine bibliomane Eigenbrötlerin, die in der wenigen Zeit, die ein Zug für einen kurzen Halt benötigt, ihr Tantenherz entdeckt zur aufopfernden Mitheldin mutiert, bis sie zuletzt (ich unterstelle hier mal den Versuch einer ironischen Bildhommage und keine unfreiwillige Parodie) gandalfgleich auf einem weißen Einhorn auf das schmale Schlachtfeld reitet.

Die Bösen sind angemessen schwarz und entsprechen der mittlerweile für solche Filme üblichen Typenmischung aus Nazis, Punks und (in diesem Fall enttechnisierten) Borg, und die wirklich magischen Elemente des Buches werden auf der Ebene von Requisiten und Special Effects verheizt: kalligraphische Tätowierungen und ein als Höhepunkt des Ganzen beschworenes unirdisches Obermonster, dem man die vielen hundert Extrastunden am Rechner (und die Softwareverwandtschaft zum Balrog im Herrn der Ringe) deutlich ansieht. Das wahrhaft Böse bleibt dahinter ziemlich auf der Strecke, da kann Andy Serkis so manisch aus den schwarzen Knopfaugen gucken, wie er will.

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Die sich bei dem Unterfangen, ein 500-Seiten-Buch zu einem 100-Minuten-Film gekürzt zu bekommen, notwendigerweise ergebenden Entscheidungszwänge (welche Nebenfiguren kappe ich, wie beschleunige ich die Entwicklung der Charaktere) haben zuletzt zu einer recht gehetzten Dramaturgie geführt. Ferner ist der Film offenbar für möglichst viele Altersgruppen und für möglichst viele Geschmäcker gedacht, und das lässt ihn im Endeffekt halbgar erscheinen. Spürbar verzweifelt wurde alles nur irgendwie Visualisierbare mit scheinbar erfolgsgarantierender Konventionalität umgesetzt in der Hoffnung, damit die beim Lesen vom Leser selbst beschworene Vorstellung ersetzen zu können. Und das hat bekanntlich noch bei sehr, sehr wenigen Buchverfilmungen funktioniert.

Leider wird es wohl gerade genug Leute geben, die sich mit einer solchen filmischen Fertigmenüversion ihrer Phantasie zufriedengeben, um eine Verfilmung auch der beiden anderen Teile zu rechtfertigen, und viele werden auch diese Kinokarten kaufen mit den Worten „Dann brauche ich das dicke Buch nicht zu lesen“. Das soll diese Art von Betrachter nicht abwerten: es gibt durchaus Bücher, da ‚genügt‘ auch mir die Verfilmung anstelle des Buches, warum nicht. Und in manchen Glücksfällen funktioniert ein literaturbasierter Film sogar ganz für sich und führt doch zugleich zum Buch hin. Aber in diesem Fall habe ich doch das deutliche Empfinden, dass der Übertragungsverlust der Filmumsetzung einfach zu deutlich spürbar ist – ganz bestimmt jedenfalls für die, die das Buch zu schmecken die Freude hatten. Hier dagegen denke ich eben nur: Schade – in der Zeit hätte ich was lesen können.

Fazit: Ab damit auf die DVD und für 8 Euro an die Baumarktkasse. Ein Film für jeden Geschmack und deswegen ohne jedes Eigenaroma.

Hier der Film-Trailer:

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