Im West-Flügel

Am 4. November wählt das amerikanische Volk den mächtigsten Mann der Welt. Der Präsident der Vereinigten Staaten … das Amt an sich ist schon eine Ikone der Populärkultur, inklusive White House, Oval Office und Air Force One. Die Wartezeit bis zur Wahl vertreiben wir Ihnen mit der Serie “All the Presidents”.

Im Gegensatz zu „The American President – Hallo, Mr. President“ ist die aus dem Film entstandene amerikanische Fernsehserie „The West Wing“ (so benannt nach dem Gebäudeflügel des Weißen Hauses, im dem sich das Oval Office und die Büros der engsten Mitarbeiter des Präsidenten befinden) durchaus sehr politisch. Liebes- und Beziehungsgeschichten rangieren eher im Hintergrund; wichtiger sind die Darstellung realistischer Regierungsarbeit, die aktuelle Relevanz der Themen und das Sichtbarmachen von Entscheidungsfindungsprozessen.

Das klingt jetzt ein bißchen arg ernst, schwerblütig und bedeutungsschwanger, ist es aber gar nicht, und darin liegt die Magie dieser Serie: sie hat Humor, eine feine Ironie, und es ist eine Freude, den Dialogen zuzuhören, die ein ähnliches Niveau haben, wie man es von „Boston Legal“ oder „House“ kennt.

Der Unterschied zu diesen beiden (prachtvollen) Dramaserien liegt nicht in Drehbuch, Schauspielriege und hochrangigen Auszeichnungen (alle drei Serien sind makellos in den genannten Punkten), sondern leiderleider darin, daß  „The West Wing“ in Deutschland nur auf dem neuen Abosender Fox Channel zu sehen ist, während man sich an Boston Legal und House im ganz normalen Privatfernsehen laben kann. Auch die DVDs sind nur im Original und für den stolzen Preis von über 200 Euro zu bekommen. Also muß ich gleich offen sagen, daß ich nur einen Bruchteil der Folgen gesehen habe. Aber die alleine haben mich schon nachhaltig beeindruckt. Ein amerikanischer Kritiker schreibt:

„Well, „West Wing“ is a love poem to the ideals of a portion of America that has not had a voice in a long, long time. Be forewarned, this show is not a docudrama watered down or dumbed down in order not to offend the sensibilities of the mainstream. It is unabashedly – dare I say in  these reactionary times – ultra-liberal and proud of it. President Bartlet and his staff represent the spirit, courage, depth and imagination that many (but obviously not all) faithful Americans feel this country was founded on: a spirit that they would like to see in their political candidates, but rarely find anymore. It is the stuff of dreams.“

Es ist sicherlich nicht verwunderlich, daß eine so konzipierte explizit politische Serie wegen eben dieser Ausrichtung in konservativen Kreisen in den USA sehr umstritten ist; einige wahrhaft reaktionäre Politiker starteten – jedoch ohne Erfolg – sogar Kampagnen zu einem Verbot der Serie als “unpatriotisch” und “moralisch verwerflich”. Ähnlich wie bei „Boston Legal“ mußten sich die Drehbuchautoren für die Äußerungen ihrer Figuren zu den Themen Abtreibung, Kriegswirtschaft und Todesstrafe verantworten und gingen zum Glück gestärkt aus den Auseinandersetzungen hervor. Das alles macht die Serie für uns nur noch reizvoller.

Die Darsteller, zum Teil identisch mit denen aus „The American President”, liefern durch die Bank eine großartige schauspielerische Leistung, allen voran Martin Sheen als demokratischer Präsident Josiah „Jed“ Bartlet. Da es aber stets auch um den gesamten Beraterstab geht, steht die Figur des Präsidenten nicht zwingend im Mittelpunkt, was auch den anderen Charakteren Raum zur Entfaltung läßt. Beim ersten Schauen gewinnt man den Eindruck, daß die Mitarbeiter des amerikanischen Präsidenten hauptsächlich in den Fluren des Weißen Hauses herumspazieren und witzige und geistreiche Dialoge führen, stets von der schnellen Kameraführung umrundet wie von einem quirligen Hündchen. Wenn man sich daran gewöhnt hat, ist der Sog, der den Zuschauer in die jeweiligen Episoden zieht, nicht mehr zu ignorieren, und man läßt sich gerne fallen. Die Mischung aus Schärfe und Pointiertheit, Humor und Drama, Tempo und Wortwitz ist einfach unwiderstehlich. Manchmal schwappt ein gewisser maßloser Intellektualismus über, aber er ist – und auch das ist ähnlich wie bei „Boston Legal“ und „House“ – ironisch gebrochen und letzten Endes purer Genuß.

„The West Wing” ist ein Juwel in der Serienlandschaft. Wer die Gelegenheit hat, eine Folge davon zu sehen, sollte sich die nicht entgehen lassen!

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