Eine sanfte filmische Heiligsprechung

Hendrik kommt aus „Albert Schweitzer – ein Leben für Afrika“

Recht entspannt verlassen wir das Kino nach der Betrachtung von Gavin Millars Spielfilmwürdigung des Elsässer Theologen, Philosophen, Musikers und Arztes Albert Schweitzer.

Der Film erzählt nicht Schweitzers Leben, sondern konzentriert sich mit  Ausnahme nur weniger kurzer Rückblenden pars pro toto auf nur wenige Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs, als Schweitzer bereits um die 70 und durch sein unermüdliches, jahrzehntelanges Wirken als Arzt in dem von ihm begründeten „Lambaréné“-Hospital in Gabun weltberühmt geworden ist. Er unternimmt gemeinsam mit seiner Frau Helene eine Reise in die U.S.A., um Berufskollegen zu treffen, Vorträge zu halten, Orgelkonzerte und Interviews zu geben und damit Spendengelder für seine Arbeit aufzutreiben. Dort ist die Zeit des Kalten Krieges und der inquisitorischen Paranoia der McCarthy-Ära.

Schweitzer trifft mit seinem langjährigen Freund Albert Einstein zusammen. Dieser bittet ihn um offizielle Befürwortung seiner und J.R. Oppenheimers Kampagne gegen die Weiterentwicklung der H-Bombe, was diesen bereits den Hetzvorwurf der „unamerikanischen Umtriebe“ eingetragen hat. Schweitzer versagt ihm bedauernd seine Unterstützung, weil er befürchtet, damit seine Spendenquellen zu gefährden. Aber bereits die privat geäußerten  Sympathien für die Kampagne genügen der CIA, gegen Schweitzer und sein Hospital in Gabun vorzugehen. Gabun selbst ist außerdem gerade dabei, seinen politischen Weg aus der kolonialen Abhängigkeit heraus in die Selbständigkeit zu finden, und die Hilfe Außenstehender (und sei es auch humanitäre Hilfe) wird dort plötzlich ebenfalls wesentlich kritischer gesehen.

Der Spielfilm beansprucht eine Authentizität, die ich ihm en gros abnehme, ohne sie im Detail bekritteln zu wollen: Einstein und Schweitzer scheinen sich zwar gekannt zu haben, sind aber höchstwahrscheinlich nach dem Krieg nicht wieder zusammengetroffen; die Figur des CIA-Agenten Figgis ist wohl auch eher dramaturgische Verdeutlichung als historisch bestätigt. Wie bei allen biopics kann man diese für den Zuschauer oft erst einmal unauflösbare Vermischung zum Schwachpunkt erklären; mich stört sie hier nicht.

Millar zeigt Schweitzer (unspektakulär dargestellt von einem mir zuvor weitgehend unerinnerlichen Jeroen Krabbé) als einen fast unermüdlichen und bewundernswerten Philanthropen, was um so glaubwürdiger wirkt, weil er auch die Schattenseiten dieser kompromisslosen Selbstaufopferung nicht verschweigt: Schweitzer ist einfach viel zu beschäftigt, um sich viel um seine eigene Familie kümmern zu können, und seine kränkelnde Frau Helene (sehr beeindruckend: Barbara Hershey) verlangt sich ihm zuliebe mehr ab, als sie eigentlich zu verkraften vermag. Schweitzers Tochter fasst das an einer Stelle zusammen, als sie (sinngemäß) sagt: ‚Wer alle liebt, dem mag die Liebe zu Einzelnen schwerfallen‘. Das Gespräch, das Schweitzer daraufhin mit einer seiner Helferinnen über die Frage hat, welche besondere Liebe Jesus, der ebenfalls alle Menschen geliebt habe, dann noch für seine Eltern habe ‚erübrigen‘ können, erschien mir wie ein mögliches Zitat aus Aufzeichnungen.

Das Filmportrait endet mit der Verleihung des Friedensnobelpreises 1952 und Schweitzers Dankesrede, in welcher er sich nunmehr offen zu seiner Ablehnung jeglicher weiterer nuklearer Aufrüstung bekennt. Durchaus ergreifend blendet der Film dann über die Köpfe der stillen Zuhörerschaft hinweg leise aus. Und er hinterlässt die offene Frage, ob Schweitzers Beispiel irgendeinem der unsichtbaren Machtinhaber im Hintergrund tatsächlich etwas beizubringen vermochte, oder ob es sich einfach als zunehmend unpopulär erwiesen hat, einem so berühmten Menschenfreund Steine in den Weg zu legen.

Zu Millars Film ist sonst wenig zu sagen: unaufgeregt umgesetzt, kompetent besetzt (wobei mir Barbara Hershey und auch Armin Rohde als ebenfalls bereits 70-jähriger Albert Einstein sehr positiv auffielen), angemessen schlicht und so ausgewogen wie das Leben selbst. Unbedingte Guckempfehlung für diese differenzierte, wohl nicht übertrieben beweihräuchernde filmische Heiligsprechung.

Nachgedanke:
Zurück bleibt meinerseits die wieder wachgerufene Bewunderung für einen wirklich großen Menschen und zugleich ein leises Bedauern darüber, dass ich im immerhin gut halbvollen Kino mit meinen 42 Jahren schon einer der Jüngsten war. In irgendeinem der größeren Säle nebenan tobt die Farbenschlacht von „Avatar – Aufbruch nach Pandora“, die Schweitzers Motto ‚Ehrfurcht vor dem Leben‘ auf eine völlig andere Art (zumindest mit)transportiert. Nachdem ich mich kürzlich über dessen für mein Empfinden arg holzschnittartig geratenen Plot geärgert hatte, kommt mir jetzt der Gedanke, dass womöglich jede Generation die einfachen Großen Botschaften in ihrer gänzlich eigenen Form vermittelt bekommen muss, und ich für ‚Avatar‘ neulich einfach zu erwachsen drauf war. Aber letzten Endes ist es wohl gar nicht so wichtig, wann wir das Wichtige begreifen, solange wir es nicht zu spät begreifen, und vor allem: solange wir es überhaupt irgendwann begreifen.
Im Foyer begegnen die ‚Albert Schweitzer‘- den ‚Avatar‘-Guckern einander wieder. Hallt in dem/der ein und anderen davon gerade das Bewusstsein der ‚Ehrfurcht vor dem Leben‘ neu nach? Falls ja, soll mir doch völlig egal sein, aufgrund welchen Films (wobei ich meine Zweifel habe, ob das auch mit ‚Saw VI‘ funktioniert…).

Schweitzers Vortragsrede anlässlich der Nobelpreisrede ist im Übrigen auch heute noch lesenswert. Hier ist sie auf englisch.

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