„Snuff“ – Vom Adel im Angesicht des Todes: Sir Samuel Vimes

Das Leben, das Schreiben und der Tod – Hendrik über Terry Pratchett. Heute spricht er über den neuen Roman „Snuff“.

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SNUFF (2011)
Wer Terry Pratchett kennt, wird vermutlich auch Samuel kennen, Verzeihung: SIR Samuel, ehemals Commander Samuel Vimes, amtierender Chef der Stadtwache von Ankh-Morpork und durch Heirat mittlerweile einer der reichsten Männer der geruchsintensiven Scheibenweltmetropole. Wer Samuel Vimes nicht kennt, der stellt ihn sich am besten als von Clint Eastwood mit Mitte 50 verkörpert vor – ein beinharter Cop der alten Schule, der immer noch daran gewöhnt ist, Herrenhäuser durch den Kücheneingang zu betreten. Sam Vimes ist eine der beliebtesten Figuren jenes Halbdutzends Scheibenwelt-Romane, in denen die Stadtwache im Mittelpunkt steht, und die eine der gelungensten Verschmelzungen aus Fantasy und Krimi sind.

Sam Vimes macht mit seiner kleinen Familie Ferien auf dem Lande und hat von der einzigen Autorität, die er in solchen Dingen anerkennt (nein, nicht Lord Vetinari, sondern seine Frau Sibyl), absolute Ruhe und Erholung und Spaß mit seinem kleinen Sohn verordnet bekommen.

Aber – so Sams in der Regel zutreffende Philosophie – wo Menschen leben, lebt auch das Verbrechen, und während Young Sam eine kleinkindliche Leidenschaft für Hasenköddel und andere tierische Hinterlassenschaften entwickelt, stößt Sam Vimes sehr bald auf ganz anderen Unrat, und damit sind natürlich nicht die Goblins gemeint, die auf der Scheibenwelt zu den Unteren der Unteren gehören, sondern eher das, was gewisse Leute mit ihnen anstellen. Mehr sei hier dazu nicht verraten.

Da dieser Roman nur mit einem Nebenhandlungsstrang in Ankh-Morpork spielt, tauchen die bei den Stadtromanen Pratchetts erwarteten Figuren – Sergeant Colon, Corporal Nobbs etc. – praktisch nur am Rande auf; Snuff ist zum größten Teil ein Vimes-Soloroman. Zum Trost wird die ein und andere neue Figur eingeführt bzw. ausgebaut, insbesondere Vimes‘ Kammerdiener und Teilzeitleibwächter Willikins kommt zu unerwarteten Ehren. Das macht den Roman nicht besser oder schlechter, aber anders; es mag höchstens den etwas enttäuschen, der speziell fasziniert ist vom Schauplatz Ankh-Morpork.

„Snuff“ gefällt mir persönlich besser als alles, was jemals das Haus Rowling verlassen hat (ja, so was muss man sagen dürfen), aber es ist ganz klar nicht der beste der über dreißig Scheibenwelt-Romane. Woran liegt das? Vielleicht an der etwas fehlenden Eleganz und Leichtigkeit des Fabulierens und der etwas holprigen Storyentwicklung – oder kommt mir das nur so vor, weil man beim paarunddreißigsten Roman einer Reihe solche Serienschwächen irgendwie ein wenig erwartet? Weil ich die Vorgänger zu gut kenne und daher die gelegentlichen Selbstzitate erkenne? Weil ich bei der Lektüre bereits etwas darüber wusste, wie der Roman entstanden ist?

Keine Bange: Wie fast ziemlich jede andere Veröffentlichung Terry Pratchetts kann man den Roman unbesehen kaufen in der sicheren Gewissheit, ein oder zwei sehr angenehm auf hohem Niveau verkicherte Abende zu verbringen. „Snuff“ ist vor allem ein guter Roman, weil sein Held ein gut entwickelter Charakter ist – und zwar keiner von der langweiligen Sorte, dem Böses nie in den Sinn kommt, sondern einer von der Art, der täglich mit der Dunkelheit in sich ringt und nie sicher ist, ob diese nicht doch eines Tages siegt. Und der Roman ist gut, weil Pratchett so lebendig aus der Sicht seiner Figuren beschreibt, z.B. Vimes‘ erste Auseinandersetzung mit dem Landleben:

„The place was officially called Crundells, although it was always referred to as Ramkin Hall. Apparently it had a mile of trout stream and, Vimes seemed to recall from the deeds, a pub. Vimes knew how you could own a pub but he wondered how you could own a trout stream because, if that was your bit, it had already gurgled off downstream while you were watching it, yes? That meant somebody else was now fishing in your water, the bastard! And the bit in front of you had recently belonged to the bloke upstream; that bloated plutocrat of a fat neighbour now probably considered you some kind of poacher, that other bastard! And the fish swam everywhere, didn’t they? How did you know which ones were yours? Perhaps they were branded – that sounded very countryside to Vimes. To be in the countryside you had to be permanently on the defensive; quite the opposite of the city.“ “ [p. 16]

Zugleich ist „Snuff“ mit ziemlicher Sicherheit der am härtesten erkämpfte Roman des Briten, und das führt mich zur zweiten, definitiv ziemlich anderen neueren Veröffentlichung Pratchetts namens „Choosing to die“. Aber dazu morgen mehr.

„Snuff“ ist bislang erst im englischsprachigen Original erschienen, und ich wage wieder nicht daran zu denken, was die deutsche Übersetzung daraus machen mag (beginnend beim Titel).

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