Von Wolken und Bergen

Neue Nachtlektüre: Thomas liest „Der Algebraist“.
Ich habe lange gewartet – auf den neuen Roman von Iain Banks. Und er bringt mich in eine neue Welt: Die Lebensformen in der Galaxis gehören zu den langsamen oder den schnellen Völkern. Die Langsamen entwickeln sich über Jahrmillionen – sie werden so alt, dass sie nach den Maßstäben der Menschen unsterblich scheinen.

Die Menschen und die anderen Schnellen sind nur ein Aufblitzen – ihr Streit und ihre Sorgen interessieren nicht. Einer der uralten Dweller erklärt, die Langsamen seien wie die Berge und die Schnellen wie die Wolken. Die Wolken kommen und gehen ohne Unterlass und sie bringen den Regen, der am Ende die Berge ins Meer spülen wird. Ein schönes Bild.

Das ist allerdings ganz offensichtlich nicht die Galaxis der „Kultur“, die wir aus Banks Romanen kennen. Schlechte Nachrichten. Aber – und das ist die gute Nachricht – Banks stößt uns wieder die Tür auf in eine völlig neue Welt, mit exotischen Lebewesen, noch nie gedachten Zivilisationen und ganz vertrauten Konflikten. Es geht wieder um Macht und um Moral. Und das heißt: Es gibt Krieg.

In diesen Krieg wird Fassin Taak verwickelt. Er entdeckt durch Zufall bei seinen Reisen zu den Dwellern, die in Gasriesenplaneten leben, einen Hinweis auf eine Liste mit Wurmlöchern. Wer über die Koordinaten verfügt, hat die Kontrolle über die Galaxis. Erst durch die Verbindung zu anderen Welten findet eine Zivilisation ihren Platz:

„Es war eine Binsenweisheit, dass alle Zivilisationen im Grunde solange neurotisch waren, bis sie die Verbindung zu anderen Mitlebewesen hergestellt und ihren Platz innerhalb der in ständigem Wandel befindlichen Metazivilisation gefunden hatten. Solange die Sologesellschaften aufrichtig daran glaubten, allein im Universum zu sein, neigten sie dazu, ihre eigene Bedeutung zu überschätzen, und wurden zugleich angesichts der schieren Größe und vermeintlichen Leere des Alls von existenziellen Ängsten beherrscht.“

Die Gerüchte über die so genannten „Dweller-Liste“ rufen den Archimandrit auf den Plan. Der Anführer des Hungerleiderkultes ist ein Schurke von Shakespearschen Ausmaßen, gesegnet mit einer Grausamkeit von epochalen Dimensionen – daran lässt Banks in drastischen Details nicht den Hauch eines Zweifels.

Fassin wird unversehens zum Jäger des verlorenen Schatzes und sofort auch zum Gejagten. Ein spannendes Roadmovie, eine unterhaltsame Space Opera mit beeindruckenden, komplexen Charakteren und politischen Dimensionen und wenn Banks über die Zivilisation der Merkatoria spricht, dann redet er natürlich von uns:

„Sie müssen doch wissen, wie eine Gesellschaft funktioniert. […] Es geht nur mit Druck, mit Macht, mit Zwang. Die Leute benehmen sich nicht deshalb gut, weil sie nett sind. […] Die Leute benehmen sich gut, weil sie sonst bestraft werden. […] Gesellschaft bedeutet Kontrolle: Kontrolle bedeutet Strafe und Belohnung.“

Banks eigenwillige Szenarien und sein Spiel mit den verwirrenden Handlungssträngen sind nicht jedermanns Sache. Meine schon. Nach einer intelligenten und mitunter ironischen, 800-seitigen Tour de force durch Krieg und Spiel, Gewalt, Schuld und verblüffenden Überraschungen, muss ich – und das ist die letzte schlechte Nachricht für heute – jetzt wieder warten. Bis sich eine neue Tür öffnet in die faszinierenden, erschreckenden und abenteuerlichen Welten des Iain Banks.
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