Folge 855
Hendrik und Thomas nähern sich an Kurosawas JOURNEY TO THE SHORE an
Länge: 18:56
Die Auswahl des erwartungsgemäß ausverkauften Eröffnungsfilmes des 16. Nippon Connection Filmfestivals stand sicherlich in enger Verbindung mit der Verleihung des diesjährigen Nippon Honor Awards an dessen Regisseur Kiyoshi Kurosawa. In dessen kurzer Dankesrede vor Filmbeginn verglich Kurosawa sein Filmschaffen mit der Stadt Frankfurt selbst – in beiden Fällen habe es offenkundig keinen perfekt funktionierenden Masterplan gegeben, der immer ermöglicht habe, das umzusetzen, was man habe schaffen wollen, sondern man habe jeweils das getan, was möglich gewesen sei; das sei der Grund, aus dem sich seine Filmographie so uneinheitlich darstelle.
Entsprechend neugierig durfte das Publikum auf den bereits in Cannes ausgezeichneten Film „Journey to the Shore“ sein. Wer einen nun einen eingängigen oder bequemen Einstieg in die Welten des japanischen Filmes erwartet hatte, musste sich (so einige aufgeschnappte Publikumskommentare) von diesem vielschichtigen Drama eines Eigenwilligeren belehren lassen.
Yusuke, der Ehemann der Klavierlehrerin Mizuki ist einige Jahre vor Beginn der Filmhandlung verschwunden. Unvermittelt steht er nun wieder in ihrer Wohnung und bittet sie, ihn auf eine Reise zu begleiten. Das Paar begibt sich auf eine Fahrt zu früheren Stationen seines Lebens, und Mizuke taucht ein in eine rätselhafte, alles hinterfragende Reise durch Trauer, Erinnern, Schuld und Vergeben. Nicht alle Menschen, denen sie begegnet, sind noch am Leben, jedoch sind auch die Toten mit ihrer Existenz noch nicht am Ende, sind zurückgekehrt, weil noch Fragen offen und lose Fäden aus ihrem Leben zu verweben sind.
Im Podcast reden wir darüber, warum es womöglich gar nicht so schlecht ist, dass hier keine unserer etablierten Erklärroutinen (z.B. „Aha, das ist alles Mizukis Innenwelt“) funktionieren wollte, und mit welchen Mitteln aus seinem reichhaltigen Repertoire uns Kurosawa virtuos durch diese Welt führt, in der das Geheimnisvolle das Besondere ist – und auch bleibt, weil zuletzt längst nicht alles auserklärt ist. Ein schwieriger, kompromissloser, zärtlicher und beeindruckender Film, der lange nachhallt.
Text und Podcast stehen unter der Creative Commons-Lizenz BY-NC-ND 4.0
Quelle: SchönerDenken (Direkter Download der Episode über rechte Maustaste)
Japan 2015, 128 Min., Regie: Kiyoshi KUROSAWA