“Verlassen Sie sofort meine Sammlung!”
Bücher, Filme, Musik, die wir auf keinen Fall behalten wollen.
Hendrik sortiert Adam Roberts‘ Sternensturm aus
Naja, ich war ja eigentlich gewarnt. Ein guter Bekannter hatte mir das Buch in die Hand gedrückt, nachdem er die Lektüre abgebrochen hatte. Besonders hätten ihn, so meinte er, die schlecht gezeichneten, blutleeren Figuren geärgert, denen es an keiner Stelle gelungen wäre, auch nur ein bisschen lebendig zu wirken; dabei sei die Idee sehr vielversprechend gewesen.
Ich gab dem Buch also eine Chance, denn manchmal – nur manchmal – ist mir die Idee eines guten SF-Romans wichtiger als die Besetzungsliste. Hal Clements Schwerkaft-Zyklus oder Robert L. Forwards Cheela-Romane habe ich seinerzeit auch nicht (na gut, nicht in erster Linie) wegen der tollen Charaktere schätzen gelernt, sondern wegen des faszinierenden physikalischen Exotismus. Und in dieser Tradition versucht sich auch Adam Roberts‘ Roman „Sternensturm“, der im Original nach seiner Hauptfigur „Polystom“ heißt. Dass der reißerische deutsche Titel mit dem Inhalt keinen irgends nachvollziehbaren Zusammenhang aufzuweisen vermag, kann und will ich dem Autor nicht vorwerfen, auch nicht, dass das Heyne-Cover nicht im Geringsten zum Inhalt passt. Aber dass er seine eigene so vielversprechende Idee so gründlich versemmelt hat, das schon.
Es erinnert im ersten Moment etwas an Altmeister Bob Shaws unterhaltsamen Science Fantasy-Zyklus um die Hölzernen Raumschiffe, wo ebenfalls die Lücke zwischen zwei benachbarten Planeten so schmal ist, dass die Raumfahrt nur einen sehr kleinen Schritt von der Luftfahrt entfernt stattzufinden vermag. In Roberts‘ Universum stehen die Planeten still, und sie sind auch nicht durch gigantische Entfernungen und Vakuum voneinander getrennt, sondern schweben relativ dicht in dünner Luft nebeneinander. Schon längst hat hier der Mensch gelernt, mit Flugzeugen und Luftschiffen von Planet zu Planet zu reisen.
Obwohl diese physikalische Unmöglichkeit Leitmotiv des Romans sein soll, schickt der Autor uns zunächst auf einen sehr weiten Umweg. Erzählt wird die Lebensgeschichte des reichen adligen Erben Polystom, der zugleich Neffe und Vertrauter des in dieser Zivilisation hochgeachteten Denkers und Forschers Kleonikles ist. Polystom besteht auf einer anderen als der für ihn vorgesehenen Heirat, was sich rasch als großer Fehler erweist, denn das Mädchen Beeswing, in das er sich verliebt hat, ist zu freiheitsliebend, um sich ihm so zu ergeben, wie Polystom sich das wünscht, und so wird er letztendlich zu ihrem Gefängniswärter. Beeswing stirbt unter rätselhaften Umständen. Einige Zeit später, Polystom hat mittlerweile sein Erbe angetreten, wird sein berühmter Onkel ermordet, es kommt zu einer grausamen Hinrichtung der vermeintlichen Täter, und als Folge all dessen beschließt Polystom, eine Privatarmee auszuheben und sie in den Dienst eines Krieges auf einer abgelegenen Sumpfwelt zu stellen.
In den Wirren dieses Krieges kommt dann irgendwann im Schlamm der Seite 370 oder so Roberts wieder auf sein eigentliches Thema zu sprechen. Bis dahin habe ich, ich kann es nicht anders sagen, den Weg seiner Hauptfiguren mit einer Art ungeduldiger Antipathie verfolgt. Polystom, Kleonikles und so ziemlich alle anderen Figuren erweisen sich nicht nur als reichlich unsympathische Handlungsträger, sondern auch als Figuren ohne nachvollziehbare Motive. Wer ist Polystom? Was treibt ihn eigentlich an? Tut mir leid, aber ein Erzähler, dem es nicht gelingt, mir das nahezubringen, hat für mich in einer der Königsdisziplinen des Schreibens versagt. Der junge Mann ist leider auch nicht auf reizvolle Weise abstoßend, was ja ebenfalls Lesefaszination auslösen kann, wenn der Autor sein Metier beherrscht (man denke mal an die Hauptfigur aus Süskinds „Das Parfum“). Aber hier bin ich nicht einmal sicher, ob die Antipathie, welche in mir geweckt wird, überhaupt Roberts‘ Absicht ist.
Polystom begegnet auf dem Schlachtfeld einer geisterartigen Erscheinung seines Onkels, der ihm u.a. erzählt, er habe an der Simulation eines Universums gearbeitet, das auf völlig anderen Gesetzen aufbaut (und natürlich hat diese Simulation verblüffende Ähnlichkeit mit unserem Universum). Er habe diese Simulation stabilisiert und bevölkert, und mittlerweile sei die Simulation komplexer als die Realität…
Auf die wenigen Seiten eines Dialoges fast am Schluss des Romans komprimiert entwickelt Roberts ein durchaus interessantes Spiel der Wechselwirkung von Realitätsebenen. Was hierbei nicht funktioniert ist der Versuch, Teile des langen erzählerischen Hinwegs zu diesem Punkt (z.B. den rätselhaften Tod Beeswings) rückwirkend damit zu verknüpfen. Das wirkt aufgepropft und ähnlich affektiert wie die pseudoantiken Namen oder die eingebauten Sollbruchstellen der Erzählung, die ihn wirken lassen sollen wie ein historisches Textfragment. Die Idee ist gut, sie schafft jedoch nicht den Schritt von der intellektuellen Blaupause zur lebendigen Fiktion und steht damit ebenso starr wie die Planeten in der dünnen Luft des Polystom’schen Universums.
Den begeisterten Stimmen zum Buch, die auf dem Cover abgedruckt werden, kann ich absolut nicht zustimmen und habe den Eindruck, die haben ein anderes Buch gelesen – die beiden anderen zuvor bei Heyne veröffentlichen Romane des Autoren mögen z.B. besser sein. Ich glaube aber nicht, dass ich das je rausfinden werde, denn in diese einen Blick zu werfen, dazu hat mich der „Sternensturm“ nicht verleitet. Während ich sehr gute, gute und manchmal aus verschiedenen Gründen auch durchschnittliche Lektüren in meiner Sammlung behalte, wandert dieser Band umgehend in die Kiste des Aussortierten. Schade. Manche Ideen scheitern halt an ihren Schöpfern.