Comic goes West: Der Kurator Alexander Braun über den Wilden Westen im Comic (Teil Eins)

Rauchende Colts, donnernde Hufe, weite Prärie – der Mythos des Wilden Westen hat die Popkultur geprägt wie kaum ein anderer. Wie der Western den Comic eroberte, zeigt die Ausstellung „Going West! Der Blick des Comics Richtung Westen“ bis 26. April im Bilderbuchmuseum Burg Wissem der Stadt Troisdorf. Kurator Alexander Braun ist Künstler, Kunsthistoriker und Sammler. Barbara Buchholz sprach mit ihm über Klischees von Cowboys und Indianern, Westernfilme und den Stellenwert von Comics in der Kunstgeschichte.

Floyd Gottfredson (1905–1986): Mickey Mouse (im Comic ab 1930). Sonntagsseite des Sunday Mirror vom 23. April 1933 (Privatsammlung, © Disney)

Floyd Gottfredson (1905–1986): Mickey Mouse (im Comic ab 1930). Sonntagsseite des Sunday Mirror vom 23. April 1933 (Privatsammlung, © Disney)

Barbara Buchholz: Welchen Bezug haben Sie zum Western-Genre?

Alexander Braun: Ich habe die Western-Kultur so wahrgenommen wie viele meines Jahrgangs. Als Kinder haben wir „Bonanza“ geguckt und, wer alt genug war, samstagabends die Westernschiene im TV nach 22.00 Uhr. Als Ausstellungsidee hat mich das Thema eher durchs Reisen gepackt. Über die Jahre habe ich gestaunt, für wie viele Comic-Künstler die Landschaften im Westen der USA Bedeutung hatten, und damit meine ich gerade nicht die, die die klassischen Klischees des Genres bedienten. Das war ein Schlüsselerlebnis. Die Ausstellung sollte dem Rechnung tragen. Nicht zu viele Cowboy- und Indianer-Klischees, sondern lieber eine authentische Annäherung.

A. T. „Crite“ Crichton (Lebensdaten unbekannt): Little Growling Bird in Windego Land (1906–1907). Sonntagsseite des Baltimore American vom 9. September 1906, Detail (Privatsammlung)

A. T. „Crite“ Crichton (Lebensdaten unbekannt): Little Growling Bird in Windego Land (1906–1907). Sonntagsseite des Baltimore American vom 9. September 1906, Detail (Privatsammlung)

BB: Hat sich Ihr Western-Bild während der Recherche für die Ausstellung geändert?

Die Ausstellung ist bist zum 26. April im Bilderbuchmuseum in Troisdorf zu sehen.

AB: Nicht geändert, aber es haben sich viele Aspekte aufgetan, die ich verblüffend fand. Etwa bei George Herrimans Serie „Krazy Kat“. Mir war selbstverständlich der Schauplatz in der Wüste vertraut, die Tafelberge, die Weite der Wüste, Kakteen und indianische Kultur. Aber mir war nicht bewusst, dass Herriman so oft real in die westlichen Wüsten gereist ist, dass das Erleben der Landschaft ein so wichtiger Motor für seine dadaistische und existenzialistische Comicarbeit gewesen ist. Diese menschenleeren Gegenden, die immer schon da gewesen sind – bevor wir Menschen kamen –, und die noch da sein werden, wenn es uns nicht mehr gibt. Das ist eine tief berührende Dimension, die für Herriman prägend war.

George Herriman (1880–1944): Krazy Kat (1913–1944). Sonntagsseite vom 6. Februar 1938 (Privatsammlung)

George Herriman (1880–1944): Krazy Kat (1913–1944). Sonntagsseite vom 6. Februar 1938 (Privatsammlung)

Spannend war es darüber hinaus herauszuarbeiten, dass der amerikanische Blick auf den Westen ein anderer ist als der europäische. Dass andererseits aber auch ein starker kultureller Austausch stattgefunden hat, der andere Perspektiven eröffnete. Der „Lucky Luke“-Zeichner Morris zum Beispiel lebte sechs Jahre in Amerika und hat dort das Fundament seiner satirischen Arbeit gelegt. Zum einen, weil er an Recherchematerialien herankam, die von Belgien aus kaum zu beschaffen waren, zum anderen aber auch, weil er sich mit den US-Kollegen vom MAD-Magazin anfreundete.

Morris (d.i. Maurice de Bevere, 1923–2001): Lucky Luke (seit 1946). Cover des Spirou-Magazins, Dezember 1963 (Privatsammlung, © Lucky Production)

Morris (d.i. Maurice de Bevere, 1923–2001): Lucky Luke (seit 1946). Cover des Spirou-Magazins, Dezember 1963 (Privatsammlung, © Lucky Production)

BB: Das Western-Genre spielt ja im Film eine große Rolle – wie haben sich Film und Comic beeinflusst?

AB: Das ist ein anderer Aspekt, der superspannend ist. Film und Comic entstehen ungefähr zur gleichen Zeit, etwa um 1896/97. Der Film kämpfte aber noch einige Jahre mit seinen limitierten technischen Bedingungen. Er war zunächst nicht für ein großes Publikum konfektioniert – kam aber schon sehr schnell zum Thema Western. Der erste Spielfilm mit dramaturgischer Handlung überhaupt ist ein Western: „Der große Eisenbahnraub“ von 1903. Im Comic erscheint der Western als eigenes Genre dagegen erst in den späten zwanziger Jahren – abgesehen von einigen sporadischen Beispielen, bei denen Comiczeichner aus persönlichen Gründen am Westen interessiert waren. Für mich war eine der Schlüsselfragen: Wieso lässt der Comic, insbesondere der amerikanische, sich so viel Zeit mit Western, wo das Thema doch in Pulp-Romanen und im Film die Medienlandschaft massiv prägte?

Die Lösung ist relativ einfach: Der Comic war in dieser Zeit viel mächtiger als die anderen Kunstformen. Während Film vor ein paar Dutzend ausgewählten Zuschauern stattfand, hatte der Comic jeden Tag ein Millionenpublikum. Und weil er mit seinen eigenen Themen so erfolgreich war, musste er sich keine neuen erschließen. Erst als der Film in den 1920er Jahren mächtig wurde, weil er mittlerweile technisch in ganz andere Dimensionen vorgestoßen war, musste der Comic sich nach neuen, attraktiven Inhalten umsehen, um marktfähig zu bleiben. Da kam er eben auf den Western, so wie später auch auf Science Fiction. Die Diversifizierung von Themen fand also erst statt, als der Comic nicht mehr das unangefochtene Führungsmedium war und sich stärker dem Wettbewerb stellen musste.

BB: Sie besitzen eine Sammlung originaler Comicseiten – wann haben Sie Ihre Ader für Comics entdeckt?

AB: Ich habe das Glück, in einem Elternhaus groß geworden zu sein, in dem Comics nicht gebrandmarkt wurden. Ich durfte meine Alben und meine Hefte sammeln, hegen und pflegen. Nach dem Abitur habe ich dann Kunst und Kunstgeschichte studiert und bin Künstler geworden. Dabei fand ich es bei aller Begeisterung für die zeitgenössische Kunst unglaublich traurig festzustellen, dass der Comic von der Kunstgeschichte nicht wahrgenommen wurde: Leute wie Winsor McCay waren Avantgardisten, auf der Höhe ihrer Zeit, oder Herrimans „Krazy Kat“, das ist ein unglaubliches Ding, was da ab den 1910er Jahren passierte. Zu meiner Zeit wurde viel von Postmoderne und ähnlichem geredet und ich vermisste dann immer diesen offenen Blick für die Nachbardisziplinen.

Man sollte doch bitte analysieren, ob Erhaltenswertes in einem Kunstwerk steckt – aber nicht bestimmte Gattungen per se ausschließen. Ich kann doch nicht jede Telefonkritzelei von Picasso für wichtig erklären, nur weil sie ein bildender Künstler gemacht hat, aber jede unglaublich tolle Arbeit von einem Comickünstler unbeachtet lassen, nur weil das Label Comic draufklebt. Das hat mich dazu bewogen, zu sammeln, also zu retten, was zu retten ist. Die Institutionen tun es nicht, deswegen muss es die private Hand leisten. Und bald darauf begann ich dann über Comics zu reden und sie auszustellen. Man muss die Leute teilhaben lassen, ihnen zeigen: Das ist hoch relevant für uns, die wir in Zeiten leben, die mit Text und Bild simultan agieren. Das Internet ist nichts anderes als eine simultane Text-und-Bild-Kommunikation. Und das beginnt eben im späten 19. Jahrhundert mit dem Comic.


Lesen Sie den zweiten Teils des Interviews mit Alexander Braun
am Donnerstag, 19. März 2015.


Weitere Termine der Ausstellung „Going West!“

  • Museum für Kunst und Kulturgeschichte Dortmund: 3. Mai bis 19. Juli 2015
  • Wilhelm-Busch-Museum Hannover: Oktober 2015 bis Februar 2016
  • Deutsches Zeitungsmuseum Wadgassen bei Saarbrücken: April bis Juni 2016

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