Blogparade: Darum lieben wir Kino

Prolog:

ZEIT: „Wofür brauchen wir Kino?“
Tilda Swinton: „Um gemeinsam im Dunkeln zu sitzen.“

Als Nicole für uns ihre ganz persönliche Liebeserklärung ans Kino schrieb, war mir sofort klar: Das ist natürlich eine Blogparade. Bis zum 1. März konnte sich jeder in Kommentaren oder im eigenen Blog daran beteiligen. Leider etwas verspätet kommt hier unsere Auswertung, die Parade der Beiträge: Die erste Reaktion kam von einem Blog mit sieben „ui“. Der Autor (Ich glaube, es handelt sich um Manuel Wolff) regt sich zurecht über Werbung im Kino auf und beschreibt die Wirkung der Kinogöttinnen auf die männlichen Zuschauer – ich zitiere den wunderbaren Anfang:

„Gestern Abend war ich im Kino. Da ich schon seit langer, langer Zeit nicht mehr im Kino war und über das aktuelle Programm überhaupt nicht informiert bin, ließ ich mir von einem Freund Filme empfehlen. Sein erster Vorschlag war Woody Allens “Match Point”. Vor allem die Darstellerin Scarlett Johansson (die ich nur vom Namen her kenne) hat es ihm angetan. Er sagte, dass er zwar eine tolle Freundin habe, aber dass wenn in diesem Augenblick Scarlett Johansson durch die Tür kommen würde, auf ihn zugehen würde und ihm sagen würde: “Nimm mich!”, dass er dann und nur dann seine Freundin sofort verlassen würde. Nun, die Situation ist aus verschiedenen Gründen nur hypothetisch, denn
– die Tür war zu dem Zeitpunkt abgeschlossen
– Scarlett Johansson kann kein deutsch und hat keine Ahnung was “Nimm mich!” heißt
– und selbst wenn das so wäre, würde sie das nicht zu dem Freund sagen. Nicht, wenn ich daneben stehe.

Das alles außer Acht lassend, fragte ich ihn:
“Hast Du das denn schon Deiner Freundin gesagt?”
“Ja.”
“Und ist es noch Deine Freundin?”
“Ja. Bei jeder anderen Frau, wäre dann die Hölle los, aber sie hat den Film auch gesehen und stimmte mir absolut zu.”
Also beglückwünschte ich ihn. Dann fragte ich nach der Telefonnummer seiner Freundin.“

Hier kann man den ganzen Beitrag nachlesen.

Der nächste Beitrag stammt von film-blogbuster.de und erklärt sehr schön, wie man im Kino in eine fremde Welt eintauchen kann, der ganzen Informationsüberflutung entkommt und sich zwei Stunden nur auf eine Sache konzentriert. Ein Gefühl, dass wir alle nur zu gut nachvollziehen können. Hier ein Zitat:

„Es gibt nur noch wenige Orte auf der Welt, an denen man sich so ganz und gar seinen Träumen und Gefühlen hingeben kann, wie auf einem dunklen Kinosessel zwischen vielen anderen. Es ist das herrliche Gefühl, in eine Welt eintauchen zu können, die einem sonst verschlossen ist. Der Kinosessel ist dabei ein sicheres Cockpit und die Dunkelheit der stumme Vertraute, mit denen man alle Reisen in ferne Länder und Welten, Reisen in die Vergangenheit oder in die Zukunft, Reisen in die Gefühle und Gedanken anderer Personen intensiv erleben und genießen kann. (…) Und dann bleibt wird die Wirklichkeit für ein paar Stunden einfach draußen. Die Leinwand wird zum Tor zu einer anderen Welt. Die Musik fängt uns ein und trägt uns in der Dunkelheit davon. Egal welche Filme man liebt, ob Action oder Phantasie, Horror oder Kitsch, Dramen oder Komödien, man findet sich selbst wieder in einer anderen Welt. Man kann zwischen vielen anderen einfach abschalten und auf ganz eigene Art den Film erleben. Man ist ungestört und trotzdem nicht allein. Und es ist schön zu sehen, wenn fremde Menschen nebenan dieselben Regungen zeigen wie man selbst.“

Hier kann man den ganzen Beitrag nachlesen.

Vor allem von den bequemen Sitzen und der großen Leinwand ist Entertainment-Life begeistert. Stöpsl dagegen berichtet von den Kämpfen und Späßen, die nicht auf der Leinwand sondern im Kinosaal ausgetragen werden. Aber davon lässt auch er sich nicht den Spaß verderben:

„Es gibt da natürlich auch noch andere Dinge im Kino. Die unglaubliche Spannung beim Finale des Films, die ewiglangen Einführungsepisoden, die beste  Werbung aller Zeiten, den Ton, der von allen Seiten an dein Ohr trifft und das Extra, nachdem man den Abspann als einziger überstanden hat.“

Hier kann man den ganzen Beitrag nachlesen.

Ums Lernen geht es Hans – auch im Kino. Dabei überlegt er sich genau, was man aus Filmen wie James Bond, Indiana Jones, Ocean’s Eleven, die Glorreichen Sieben oder Rosenkrieg mitnehmen kann. Und so sieht seine Analyse des „Paten“ aus:

So macht er’s: Er zeigt nie jemandem außerhalb der Familie seine Emotionen, lässt bei Verhandlungen nie durchblicken, was er denkt. Sein gelangweilt flüsternder Tonfall scheint fast abwesend. Was er aber sagt, hat umso mehr Gewicht. Wenn er nachdenkt, kratzt er sich bedächtig mit dem Ringfinger die Wangen.
Was wir davon lernen können: Je leiser Sie reden, desto aufmerksamer hört man Ihnen zu. Übertreiben Sie’s nicht: Jeder kennt den Paten, jeder kennt seine Tricks. Machen Sie sich damit vertraut. Nicht, um sie selbst anzuwenden, sondern um Businessneulinge, die sich wie der Don aufführen, ins offene Messer laufen zu lassen.“

Hier kann man ganzen Beitrag nachlesen.

Gleichgesinnte trifft Udo Seelhofer im Kino. Und nur dort. Und Gänsehautmomente stellen sich bei im einfach vor einem Fernsehgerät nicht so ein, wie vor einer Leinwand – im Dunkeln. Besonders viel Spaß macht es ihm, die anderen Zuschauer im Kino zu beobachten:

„Bei Horrorfilmen ist das sogar ganz besonders lohnend. Da krallen sich bei den Spannungsszenen die Leute in ihren Sitzen (oder wahlweise an den daneben sitzenden PartnerInnen) fest, nur um dann in dem Moment, in welchem unser böser Killer ganz überraschend von hinten sein Opfer angreift, mit einem Aufschrei der Erleichterung ihr Popcorn in der näheren Umgebung zu verteilen. Eine Fahrt mit der Achterbahn ist nichts dagegen.“

Hier kann man den ganzen Beitrag nachlesen.

Sehr erfrischend ist der Ansatz im Kinoblog „Filmhass“:  Er bezeichnet uns Kinozuschauer als unzulängliche und hässliche Wesen, die im Dunkeln vor der Wirklichkeit fliehen und in ausgeborgte Heldenidentiäten schlüpfen. Genau! Und? Aber ich glaube, das war als Vorwurf gemeint:

„Warum also lieben wir das Kino? Nun die Antwort ist einfach: Es liegt daran, dass wir relativ unzulängliche Wesen sind. Wir sind hässlich, unbedeutend, schwach, dumm, unsportlich usw. – zumindest unterbewusst hat jeder von uns irgendein kleines oder großes Problem. Im Kino vergessen wir diese Unzulänglichkeit, mit der wir gestraft sind, nicht nur, nein wir überwinden sie sogar. Wir erleben das Geschehen nicht einfach mit dem Helden, wir leben es durch ihn. Wir sind mit einem Mal schön, stark oder was auch immer der „Held“ für uns darstellt. Ein Effekt den in ähnlicher Weise schon Aristoteles in seiner Poetik beschrieben hat. Das Kino rettet uns also vor uns selbst. Eskapismus pur. Wer bei einem guten Film nicht abschalten kann, muss mehr als nur ernsthafte Probleme in seinem Leben haben. In der Regel sind wir für 90 Minuten von unseren Gebrechen geheilt, ohne selbst aktiv werden zu müssen und das ist doch unser aller Traum: Verharren, verweilen, nichts tun und doch wird alles gut. Darum lieben wir das Kino. Die Frage ist nur, ob wir es dafür nicht eher hassen sollten (wenigstens ein klein wenig).“

Hier kann man den ganzen Beitrag nachlesen.

Aus ganz unerwarteter Ecke ein Beitrag von Axel Weiß. Er ist Umweltredakteur beim Südwestrundfunk und hat als solcher einen ganz eigenen Blick auf das Kino. „Erin Brockovic“ oder „The International“ lassen ihn als Journalisten nachdenken und Mut schöpfen:

„“The International” ist ein Thriller, der zeigt, welche Verflechtungen zwischen Politik und Finanzwesen bestehen könnten, wie Banken Poltik machen und dabei über Leichen gehen, wie Bankenpolitik und die Machtverhältnisse in ressourcenreichen, aber armen Ländern zusammenspielen. Kein Ökothriller, aber er zielt auf die Hintergründe, auf die Macher hinter der Politik – und die ist weltweit gesehen nun alles andere als nachhaltig. Kurzfristiger Profit passt nicht mit Nachhaltigkeit zusammen. Solche Kinogeschichten sind natürlich nicht eins zu eins in die Wirklichkeit übertragbar, aber ein guter Kinofilm hinterlässt Spuren, regt zum Denken an.“

Hier kann man den ganzen Beitrag nachlesen.

Auch Steffi liebt das Kino und hat sich für uns erinnert, warum es etwas ganz Besonderes ist, mit ihrer Mutter ins Kino zu gehen, und warum man besser hinter den beiden Damen sitzt:

„Ich war Teenager, verpickelt und hormonsatt schlecht gelaunt, als meine spießige Mutter die „tolle Idee“ hatte, mit mir, ihrer Tochter, ins Kino zu fahren – „da machen wir uns mal nen richtig schönen Nachmittag zusammen, du und ich!“. Ich hätte abkotzen können. Wie peinlich wird das denn! Aber was willste machen. 25 Kilometer mussten wir fahren, vom Dorf in die Kleinstadt, enge Landstraße. Mama quälte vor jeder Kurve die Gangschaltung ihres Golfs, ich rollte dazu mit den Augen, du hast die uncoolste Mutter der Welt, dachte ich bei mir. Mit der verplemperst du jetzt deinen ach so kostbaren Tag, scheiße. Das Kino war alt, heute ist es längst abgerissen, leider. Genau genommen war es ein Lichtspieltheater, mit Bühne, auf der vor jeder Vorstellung ein greises Männchen herumturnte und mit einem rasselnden Geräusch den Samtvorhang beiseite zog. Die Sessel waren aus nachtblauem Plüsch, die nach Zigaretten rochen, und sie waren mit Goldkordeln eingefasst, an denen man prima herumpulen konnte. Mama kaufte zwei Eintrittskarten und eine große Tüte Popcorn. Ich nahm eine Packung Colaschnüre. Mochte kein Popcorn. Ich hätte vor Scham im Erdboden versinken wollen. Mama wollte sich unbedingt weit nach hinten setzen, also gut. Als es dunkel wurde und die Werbung anfing (das örtliche Autohaus zeigte ein paar Dias), raschelte meine Mutter in der Popcorntüte, knusperte — dann verdächtige Pause — und kicherte los. Dann wieder: Rascheln, knuspern — Pause– kichern. So ging das eine ganze Weile. Ehrlich gesagt, hab ich’s erst geschnallt, als sich der Typ ein paar Reihen vor uns in den Nacken klatschte und meine Mutter „Volltreffer“ murmelte. Das durfte doch nicht wahr sein! Meine Mutter lutschte Maiskörner ab und schnippste sie ins Publikum! Ich glaub, ich bin im Film! „Macht total Spaß“, grinste sie mich nur an, „probier’s doch auch mal!“ Und da saßen wir also, Mutter und Tochter, und feuerten Maismunition ab. In den nächsten zwei Stunden perfektionierten wir unsere Technik. Bisschen Spucke ans Korn, und flutsch, wegschießen zwischen Daumen und Zeigefinger. Wir machten Knoten in die Colaschnüre für jeden Treffer, und gackerten während des ganzen Films. Das ist jetzt zwanzig Jahre her. Wenn Mama mich heute besucht, lade ich sie ins Kino ein. Wir fahren mit der U-Bahn ins Cineplex. Ich zahle das Popcorn, und wenn wir dann dasitzen, und ich mit dem ersten Maiskügelchen ziele, schaut mich Mama ein bisschen empört an und sagt: „Also bitte, da muss ich mich ja für meine Tochter schämen“. Und dann grinst sie und beginnt, in der Tüte zu rascheln.“

Ein würdiger Abschluss :-). Wir möchten uns bei allen bedanken, die an unserer Blogparade teilgenommen haben (hoffentlich haben wir keinen vergessen)! Das waren viele schöne Kinogeschichten. Aber ich habe das Gefühl, da gibt es noch mehr. Also kann ich versprechen: Wir werden zum gleichen Thema nocheinmal blogparaden. Und dann werde auch ich erzählen, wie ich mich ins Kino verliebt habe, unsterblich … im November 1986 …

Epilog:

ZEIT: „Was sind Ihre Lieblingskinos?
Tilda Swinton: Einmal sah ich in Ostafrika ein Betttuch, das an einem Baum aufgehängt war. Es diente als Leinwand für die alljährlich stattfindende Vorführung des immergleichen alten Westerns. Während der Film lief, flog der Speer eines Meru-Stammesmitgliedes in den Hut des Schurken. Der Speer baumelte da bis zum Ende herum, zwischendurch steckte er in den Lippen des Liebespaares. Das ist schwer zu toppen.“

Schreibe einen Kommentar