Podcast 15: Der erste Berichtdes schiffbrüchigen Fremden

[display_podcast]

Hendriks imaginäre Anthologie,
NICER FICTIONS, Band 1,
Siebte Geschichte
Ursula Kroeber LeGuin
DER ERSTE BERICHT DES SCHIFFBRÜCHIGEN FREMDEN AN DEN KADANH VON DERB
(The First Report of the Shipwrecked Foreigner to the Kadanh of Derb, 1978)

„Aber was ist es denn, was die Städte zerstört? Warum sind die Mächtigen gefallen? Sieh hin, und du findest ein Spielzeugpferd; einen Messingschlüssel; einige Männer, die beim Wein miteinander plaudern; einen Wetterumschwung; die Ankunft einiger Spanier. Überhaupt nichts. Eine Taube, ein Motorboot, ein Ticken im Geigerzähler.“

Dieser wundervoll poetische, durchaus humorvolle, philosophische Monolog ist eine der für mich gelungensten und elegantesten Aussagen über die mögliche Sicht des zukünftigen Menschen auf seine Welt, seine Heimat, auf seine Wurzeln.

Science Fiction und Poesie begegnen sich öfter, als man vielleicht zunächst annehmen würde. Beide stellen Versuche dar, die Spurrillen alltäglichen Denkens und Empfindens zu verlassen und neue Horizonte nicht durch radikale Richtungswechsel, vielmehr durch eine Veränderung der Wahrnehmung zu erschließen. Beide müssen sich, um als literarische Genres auf diese Weise zu funktionieren, oft grenzgängerischer und unalltäglicher geben, als sie tatsächlich sind. Es ist sehr bedauerlich, daß dieser Zwang zur Übersteuerung sie oft genug einige potenzielle Lesende kostet.

“Der erste Bericht…” ist einer jener seltenen lyrischen Texte, die zwischen und damit über allen Genregrenzen schweben und damit die Chance bieten, in weitgehender Unabhängigkeit von Lesererwartungen genossen zu werden. Solche Geschichten gelangen nicht selten in uns viel weiter als andere und hallen dort nach. Und zumindest ich finde: sollten wir als Menschen eines Tages einer fremden Rasse auf diese Weise vorgestellt werden, würde ich mich für besser vertreten halten als durch alles, was jemals mit Voyagersonden aus der Erdatmosphäre gejagt wurde.

Ich fand diese Geschichte in…: Ursula K. LeGuin, “Die Kompaßrose”, Heyne Verlag, München.

Schreibe einen Kommentar