The Future … revisited! schoener-denken entkorkt alte Jahrgangs-SF und testet die Nachhaltigkeit des Bouquets wiederveröffentlichter alter Science Fiction-Filme.
Hendrik verkostet heute das Filmäquivalent eines guten alten Whiskeys.
1.
Als ich die DVD kaufte, wusste nicht mehr viel über diesen Film, den ich zuletzt als Kind vor etwa 25 Jahren gesehen haben muss – dass Richard Burton (den ich mochte) mitspielte, dass Lino Ventura (den ich nicht mochte) mitspielte, und dass irgendwann eine Kirche einstürzt. Und dass ich den Film damals ziemlich beeindruckend fand.
An dieser hochkarätigen Besetzung und vielleicht auch an der Überschrift, die den wohl bekanntesten Satz des Filmes zitiert, werden andere Kinder der 60er Jahre ihn vielleicht schon erkannt haben – den Film „Der Schrecken der Medusa“ (The Medusa Touch), eine britisch-französische Koproduktion aus dem Jahre 1978, der als einer der besten Genre-Crossover seiner Zeit beworben wird, als perfekte Melange aus Horror-, Kriminal- und Katastrophenfilm.
Der Schriftsteller John Morlar (Richard Burton) wird in seiner Wohnung niedergeschlagen und ins Krankenhaus eingeliefert, sein Körper ist fast tot, jedoch sein Gehirn entfaltet eine völlig unerklärliche Aktivität. Inspektor Brunel (Lino Ventura), welcher den Mordversuch untersuchen soll, stellt rasch fest, dass es mit Morlar eine besondere Bewandtnis haben muss: der Autor war fest davon überzeugt, die Gabe zu besitzen, mittels seiner Geisteskräfte Unfälle und Katastrophen auszulösen; von Morlars Psychiaterin Dr. Zonfeld (Lee Remick) erfährt Brunel, dass das ganze Leben Morlars tatsächlich begleitet wurde von einer Reihe unerklärlicher Zwischenfälle, welche diese Behauptung untermauern. Und er muss sich mehr und mehr davon überzeugen lassen, dass Morlar, obwohl im tiefen Koma, diese Gabe offenbar noch besitzt – und einzusetzen plant …
2.
Das Problem mit Filmen, welche den Bruch mit bestimmten Genrekonventionen als Stilmittel verwenden, ist zuweilen, dass sie mit dem mählichen Wandel der Konventionen ihre Wirkkraft einbüßen. Aber z.B. jeder Hitchcockfan weiß dagegen, dass manchmal ein filmischer Taschenspielertrick auch dann seine Wirkung nicht einbüßt, wenn er später noch tausendfach nachgeahmt wurde, einfach wenn es ein verdammt guter Trick ist.
„Der Schrecken der Medusa“ gibt sich zunächst den Anschein eines reinen Kriminalfilmes, welcher mit dem Verdacht des Unglaublichen nur spielt, und damit greift er einen der ältesten Tricks der phantastischen Literatur auf, nämlich die Ungläubigkeit eines Erzählers, welcher den Leser bei seiner Skepsis abholt und diese dramaturgisch geschickt verwertet, zu einem Teil der Geschichte macht. Die Figur Brunels übernimmt hier diese Funktion, und mit ihm wird der Zuschauer dazu verleitet, Dinge zu akzeptieren, die er ohne solche ‚Anmoderation‘ vielleicht als trivial abgetan hätte.
In Abwandlung von der Buchvorlage wird extra im Film eine kurze Erklärung (polizeiliches Austauschprogramm) etabliert, warum ein französischer Inspektor in London ermittelt, wohl damit mit Lino Ventura ein dem damaligen Zuschauer vertrauter hartgesottener Filmbulle agieren konnte. Die damit scheinbar ganz eindeutige Wahl des Genres zu Beginn ist jedoch selbst eine falsche Fährte, und das Phantastische schleicht sich durch die Hintertür hinein.
3.
Beim Wiedersehen fiel mir vor allem auf, was für extrem gelungene Lösungen der Film für das Problem findet, das man bekommt, wenn man die zentrale Figur bereits in der ersten Szene so zurichtet, dass sie den Rest des Films unbeweglich im Krankenhausbett verbringt.
Natürlich wird mit Rückblenden gearbeitet und mit der enormen stimmlichen und mimischen Intensität Richard Burtons, aber die für mich viel überzeugenderen Elemente sind die sorgfältig gesetzten Beschwörungen der geistigen Präsenz Morlars trotz dessen körperlicher Abwesenheit bzw. Machtlosigkeit: die Bilder von Munch und Escher in seinem Appartment, die Bruchstücke aus seinen Aufzeichnungen, auf die Brunel stößt, und immer wieder die schiere Unmöglichkeit der Anzeigen auf den Bildschirmen über dem reglosen Körper.
Die Zuckungen des EEG sind hier dramaturgisch so simpel und doch rasch so genial wirksam wie auch die ungleich berühmteren, nur ein Jahr jüngeren blinkenden Lichtpunkte auf dem Bildschirm des internen Scanners der Nostromo, als der Captain in den Versorgungsschächten das Alien erwartet.
Auch andere, zeitlos wirksame, wenngleich vielleicht aus heutiger Sicht manchmal eine Spur zu offensichtliche Methoden setzt der Film in spielerischer Sicherheit um: das Spiel mit Klimax und Antiklimax, wenn die Musik einen Höhepunkt aufbaut, der dann manchmal bewusst ins Harmlose umkippt; das Spiel mit der Gesinnung Morlars, von dem man nicht weiß, ob er nun ein böser oder ein verzweifelt ethischer Mensch ist; zuletzt einige geniale Schnitte, welche den Wechsel zwischen der filmischen Erzählgegenwart und den Rückblenden effizient vor dem Ermüdungstod bewahren.
Einziges Manko ist die zum Teil doch recht einfühlungsarme deutsche Übersetzung, die manche Dialoge recht dämlich erscheinen lässt. Als Brunel sich z.B. beim Wohnungsnachbarn Morlars erkundigt, ob der Schriftsteller Freunde gehabt habe, und der Nachbar antwortet, nein, Morlar sei zwar seltsam, aber nicht auf diese Art – dann versteht man das nur, wenn man begreift, dass der Inspektor im Original angedeutet hat, Morlar könne vielleicht schwul gewesen sein – was im Deutschen völlig verlorengeht. Aber das Original ist wegen des British English im Allgemeinen und Burtons Stimme im Besonderen ohnehin vorzuziehen.
4.
Alles in allem: ganz eindeutig eine Filmabfüllung, die auch nach rd. 33 Jahren Lagerung für mich ihr Aroma nicht verloren hat. Mit dem Gaumen des Phantastikliebhabers geschmeckt, scheint „Der Schrecken der Medusa“ zunächst überhaupt nicht auf die Karte zu passen, etabliert sich jedoch allmählich auf filmhandwerklich souveräne Weise als – inhaltlich und qualitativ – durchaus phantastisch, um im Abgang dann zusätzlich noch mit etwas Prä-Computer-Katastrophentricktechnik nachzuwürzen. Trotz der langen Lagerung erscheint mir „Der Schrecken der Medusa“ aus dem mir ansonsten völlig unbekannten Regisseurshause Jack Gold verblüffend ungealtert und muss sich daher hinter durchaus runden, routinierten Gegenwartsproduktionen wie z.B. „Source Code“ nicht verstecken.
Wohl bekomm’s!