Martinas Leidenschaft gilt heute den Juristen, zumindest wenn sie vor einer Fernsehkamera stehen, besonders aber dem Traumpaar Spader/Shatner, von denen die Washington Post sagt: „Die beste Liebesgeschichte des Fernsehens“. Wer wollte da widersprechen.
„Das Rechtssystem kennt zwei wichtige, voneinander unabhängige Behörden, die dem Schutz der Bürger dienen: die Polizei, die begangene Straftaten aufklärt, und die Staatsanwaltschaft, die die Fälle anklagt. Das sind ihre Geschichten.“
Die meisten Serienfreaks werden diese Sätze kennen – der Anfang einer jeden Folge von „Law & Order“, einem Mutterschiff der Polizei- und Gerichtsserien; mittlerweile läuft in den USA schon die 18. Staffel.
In keinem anderen Land ist das Genre der Gerichts- bzw. Anwaltsserie so erfolgreich wie dort: begründet im amerikanischen Rechtssystem, gibt es wohl kaum etwas Dramatischeres als den Einsatz einer Jury aus Geschworenen, die von der Schuld bzw. Unschuld eines mutmaßlichen Täters überzeugt werden muß – durch fabelhafte Rhetorik, brillante Beweisführung, Charme und Charisma … nicht unbedingt durch Fakten.
Der Berufsstand des Anwalts, besonders des Strafverteidigers, wurde im amerikanischen Fernsehen – grob gesagt bis zum Auftauchen von David E. Kelley, selbst Jurist und genialer Serienschöpfer – stark glorifiziert; die Stereotype des Anwalts als Held des Gerichtssaals. Die Serienfigur „Perry Mason“ (von 1957 bis 1966 und von 1985 bis 1993 in einer Neuauflage jeweils von Raymond Burr verkörpert) beispielsweise war einer dieser idealtypischen Juristen: Er gewann jeden Fall und prägte damit Generationen von Fernsehzuschauern. Er war dabei nie zweideutig, rebellisch oder gar sexy, immer nur ein aufrichtiger und gesetzestreuer Amerikaner, weiß im Schwarz-Weiß.
In den 70er Jahren zeigten sich die ersten Risse im Bild des TV-Juristen. Die Protagonisten von Serien wie „Katz und Co.“ oder „Petrocelli“ waren lässige, smarte, sozial engagierte Anwälte, die nicht für eine reiche oder glamouröse Kundschaft arbeiteten, sondern für Menschen aus sozial schwachen Schichten, aus kleinen Verhältnissen, teilweise für richtige Underdogs. Tony Petrocelli beispielsweise bekam von seinen Klienten mangels Geld auch schon mal Naturalien oder eben einfach „nur“ den Lohn, moralisch richtig gehandelt zu haben.
Nichts von alldem ist aber vergleichbar mit David E. Kelleys Anwaltsserien (Ally McBeal, The Practice, L.A. Law), die Höhepunkte des TV-Schaffens darstellen und in dem Juwel „Boston Legal“ gipfeln, einer explizit bissigen, satirischen, selbstironischen und politischen SHOW, die sich längst zu einem eigenen Universum entwickelt hat – auch und gerade wegen ihrer furiosen Darsteller.
James Spader, einer der gloriosen Exzentriker unter den amerikanischen Schauspielern, verkörpert Alan Shore, eine Figur, die ihm von David E. Kelley auf den Leib geschneidert worden ist: der gewiefte Rhetoriker, attraktiv, charmant, selbstbewußt, skrupellos und gemein, aber auch großherzig, feinsinnig und sensibel… angelegt als Karikatur eines reichen und berühmten Anwalts und doch eben genau das: reich und berühmt.
Seine Plädoyers sind umwerfend, Kommentare zur aktuellen Lage der Nation, zu politischen Verbrechen und gesellschaftlichen Mißständen, brillant und treffend und auf raffinierte Weise mit dem jeweils aktuellen Fall verwoben.
Als kleines Beispiel ein Auszug aus einem Schlußplädoyer vor den Geschworenen zum Thema Religionsfreiheit:
„Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber ich bin diese ganze Religionsfreiheit-Chose langsam leid. Seit wann hat die Religion überhaupt so einen guten Leumund? Es gab die Kreuzzüge, die sogenannten ‚Probleme’ in Nordirland, im Mittleren Osten. Das Massensterben im Namen Allahs und natürlich die dazugehörige Vergeltung. Hunderte Millionen Menschen sind in religiösen Konflikten ums Leben gekommen. (…) Selbst wenn wir nicht bereit sind, der Religion ihren Status als Heilige Kuh abzuerkennen, sollten wir doch ihr verfassungsmäßiges Dogma ein wenig herunterschrauben.“
Und bei all dem herrscht eine Aura des Zaubrischen, Seltsamen vor, denn James Spader ist kein gewöhnlicher Schauspieler. Er war schon immer etwas MERKWÜRDIG im positiven Sinne und verkörperte deshalb auch entsprechende Rollen, gerne in kleinen Independent-Produktionen wie „Sex, Lies and Videotape“, dem wunderbaren „Secretary“ oder einem von David Cronenbergs umstrittenen Meisterwerken, „Crash“.
James Spader sagt über sein Filmschaffen:
„I’ve had a lazy career, sometimes one film a year, sometimes none. I’m walking around in the street and doing this other thing, living, that I’m much more interested in. I just do some acting at the side.”
David E. Kelley paßte sich Spader an, den er gerne für die zweite Hauptrolle seiner neuen Anwaltsserie wollte, und schuf Alan Shore als einen ewigen Provokateur, einen außergewöhnlichen, exzentrischen Charakter. Und wie sehr das mit James Spaders Persönlichkeit zusammenspielte, zeigen nicht nur die drei Emmys und die anderen Preise, die er für seine Rolle in „Boston Legal“ bekam… vielmehr hätten die untypischen Dankesreden, die Spader bei den Preisverleihungen hielt, auch von Alan Shore sein können. Einmal erzählte er beispielsweise von Konzerten, die er besucht hat (er ist bekennender Bob Dylan-Fan) und den dortigen Platzverhältnissen, ein anderes Mal lobte er ausschließlich die Roben der anwesenden Damen, bei einer anderen Gelegenheit sagte er das:
„I had real trouble, actually, for a long time, getting people to hire me. My anxiety used to manifest itself in strange ways. I’d go in to read for some innocent, vulnerable character, and the feedback would be: Well, we met Jimmy… and he scared us.”
Die Figur des Alan Shore hat in „Boston Legal“ einen kongenialen Partner, Denny Crane. Ihre Männerfreundschaft ist das, worum sich hintergründig alles dreht. Auch wenn sie von ihrer Beziehung als „Ehe“ sprechen, Alan Shore sich in Frauenkleidern in Dennys Armen im Tanze wiegt oder beide zusammen in einem Wellness-Blütenbad sitzen und dabei Zigarren rauchen – sie sind ein Paar, aber nicht schwul. Sie sind so hetero wie nur was. Aber eben auch einander treu.
David E. Kelley sagt dazu:
„Ich glaube, daß die Freundschaft zwischen Shore und Crane vermutlich das Erbe dieser Serie sein wird.“
Den beiden gebührt stets der Epilog einer jeden Folge von „Boston Legal“, die Balkonszene, die Blaue Stunde. Dabei wird über die geführten Prozesse reflektiert, über Gott, die Welt und Frauen gesprochen und auch die eine oder andere politische Brandrede gehalten.
Tja, wer spielt nun Denny Crane und setzt James Spaders Alan Shore-Interpretation etwas ähnlich gewichtiges entgegen? Die Antwort lautet: William Shatner, wenn es auch korrekter wäre, zu sagen: William Shatner spielt William Shatner. Denny Crane als Rolle ist eine lebende Legende. Manchmal geht er durch die Kanzlei und sagt einfach laut seinen Namen vor sich her, weil das immer schon ausgereicht hat, die gegnerische Seite vor Ehrfurcht erstarren zu lassen.
William Shatner als Mensch aus Fleisch und Blut nun IST eine lebende Legende, eine Ikone der Popkultur. Und weil das einfach nicht wegzuleugnen ist und vergebliche Liebesmühe wäre, verweist „Boston Legal“ mit einer Reihe wunderbar humoriger Szenen und Gimmicks auf das „Star Trek“- Universum, das William Shatner als James T. Kirk unsterblich gemacht hat.
Öffnet Denny Crane sein Klapphandy, so erklingt exakt derselbe Ton, den Kirks Kommunikator erzeugt (als ich das zum ersten Mal bemerkte, bin ich schreiend vor dem Fernseher rumgehüpft: ja, ich bin 45 Jahre alt und trotzdem würdelos!). Beim Gang durch lauernde Journalistenmassen vor einem Gerichtssaal sagt Crane: „Platz da, ich war mal Kommandant meines eigenen Raumschiffs.“ Im Gespräch mit Ivan Tiggs, gespielt von Tom Selleck, der eine Gastrolle bei „Boston Legal“ hat, sagt Denny Crane: „Wir sind beide Hauptfiguren (…). Aber der Star hat nicht nur eine Hauptfrau, das geht nicht (…), nächste Woche ist sie weg, dann kommt eine andere!“ – eine Anspielung auf Sellecks „Magnum“-Figur und eben auf Kirk, die beide als unverbesserliche Frauenhelden angelegt waren.
Mein persönlicher Lieblingshinweis auf die Kirk-Rolle ist folgender Dialog zwischen Shore und Crane:
Alan Shore: „Was ist denn nun mit der Vertiefung unserer Männerfreundschaft?“
Denny Crane: „Vergiß es. Ich werde dir nicht am Schniedel rumspielen.“
Alan Shore: „Oha! Ein Tanz auf dem Vulkan!”
Denny Crane: „Hast du eben Vulkanier zu mir gesagt?“
Auch treten weitere Schauspieler des gesamten Star Trek-Universums in mehr oder minder großen Rollen bei „Boston Legal“ auf: René Auberjonois (Odo, Deep Space Nine), Armin Shimerman (Quark, Deep Space Nine), Jeri Ryan (Seven of Nine, Voyager), Ethan Phillips (Neelix, Voyager), Michelle Forbes (Ro Laren, Next Generation) und Scott Baluka (Enterprise).
Bei so viel Popkultur darf man aber keinesfalls vergessen, daß „Boston Legal“ auch eine ganz und gar politische Dimension hat. In den Dialogen zwischen dem Demokraten Shore und dem Republikaner Crane werden aktuelle „heiße Eisen“ angepackt, aber auch die immer wiederkehrenden Aufreger-Themen wie Abtreibung, die Gesundheitsfürsorge, das Waffengesetz etc. thematisiert.
David E. Kelley sagt dazu:
„Diese Serie ist (…) darauf aus, sich zu beschweren. (…) Ich denke, daß alle Autoren (von „Boston Legal“) manchmal einfach nur noch schreien wollen – und vielleicht ein paar Zuschauer inspirieren, mit uns zu schreien.“
Als in einer späten Folge ein Staranwalt von außen in die Kanzlei eindringt, um sie „auf Linie“ zu bringen, sagt Clarence Bell, einer der Anwälte der Firma und bekennende Transe, zu ihm:
„Ich kann verstehen, daß Sie Konservatismus, angemessenes Verhalten und Anstand bewahren wollen. Aber Boston ist voll von derartigen Firmen. (…) In vielen von ihnen arbeiten Leute, mit denen ich studiert habe. Sie alle haben eines gemeinsam: Sie sind nicht glücklich. Hier sind wir es. Vielleicht, weil man hier keine Angst vor sich selbst hat. Einer unserer Anwälte schnurrt gerne und hüpft umher. Partner und Angestellte haben gelegentlich Sex miteinander. Es gibt hier zwei Männer, die sich jeden einzelnen Tag fünf Minuten Zeit nehmen, um auf einem Balkon ihre Freundschaft zu feiern. Wie viele Menschen kennen Sie, die so etwas tun? Ich selbst ziehe gerne mal ein Kleid an und singe. Ich will keiner dieser Anwälte sein, die in anderen Kanzleien an ihrem Anstand und angemessenem Verhalten ersticken.“
Dem gibt es eigentlich nichts hinzuzufügen… obwohl, das geht nicht. Alan Shore und Denny Crane haben immer das letzte Wort – und um ihnen die Ehre zu erweisen, die ihnen gebührt, muß das auch hier so sein:
Denny Crane: „Geben wir vielleicht ein schlechtes Beispiel ab? Ich schieße auf Menschen.“
Alan Shore: „Ich besteche sie.”
Denny Crane: „Wir trinken.“
Alan Shore: „Und rauchen.“
Denny Crane: „Ich bin untreu.“
Alan Shore: „Nicht mir gegenüber!“
Denny Crane: „Dir gegenüber niemals!“
Alan Shore: „Wir sind keine Vorbilder, Denny. Wir sind einfach dem treu, was wir sind.“
Denny Crane: „Und was sind wir?“
Alan Shore: „Denny Crane.“
Denny Crane: „Alan Shore.“
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