Die hohe Kunst des zynischen Reisens

Die öffentliche Meinung ist politisch korrekt. Das ist gut so und eine wirkliche Errungenschaft unserer Zivilisation. Aber der Wunsch nach political correctness verhindert auch, dass bittere Wahrheiten ausgesprochen werden. Zum Beispiel, dass verschiedene Kulturen Defizite haben (da kann ich gleich bei den Deutschen anfangen und so schnell nicht aufhören).

P.J. O’Rourke spricht darüber, über die Defizite, die Schattenseiten, die so genannte ungeschminkte Wahrheit. Er hat eine spannende Nische als Reporter gefunden: Er schreibt touristische Reisereportagen aus Bürgerkriegsländern, bitterarmen afrikanischen Nationen, Impressionen von den Brennpunkten der aktuellen Nachrichtenberichterstattung. Aber er ist kein politischer Korrespondent – eher eine Art Fremdenführer – zum Beispiel durch Beirut:

„Beirut ist eine laute Stadt. Vor den meisten Läden stehen benzingetriebene Stromgeneratoren. Ihr Lärm vermischt sich mit mit ununterbrochenem Gehupe, gelegentlichem Geschützfeuer, dröhnender arabischer Musik von den Handkarren der Cassettenverkäufer, dem Geschrei der Einheimischen und dann und wann der Detonation einer Autobombe.“ S.10

Soviel zur Atmosphäre. In puncto Restaurant lautet sein Tipp:

„Nach einem kurzen, aber bitte wachsamen Spaziergang durch ein schwerbewaffnetes Drusenviertel gelangt man zum „Grenier“. Früher drängte sich dort der Jet-Set, jetzt ist der „Grenier“ ein stiller Zufluchtsort mit köstlichen landestypischen Gerichten. Nebenan im „Quo Vadis“ gibt es eine erstklassige italienische Küche. Vergessen Sie nicht das Trinkgeld für den Mann, der mit vorgehaltener Pistole darauf besteht, ihr Auto zu bewachen.“ S.15

Dabei übernimmt er den Zynismus, den er bei Journalisten, Ärzten, Soldaten und Zivilisten vorfindet:

„Ich lernte eine junge Dame aus Atlanta kennen, die für ein Kamerateam von CNN arbeitete. Sie war sechsundzwanzig, hübsch, ein bisschen rundlich und sah aus wie die ideale Anführerin einer Cheerleadergruppe in Georgia. Ich saß an der Bar des „Commodore“ neben ihr und sah zu, wie sie fünfundzwanzig Gin and Tonic hintereinander trank. Sie wurde davon nicht betrunken und nuschelte bei keinem einzigen Wort, aber ungefähr bei G&T Nummer zweiundzwanzig kamen die Geschichten von zerstückelten Babys und herumfliegenden Leichen heraus und wie das Rote Kreuz Hände und Füße und Köpfe von Bombenexplosionen aufliest und alles in Müllsäcke stopft. >>Da habe ich die Leute vom Roten Kreuz gefragt<<, sagte sie mit ihrem niedlichen Südstaatenakzent, >>was macht ihr denn damit? Hebt ihr die auf, sammelt ihr die, tauscht ihr die mit euren Freunden?<<“ S.17

Nach dem spannenden Ausflug nach Beirut, folgen wir dem Autoren nach Ex-Jugoslawien. Der Konflikt zwischen Serben und Kroaten ist unter anderem auch religiöser Natur. Dabei seien die meisten Serben und Kroaten gar nicht religiös. P.J. O’Rourke behauptet:

„Also besteht der Unterschied zwischen Serben und Kroaten darin, daß die Serben dem orthodoxen Gottesdienst fernbleiben, während die Kroaten nicht zur Messe gehen. Und der Unterschied zwischen Serben und Muslimen besteht darin, daß die Muslime fünfmal am Tag nicht nach Mekka beten.“ S.145

Immer wieder trifft er auf ganz ungewöhnliche Menschen. Und dabei kann der erste Eindruck durchaus täuschen:

„Rhodes, von Beruf Lastwagenfahrer, kam aus Yorkshire. Er war ungefähr so breit wie hoch und hatte obendrein einen ordentlichen Bauch. Er war überall tätowiert, trug das Haar so kurz geschnitten wie Sinéad O’Connor und hatte auf dem Nasenrücken eine Narbe in der Form eines kaputten Bierkrugs. Mick Rhodes sah einem britischen Fußballhooligan so ähnlich, wie man ihm ohne erdrosselten Juventus-Fan in den Klauen ähnlich sehen kann.“ S.154

Man möchte seitenlang weiter zitieren. O’Rourke ist ein erfrischender Erzähler, manche Analysen sind hellsichtig, die Beobachtungen genau – da verzeiht man auch, dass die Lust an der Pointe und der Provokation manchmal mit ihm durchzugehen droht. Für nicht empfindliche Leser mein Tipp des Monats.

P.J. O’Rourke
Reisen in die Hölle und andere Urlaubsschnäppchen
314 Seiten, 22,95 Euro
ISBN 978-3821847580
(Eine günstigere, hübsche Ausgabe gibt es bei der Büchergilde)

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