Die Liebesfilme des Herrn Hitchcock (Erster Teil)

TausendundeinFilmEine neue Reihe bei SchönerDenken – we proudly present: Tausendundein Film. Götz bringt uns besondere Filme nah – tausendundeinmal. Und pünktlich zu Alfred Hitchcocks 111. Geburtstag startet Götz seine neue Serie heute mit Hitchcocks „Suspicion“ (Verdacht).

„His name was Alfred Hitchcock. He made love stories.”

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Kaum ein Filmregisseur erzählt uns so viel und mit solcher Genauigkeit von den Beziehungen zwischen Mann und Frau wie Alfred Hitchcock. Man könnte durchaus soweit gehen zu sagen, dass die Elemente des Thrillers, der kriminalistische Plot, häufig nur wie ein Vorwand erscheinen, den spannenden Rahmen abgeben, um in vielfältiger Weise von den Schwierigkeiten der Paare und den Abgründen der Familien erzählen zu können.

BildEs gibt keinen besseren Film über die Ehe als Hitchcocks „Verdacht“ („Suspicion“) aus dem Jahr 1941. In ihm geht es um Vertrauen und Misstrauen, um die Frage also, was eine Beziehung erhält und was sie zerstören kann. Dies ist auch das Thema von zwei anderen Hitchcock-Filmen, in denen Ehen, die von einem düsteren Geheimnis überschattet sind, im Mittelpunkt stehen: „Under Capricorn“ (1949) und „Rebecca“ (1940). In allen drei Filmen sehen wir Paare in schwere Krisen geraten und alle drei Filme stellen den Charakter der Beziehungen – jeweils mit Hilfe der Präsenz herausragender Schauspieler – mit einem Wissen um die menschliche Natur dar, an die nur wenige explizit als Ehe- oder Liebesdramen konzipierte Filme heranreichen. Hitchcock war der Meister des Suspense, aber er war auch der Meister der beiläufigen Psychologie.

Liebesgeschichten waren für ihn niemals einfach bloß eine den Rezepten des populären Kinos geschuldete Zutat, sondern ein zentraler Punkt seines analytischen Interesses als Künstler, gleichberechtigt neben anderen oft genannten Hitchcock-Motiven wie der Angst, der Not eines Unschuldigen unter Verdacht. Den Paarbeziehungen galt immer seine ganze Aufmerksamkeit.

Hitchcocks letzter Stummfilm, „The Manxman“ (Der Mann von der Insel Man), 1928 gedreht, erzählt eine Dreiecks-Liebesgeschichte und sonst nichts: keine Thrillerelemente, die Gerichtsverhandlung am Ende des Films ist die einzige aus dem Hitchcock-Kosmos vertraute Szene. Eine grobe Skizze der Handlung: Pete und Philip lieben Kate, Kate flirtet mit Pete, liebt aber nur Philip.

Der Fischer Pete und der Rechtsanwalt Philip sind von Kindheit an Freunde. Philip hält sogar für seinen Freund um Kates Hand an. Deren Vater lehnt ab. Pete verlässt die Insel, will in Übersee sein Glück machen und reich zurückkehren. Philip soll auf Kate aufpassen. Der Freund ist weg. Kate und Philip kommen sich näher. Pete kehrt tatsächlich als reicher Mann zurück, nun willigt der Vater in eine Hochzeit ein. Kate ist von Philip schwanger, muss nun aber Pete heiraten. Pete glaubt es sei sein Kind. Kate unternimmt einen Selbstmordversuch, um der privaten Hölle zu entkommen. Sie wird gerettet und angeklagt. Philip ist in dem Verfahren der Richter.

Vielleicht ist „The Manxman“ sogar einer der reinsten Hitchcock-Filme, ein Film wie ein ausgebleichtes Stück Holz, Walbein aus dem Gerippe seines Werks. Von Hitchcock selbst wurde  „The Lodger“ von 1926 – eine Adaption des Jack-the-Ripper-Stoffs – als erster „echter Hitchcockfilm“ angesehen, doch „The Manxman“ ist der erste makellose künstlerische Höhepunkt in seinem Werk. Der Eloge von Hans Schifferle in dem Band „film 7: Alfred Hitchcock“ (Hg.: Lars-Olav Beier und Georg Seeßlen) ist nichts hinzuzufügen:

„Ein dichtes, komplexes Werk ist Hitchcock hier gelungen, ein Filmgedicht beinahe. „The Manxman“ ist ein subtiles und sublimes Melo: Alles hat seine Bedeutung, alles seine Funktion. Und doch liegt in jeder Einstellung auch ein Geheimnis, in jeder Konstellation finden sich verborgene Emotionen.“

In „Blackmail“, seinem ersten Tonfilm führt Hitchcock dann die beiden Grundpfeiler seines Schaffens erstmals perfekt zusammen: Lovestory und Mordgeschichte. Anny Ondra, die spätere Ehefrau des Boxidols Max Schmeling, spielt wie schon in „The Manxman“ die weibliche Hauptrolle.

Zunächst nun noch ein Sprung zu Hitchcocks Hollywoodepoche, die gut zehn Jahre später beginnt: Von den ersten vier in Hollywood gedrehten Filmen Hitchcocks sind drei Variationen über das Thema Ehe. Der mittlere „Mr. und Mrs. Smith“ ist sogar die einzige von Hitchcocks Hollywoodarbeiten ohne Crime-Element, eine romantische Komödie. Hitchcock baute alle seine großen Filme um eine Liebesgeschichte herum auf, auch die Verfolgungsabenteuer wie „Der unsichtbare Dritte“. Und er bietet uns dabei ein großes Spektrum und wiederholt sich in ihm selten: es reicht von der abgründigen Liebes-Mystik in „Vertigo“ bis zur waghalsigen Frivolität in „Über den Dächern von Nizza“.

Es müssen nicht einmal immer Liebesgeschichten zwischen Mann und Frau sein. In zwei Hauptwerken steht einmal ein homosexuelles Verhältnis („Der Fremde im Zug“) und im anderen Fall eine enge Onkel-Nichte-Beziehung („Im Schatten des Zweifels“) im Zentrum. In all diesen Konstellationen sammeln sich jeweils wie in einem Brennglas Hitchcocks große Themen: Schuld und Unschuld, Vertrauen und Misstrauen, Obsessionen und Psychopathologien allerlei Art.

Und vor allem geht es immer um den Verlust von Identität und die „Wiedereroberung eines Menschen durch sich selbst“,  wie es Jacques Rivette in einer Kritik zu „Under Capricorn“ nannte, der im deutschen Verleih leider den unsäglichen Titel „Sklavin des Herzens“ verpasst bekam. Die Charaktere in Hitchcocks Filmen verlieren sich in der Liebe und der Gefahr und sie finden eben durch die Liebe und die Gefahr erst eigentlich zu ihrem wahren Selbst.

Schon in der frühen, englischen Version von „Der Mann, der zuviel wusste“ (1934), der dann in den fünfziger Jahren noch das Remake mit James Stewart und Doris Day folgte, entdeckt man die Geschichte einer kriselnden Beziehung. Die Ehe von Bob und Jill Lawrence ist erstarrt in Sarkasmus. Das ist kein liebevolles Necken zwischen ihnen am Schweizer Urlaubsort. Jill vergnügt sich mit einem französischen Freund, der vielleicht schon ihr Liebhaber ist oder es bald sein könnte. Bob versteckt sein Leiden an der offen zur Schau gestellten Untreue seiner Frau hinter bissigem Humor und kindischen Späßen. Allerdings ist der Franzose auch ein Agent und wird bald erschossen, beim Tanzen mit Jill; kurz vorm Tod teilt er ihr noch ein Geheimnis mit. Es geht um ein in London geplantes Attentat auf einen ausländischen Staatsmann. Daraufhin wird die Tochter von Bob und Jill entführt. Beide müssen ihr Wissen nun für sich behalten, um das Kind nicht zu gefährden. Die Mutter, so erfahren wir zu Beginn, ist ein guter Schütze. Sie misst sich ausgerechnet mit dem Killer im Tontaubenschießen. Auch er flirtet mit ihr und zum Abschied sagt sie: „Bis zum nächsten Schießen.“

Am Ende des Films – das Attentat während des Konzerts in der Royal Albert Hall ist inzwischen dank Jills Eingreifen fehlgeschlagen – erschießt Jill den Attentäter während einer Polizeiaktion zu Bettys Befreiung. Zögerlich, verstört lässt sich das gerettete Mädchen von seiner Mutter in den Arm schließen. Wie so oft bei Hitchcock ist es ein Happy End mit vielen Fragezeichen. Die Sorge um das Kind kittete den Bund des Paares vielleicht nur vorübergehend. Hat Jill mit dem Attentäter auch ihre bisherige Lebensweise „getötet“, besinnt sie sich auf die Familie, will sie ihrem Mann noch eine Chance geben, hat sie also zu sich zurückgefunden? Die Symbolik legt es nahe, doch eine Umarmung des Paars als Zeichen der Versöhnung zeigt Hitchcock nicht, bloß einen kurzen Griff von Jills Hand nach dem Arm des Gatten.

Kaum jemand, der einsamer wäre als Nova Pilbeam in der Rolle der Tochter Betty in diesem Film, ein verwöhntes, aber einsames Kind zweier Society-Eltern, das alles bekommt, Schmuck, ein Hündchen, nur nicht die volle Aufmerksamkeit und Zeit seiner Eltern. „Never have any children“, sagt Jill zu ihrem Partner, als sie beim Tontaubenschießen von Betty gestört wird. Das Verhältnis von Mutter und Tochter ist bestenfalls von herzlicher Schroffheit, das zum Ehemann „sophisticated“, von einer Verachtung, die nur durch das geistreiche Frotzeln, das beide als Umgangsform pflegen, gemildert wird.

Der nächste Teil (und damit der zweite von vieren) erscheint hier am 22. August 2010.

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